Skip to content

ISS – eine Heimat im All

Mit Platz für sieben reguläre Besatzungsmitglieder und einer ununterbrochenen menschlichen Präsenz seit Oktober 2000 ist die Internationale Raumstation (ISS) die größte und erfolgreichste Raumstation aller Zeiten. Ihre Zukunft jedoch wird immer ungewisser.

Ein Beitrag von Michael Büker

Schon während des Wettlaufs zum Mond hatten die USA und die Sowjetunion das nächste Fernziel im Blick: eine Landung mit Menschen auf dem Mars. Doch es kam anders, denn nach den Mondlandungen des Apollo-Programms von 1969 bis 1972 blieb die Raumfahrt ein halbes Jahrhundert lang in der Nähe der Erde. Die Sowjetunion entwickelte immer komplexere Raumstationen, bis hin zur legendären Mir. Die USA konzentrierten sich auf das Space Shuttle, das leistungsfähigste Raumschiff der Geschichte. Mit dem Ende des Kalten Krieges wuchsen beide Programme in einer Art historischem Glücksfall zusammen. Aus der Kooperation erwuchs in wenigen Jahren die Internationale Raumstation. Sie ist seit gut 20 Jahren das zentrale Projekt für die Raumfahrt der USA, Russlands, Europas, Japans und Kanadas.

Zusammenarbeit mit Hindernissen

Im Juni 1995 dockte mit dem Space Shuttle Atlantis erstmals ein amerikanisches Raumschiff an der russischen Mir an

Die erste Phase der neuen Zusammenarbeit war das Shuttle-Mir-Programm. Die amerikanische Raumfähre brachte Fracht, Bauteile und Besatzung zur Mir. Die NASA bekam Einblicke in den Dauerbetrieb einer komplexen, modularen Raumstation – womit die USA keine eigenen Erfahrungen hatten. Die NASA und ihre Gast-Crews konnten auf der Mir auch Langzeitexperimente in den eigens dafür ausgestatteten
Forschungslabormodulen Spektr und Priroda durchführen. Für die russische Raumfahrt ging es jedoch um weitaus mehr: Mit dem Shuttle-Mir-Programm zahlten die USA Hunderte Millionen Dollar, ohne die ein Weiterbetrieb der Raumstation in den 1990er-Jahren wahrscheinlich unmöglich gewesen wäre. Die nächste Phase der Kooperation war der gemeinsame Aufbau der ISS mit einem russischen Segment und einem internationalen Segment. Von 1998 bis 2001 wurde eine Art erste Ausbaustufe fertiggestellt. Doch der weitere Ausbau der ISS wurde von einer Katastrophe jäh unterbrochen. Am 1. Februar 2003 verglühte das Space Shuttle Columbia beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre wegen eines Schadens am Flügel, der zwei Wochen zuvor beim Start entstanden war. Zwar konnten russische Sojus-Raumschiffe weiterhin Besatzungen
zur ISS und zurück bringen, doch fast alle noch fehlenden großen Module und Bauteile waren für Starts mit amerikanischen Space Shuttles vorgesehen.

Die Erfüllung der Vision

Erst 2006 wurde der Aufbau der ISS durch die verbleibenden Space Shuttles Discovery, Atlantis und Endeavour wieder aufgenommen. Das Programm hatte nun jedoch ein Ablaufdatum: Bis 2011 mussten alle großen Module und Bauteile ins All gebracht sein – danach würde nie wieder ein Space Shuttle starten. Alle verbleibenden 22 Shuttle-Flüge sollten dem Aufbau und Betrieb der ISS dienen, mit Ausnahme der
Mission STS-125 zur Wartung des Hubble-Weltraumteleskops. Das straffe Programm hatte Erfolg: Ab 2006 wurde die ISS-Außenstruktur samt Solarpanels stark erweitert. Es folgten die großen Forschungslabors Columbus aus Europa und Kibō aus Japan sowie die in Europa gebauten Knotenmodule Harmony und Tranquility – Letzteres zusammen mit der berühmten Aussichtskuppel namens Cupola. 

Mit dem Ende des Space-Shuttle-Programms im Jahr 2011 war die Station nahezu fertiggestellt. Doch es begann eine fast zehn Jahre lange Durststrecke, während derer es nur genau einen Weg zur ISS gab. Raumfahrer*innen aus den USA, Europa, Japan und Kanada waren darauf angewiesen, in russischen Sojus-Raumschiffen mitzufliegen. Die USA zahlten hierfür im Schnitt rund 55 Millionen Dollar pro Flug. Die Lage entspannt sich seit 2020 wieder, denn mittlerweile fliegen regelmäßig Dragon-Raumschiffe der US-Firma SpaceX zur ISS; das Starliner-Raumschiff von Boeing soll bald folgen. 

