Seit ein Artikel in der New York Times im Dezember 2017 über ein geheimes Programm zur Erforschung von unbekannten Luftphänomenen (UAP) im US-Verteidigungsministerium berichtete, häufen sich die Nachrichten zu UAP. Ein ehemaliger Geheimdienstoffizier sagte nun vor dem Kongress aus, dass die USA sogar im Besitz „intakter, nicht menschlicher Technologie“ seien. Sollte uns eine außerirdische Intelligenz besuchen, könnte diese Erkenntnis die Menschheit jedoch in eine kosmische Krise stürzen.
Ein Beitrag von Daniel Gerritzen
Am 27. Juli 2023 stellten sich drei Zeugen des US-Militärs vor dem Kongress in Washington, D. C. unter Eid den Fragen von Abgeordneten. Einer der Zeugen war der ehemalige Air-Force- und Geheimdienstoffizier David Grusch, der von 2019 bis 2021 für die „UAP Task Force“, eine Behörde des Verteidigungsministeriums zur Untersuchung von Sichtungen unbekannter Himmelsphänomene durch Militärpersonal, arbeitete. Während der Kongressanhörung bekräftigte Grusch, dass Angehörige streng geheimer Rüstungsprogramme mit seiner Ansicht nach brisanten Informationen an ihn herangetreten seien: Das US-Militär habe teils „intakte, nicht menschliche Technologie“ geborgen. David Grusch übergab die angeblichen Beweise gemäß dem Whistleblower-Gesetz den Generalinspekteur*innen der Nationalen Geheimdienste (IGIC) und des Pentagons (DOD IG) sowie dem Kongress. Neben Grusch berichteten auch die ehemaligen Kampfpiloten der US Navy, David Fravor und Ryan Graves, über Begegnungen mit UAP. Graves verwies darauf, dass Kampfpilot*innen UAP angeblich regelmäßig sehen. Diese unbekannten Objekte würden enorme Beschleunigungskräfte, abrupte Richtungswechsel oder das Verharren auf der Stelle trotz Hurrikan-Windstärken demonstrieren. Das amerikanische Volk sei bereit für die Wahrheit, forderten Politiker*innen der Republikaner und Demokraten parteiübergreifend. Doch ihnen scheint nicht bewusst zu sein, welchen Schaden die Erkenntnis, dass uns Außerirdische besuchen könnten, in der Gesellschaft anrichten würde.
Außerirdische Artefakte in unserem Sonnensystem
Die Menschheit entsandte mit den Sonden Voyager 1 und 2 zwei kosmische Botschafter, die inzwischen in den interstellaren Raum vorgedrungen sind. Zweifellos könnten außerirdische Zivilisationen daher ebenso Raumsonden ins All senden. Der Physiker John von Neumann postulierte in den 1940er-Jahren, dass eine Maschine Rohstoffe abbauen und dadurch eine exakte Kopie von sich selbst erzeugen könnte. 1960 rechnete der australische Astrophysiker Ronald Bracewell vor, dass außerirdische Sonden anstelle von Radiosignalen der sicherere Weg wären, um mit der Menschheit in Kontakt zu treten. 1980 zeigte der Physiker Robert Freitas, dass außerirdische Robotsonden zu erdähnlichen Felsplaneten reisen könnten, wo sie Rohstoffe abbauen und sich gemäß der Theorie John von Neumanns selbst reproduzieren. So könnten sie sich exponentiell von Planet zu Planet vermehren und die Milchstraße über Zehntausende von Jahren selbst nur mit Bruchteilen der Lichtgeschwindigkeit erkunden. Diese Annahme deckt sich auch mit Berechnungen von Astronomen wie Carl Sagan (1962) oder Physikern wie Frank Tipler von der Tulane University (1980) oder Christopher Rose, Professor für Elektrotechnik an der Rutgers University (2004). Demzufolge könnten außerirdische Sonden bereits hier sein. Es ist Anlass genug, dass die US-Weltraumbehörde NASA nun die Notwendigkeit sieht, UAP zu erforschen. Sie fordert mehr Messdaten. Der Astrophysiker Avi Loeb von der Harvard University beabsichtigt, im Rahmen seines Galileo Project hochauflösende Fotografien mit Teleskopen von möglichen UAP anzufertigen. In Deutschland betreibt Professor Hakan Kayal von der Universität Würzburg das erste akademische UAP-Forschungsprogramm auf deutschem Boden: Die SkyCAM-5-Kamera überwacht rund um die Uhr den gesamten Himmel. Die Daten wertet eine selbstlernende künstliche Intelligenz aus. Wissenschaftler*innen und Militärs weltweit nehmen UAP inzwischen sehr ernst. Doch die Bergung außerirdischer Technologie durch Militär, wie es David Grusch behauptet, würde unbequeme Fragen über die gesellschaftlichen Folgen des Kontakts aufwerfen.
