Es gehört zu den Kernaufgaben einer Lehrkraft, Schüler*innen Rückmeldungen auf ihre Lernleistung zu geben – in Form von Noten oder mit mündlichem oder schriftlichem Feedback. Bei der Methode des Peer Assessments wird diese Aufgabe von den Lernenden selbst übernommen: Sie geben sich wechselseitig Rückmeldung auf ihre erbrachte Leistung. Ob sie davon profitieren können, untersucht das Forscherteam Double, McGrane und Hopfenbeck in einer 2020 erschienenen Metaanalyse. Sie prüfen dabei zudem, wie die Methode effektiv im Unterricht umgesetzt werden kann.
Ein Beitrag von Dr. Annika Diery, Annika Schneeweiss
Peer Assessment taucht in der Literatur unter verschiedenen Begriffen auf, etwa peer feedback, peer grading oder peer evaluation. In der genannten Metaanalyse wird Peer Assessment als eine Methode verstanden, bei der sich sogenannte Peers – zum Beispiel Schüler*innen der gleichen Schulstufe – wechselseitig Rückmeldung auf ihre erbrachte Leistung geben. Diese Form der Leistungsrückmeldung umfasst den mündlichen, schriftlichen und digitalen Austausch von aufgabenrelevantem Feedback. Im Unterricht kann Peer Assessment auf unterschiedliche Weise umgesetzt werden. Lehrkräfte können den Lernenden beispielsweise Bewertungskriterien in Form von Leitfäden oder Benotungssystemen zur Verfügung stellen, den digitalen Austausch von Feedback ermöglichen oder Peer Assessment als eine regelmäßige Feedbackpraxis in ihrem Unterricht etablieren. Die bisherige Forschung zu Peer Assessment weist auf einen starken Zusammenhang zwischen den Bewertungen von Lernenden durch ihre Mitschüler*innen im Rahmen von Peer Assessment und den Bewertungen durch die Lehrkraft hin. Diese Metaanalyse untersucht nun, ob sich die positive Wirkung von Peer Assessment auf schulische Leistung auch mittels experimenteller Untersuchungen nachweisen lässt.
Umsetzungsmöglichkeiten von Peer Assessment im Unterricht
Rolle: Die Lernenden können innerhalb des Peer Assessments verschiedene Rollen einnehmen: als Bewertende, zu Bewertende oder beides.
Typ: Die häufigsten Umsetzungsformen von Peer Assessment sind Benotung, mündlicher Austausch und schriftliche Beurteilung. Alle Formen können verschieden kombiniert und auch online umgesetzt werden.
Unterstützung: Mögliche Unterstützungsformen sind die Vorgabe eines Kriterienkatalogs, eines Bewertungsschemas oder eines Notensystems. Peer Assessment kann aber auch ganz frei und ohne Unterstützung gestaltet werden.
Anonymität: Peer Assessment kann offen oder anonym stattfinden. Es kann also transparent gemacht werden, wer wen bewertet und wer von wem bewertet wird oder nicht. Außerdem kann die Art der Zuteilung variiert werden: Werden die Rollen offen oder verdeckt zugeteilt oder kann die Zuteilung von den Schüler*innen frei
gewählt werden?
Häufigkeit: Der Einsatz von Peer Assessment kann von der einmaligen Nutzung bis zur regelmäßigen Praxis im Unterricht variieren. Zu vermuten ist, dass mit zunehmender Erfahrung und Übung seitens der Schüler*innen auch die Qualität des Feedbacks gesteigert werden kann.