Genetische und sozialpsychologische Faktoren
Außerirdische Vehikel wären für uns Symbole für das maximal Fremde, postulieren die Soziologen Michael Schetsche und Andreas Anton: Je näher sie uns auf den Leib rückten, umso verstörender wäre es für uns. Uns widerführe das Trauma des Entdecktwerdens, wie es die indigene Bevölkerung Amerikas erlebte. Die Angst vor allem vermeintlich Fremdartigen – etwa Spinnen, Schlangen, entstellte Menschen – ist seit Urzeiten in uns genetisch verankert. Der Verhaltenspsychologe Albert Harrison von der University of California stellte fest, dass wir auf saliente, mithin vom menschlichen Äußeren stark abweichende Physiognomien mit Ekel, Angst und Aggression reagieren. Früher waren diese Reaktionen, die in der Amygdala des Gehirns entstehen und dem Überleben dienten, hilfreich, um sich vor Krankheiten, Feinden und Raubtieren zu schützen. Heute sind sie für das Zusammenleben gesellschaftlicher Gruppen hinderlich. Denn die Sozialpsychologen Gordon Allport und Thomas Pettigrew formulierten anhand empirischer sozialpsychologischer Daten ihre Kontakthypothese: Menschen, die weniger Umgang mit fremden Ethnien haben, entwickeln mehr Vorurteile gegen diese als Menschen, die ständig mit anderen Bevölkerungsgruppen zusammenleben. Umgekehrt festigen Menschen mit starken Vorurteilen gegenüber fremden Ethnien ihre Ressentiments, wenn sie mit ihnen zusammenleben müssen. Hinzu käme noch: Je stärker die Außerirdischen für uns wichtige ethisch-moralische Tabus brächen – etwa Kannibalismus oder Inzest –, umso heftiger wäre unser Widerstand gegen sie.
Politische und mediale Faktoren
Auch Politiker*innen würden die Reaktionen der Menschen im Falle eines Erstkontakts steuern. So nahmen unter Präsident Donald Trump die Vorurteile gegenüber Asiat*innen allgemein während der Covid-19-Pandemie stark zu. Zuvor schon hatte Trump Vorurteile gegenüber Mexikaner*innen und Muslim*innen geschürt, um rechtskonservative und evangelikale Wähler*innen zu gewinnen. Nationalistischreligiöse Staatslenker fördern demnach die erwähnten Ressentiments gegenüber Fremden. Das wäre bei einem Kontakt mit Außerirdischen ungleich stärker der Fall. Aber auch die Medien würden eine entscheidende Rolle spielen. Menschen, vor allem Journalist*innen, neigen in Abwesenheit von handfesten Fakten unbewusst dazu, Informationslücken durch Mutmaßungen oder persönliche Ängste und Wünsche zu füllen. Artikel Deadlines, der Druck hoher Klick- und Auflagenzahlen und der Wettbewerb um starke Einschaltquoten können zu mangelhaften Faktenchecks, Übertreibungen und Fehlern führen. Wenn die Absichten der Außerirdischen unklar sind, könnten Mutmaßungen das Verhalten der Menschen negativ beeinflussen. Sobald wir bei einem Erstkontakt bestimmte Filmsequenzen in den Fernsehnachrichten sähen, würde sich in unseren Gehirnen die „mentale Repräsentation“ vor unserem inneren Auge abspulen: Hollywoodfilme zeigen häufiger bösartige Außerirdische. Sie stanzen sich somit stärker in unser kollektives Gedächtnis. So wäre unsere Abwehrhaltung bei einem wirklichen Kontakt viel wahrscheinlicher als das Gegenteil.
Literatur-Tipp
Daniel Gerritzen: Die kosmische Krise – Warum Außerirdische uns nicht retten werden.
Matthes und Seitz Berlin, 260 S., 22 Euro,
erscheint am 1. Februar 2024
Mögliche Strategie für weniger Ressentiments
Den Kulturschock eines Kontakts abzumildern, könnte höchstens in der Strategie bestehen, die Information über eine mögliche außerirdische Technologie auf der Erde, wenn es sie gibt, schrittweise über Jahre oder Jahrzehnte hinweg zu veröffentlichen. Handfeste Beweise hat der Whistleblower David Grusch für seine Behauptungen zwar bisher nicht vorgelegt. Er begründet das mit strenger Geheimhaltung und der Gefährdung der nationalen Sicherheit. Doch obwohl seine Aussagen nur auf Hörensagen beruhen, ist dadurch der Druck auf die Politiker*innen in Washington, D. C. inzwischen enorm gestiegen: Der National Defense Authorization Act für das Jahr 2024 sieht die Offenlegung bisher streng geheimer UAP-Dokumente vor. Auch wenn sich David Gruschs Behauptungen sehr wahrscheinlich als unsinnig herausstellen, könnten die freigegebenen geheimen Regierungsdokumente belegen, dass UAP außerirdische Sonden sind. Der unbedachte politische Druck aus Washington, D. C. könnte demnach dafür sorgen, dass wir durch einen Kontakt in eine regelrechte kosmische Krise stürzen. Wir wären darauf nicht vorbereitet.
Daniel Gerritzen
Daniel Gerritzen ist Wissenschaftsjournalist, Autor und Mitbegründer des Forschungsnetzwerks Extraterrestrische Intelligenz, dem Wissenschaftler*innen unterschiedlichster Disziplinen angehören und das zum Ziel hat, die Risiken eines Erstkontakts mit außerirdischen Intelligenzen zu erforschen.