Positive Effekte von Peer Assessment
Die Metaanalyse untersucht, wie sich der Einsatz von Peer Assessment auf die Leistung von Schüler*innen aus der Primar- und Sekundarstufe im Vergleich zu verschiedenen anderen Bewertungsformen im Unterricht auswirkt (ganz ohne Assessment, Schüler*innen bewerten sich selbst oder die Lehrkraft bewertet die Schüler*innen). Dabei prüft das Forscherteam nicht nur den Einfluss verschiedener Umsetzungsmöglichkeiten im Unterricht, sondern auch, in welchem Fach das Peer Assessment eingesetzt wurde. Die Metaanalyse zeigt, dass Schüler*innen mit Peer Assessment deutlich bessere Lernleistungen erbringen als solche, die kein Peer Assessment erfahren oder die von der Lehrkraft bewertet wurden. Dieser Effekt zeigt sich jedoch nicht im Vergleich zu denjenigen Gruppen, in denen sich die Lernenden selbst bewerten. Die Ergebnisse
der Metaanalyse zeigen für nahezu alle untersuchten Umsetzungsmöglichkeiten von Peer Assessment positive Effekte auf die Leistung. Dabei konnten keine bedeutsamen Unterschiede für verschiedene Fächer oder Bildungsstufen festgestellt werden. Das heißt, auch für die MINT-Fächer kann Peer Assessment in jeder Altersstufe und auf vielerlei Weise eingesetzt werden. Wie Peer Assessment beispielhaft in einem MINT-Fach eingesetzt wurde, zeigt eine Einzelstudie, die Teil der Metaanalyse ist.
Studienbeispiel im Fach Informatik
Das Forschungsteam um Xiao-Ming Wang untersucht in seiner Studie die Wirksamkeit von Peer Assessment im Informatikunterricht der 9. Klasse. In den zehn Wochen der Untersuchung sollten die Schüler*innen die Programmiersprache Scratch lernen. An der Studie nahmen vier Schulklassen mit insgesamt 166 Schüler*innen teil. Alle vier Klassen erhielten eine Einführung in Scratch und die Aufgabe, ein eigenes Projekt zu programmieren. In zwei Klassen sollten sich die Lernenden anschließend gegenseitig Feedback auf ihre individuellen Projekte geben. Dafür standen ihnen klare Bewertungskriterien – zum Beispiel zu Thema und Inhalt oder Gestaltung – sowie klare Bewertungsstufen von 1 bis 4 zur Verfügung. In den anderen beiden Klassen erhielten die Lernenden Feedback von der Lehrkraft. Um die Wirksamkeit von Peer Assessment im Vergleich zur Bewertung durch die Lehrkraft zu überprüfen, nahmen alle Schüler*innen an einem Test zu Programmierkenntnissen und -fähigkeiten teil und füllten Fragebögen zum kritischen Denken und ihren Einstellungen aus – einmal vor Beginn und zum Abschluss des Kurses. Zusätzlich erhielten die Lernenden zu beiden Zeitpunkten Programmieraufgaben, um ihre praktischen Programmierfertigkeiten zu testen. Im Ergebnis erzielte die Gruppe, in der Peer Assessment eingesetzt wurde, in allen Bereichen des zweiten Tests signifikant bessere Ergebnisse als die Gruppe, in der die Lehrkraft Feedback gegeben hatte.
Fazit für die Unterrichtspraxis
Die Befunde der vorliegenden Metaanalyse weisen darauf hin, dass Peer Assessment eine lernförderliche Ergänzung für den Unterricht darstellen kann. Der positive Effekt von Peer Assessment auf die Leistung ist über verschiedene Altersstufen, Fächer und weitere Bedingungen hinweg stabil. Dies deutet darauf hin, dass Peer Assessment in vielfältiger Form wirksam in den Unterricht implementiert werden kann. Für Schüler*innen bietet Peer Assessment die Möglichkeit, sich kritisch mit dem Lerninhalt auseinanderzusetzen und die eigenen Leistungen zu reflektieren. Anhand der berücksichtigten Einzelstudien lässt sich allerdings auch feststellen, dass die bisherige Forschung zum Peer Assessment noch recht unspezifisch ist. So fehlen Untersuchungen, die die verschiedenen Rollen beim Peer Assessment oder die konkreten Kontexte mit einbeziehen, um hier evidenzbasierte Empfehlungen zur konkreten Umsetzung aussprechen zu können. Um die Effektivität unterschiedlicher Umsetzungsmöglichkeiten und lernförderliche Mechanismen noch besser zu verstehen, sind daher weitere Forschungsbemühungen notwendig.
Quellen
Double, K., McGrane, J. & Hopfenbeck, T. (2020). The Impact of Peer Assessment on Academic Performance: A Metaanalysis of Control Group Studies. Educational Psychology Review, 32, 481–509.
Wang, X., Hwang, G., Liang, Z. & Wang, H. (2017). Enhancing Students’ Computer Programming Performances, Critical Thinking Awareness and Attitudes towards Programming: An Online Peer-assessment Attempt. Educational Technology & Society, 20(4), 58–68.