Die Erfahrung in der Raumfahrt sagt: Je mehr verschiedene Raumschiffe zur Verfügung stehen, desto besser für die Versorgung der Station und die Sicherheit ihrer Besatzung. Eine Reihe von Fehlfunktionen russischer Raumschiffe machte dies in den letzten Jahren deutlich. Der prominenteste Fall ereignete sich im Jahr 2018: In dem Sojus-Raumschiff, das unter anderem den deutschen Astronauten Alexander Gerst zur ISS gebracht hatte, wurde aus bis heute ungeklärter Ursache ein Loch gefunden und notdürftig im All geflickt. Heute sind in der Regel mindestens ein russisches und ein amerikanisches Raumschiff zugleich an der ISS angedockt, was mehr Flexibilität bei unerwarteten Problemen bietet.

Ungewisse Zukunft

Bis Herbst 2021 sah es danach aus, als würde die bewährte ISS-Kooperation selbstverständlich so lange weitergeführt, wie die inzwischen seit Jahrzehnten im All dienende Technik mitspielen würde. Doch am 15. November 2021 führte das russische Militär überraschend einen Test einer Antisatellitenwaffe durch, indem es einen ausgedienten russischen Satelliten abschoss. Die Trümmerwolke im niedrigen Erdorbit bedrohte fast augenblicklich das Leben der siebenköpfigen ISS-Besatzung – darunter der gerade erst eingetroffene Deutsche Matthias Maurer sowie zwei russische Kosmonauten. Die Besatzung zog sich zeitweise in ihre Raumschiffe zurück, geplante Außeneinsätze wurden verschoben. 

Kurz darauf folgte der russische Überfall auf die Ukraine. Der beeinträchtigt zwar bisher nicht den täglichen Betrieb der Raumstation oder die Flugpläne zu ihrer Versorgung. Doch eine gemeinsame Fortführung der Kooperation auf lange Sicht wird immer unwahrscheinlicher. Die russische Raumfahrtagentur verfolgt Pläne für eine neue, allein russische Raumstation, so wie auch China eine betreibt. Das internationale Segment der ISS soll mit kommerziell betriebenen Modulen von US-Raumfahrtunternehmen erweitert werden, bevor diese sich möglicherweise zu eigenen Stationen abtrennen. Für die kommenden Jahre jedenfalls werden die Raumfahrtprogramme der beteiligten Länder genauso aneinander gebunden bleiben wie die zusammengedockten Module der Raumstation – mangels Alternative. 

Die ISS begann als hoch ambitioniertes Gemeinschaftsprojekt sehr ungleicher Partner, geboren aus einer historischen Ausnahmesituation. Sie inspirierte eine ganze Generation mit gelebter Zusammenarbeit im All und ist heute eine der komplexesten Maschinen, die die Menschheit je gebaut hat. Doch sie zeigt bedauerlicherweise auch, dass nicht einmal der Weltraum 400 Kilometer über dem Erdboden über jene Konflikte erhaben ist, die am Erdboden wüten.

Eine Übersicht über die wichtigsten ISS-Module und ihre Aufgaben steht hier zum Download zur Verfügung:

Beitrag teilen:

Facebook
Twitter
LinkedIn
Pinterest
XING
WhatsApp
Email

Ähnliche Beiträge

Illustration von Neutronensternen
18. März, 2025
Mit Gravitationswellen lassen sich die verborgenen Seiten des Alls belauschen. Die meisten bislang entdeckten Quellen sind kollidierende Schwarze Löcher.
Erschöpfte Frau greift sich an die Stirn
3. März, 2025
Lampenfieber vor einer Präsentation, Prüfungsangst oder einfach ein stressiger Schultag – Stress gehört für viele Schüler:innen leider zum Schulalltag, ebenso wie für Lehrkräfte. Doch zu viel davon kann die Konzentration und das Wohlbefinden beeinträchtigen. Genau hier kommt der Vagusnerv ins Spiel: Wie kein anderer Nerv hat der längste Nerv unseres Körpers, der Vagusnerv, und das damit verbundene parasympathische Nervensystem, in den letzten Jahren höchstes Interesse bei gesundheitsorientierten Menschen gewonnen. Kein Wunder, ist er doch DAS zentrale Kommunikationsorgan zwischen dem Gehirn und den Körperorganen. Das Beste: Er lässt sich aktivieren.
Zeppelin in der Abendsonne
25. Februar, 2025
Von Radaröfen haben Sie nie gehört? Auch Hydrobergbau ist Ihnen kein Begriff, ebenso wenig wie die Kohlenstaub-Lokomotive? Selbst beim Itera-Plastikfahrrad oder beim Elektropflug glimmt kein Erinnerungsfunke auf? Kein Grund zur Sorge: Fast niemand erinnert sich mehr an diese Dinge, denn es sind „gescheiterte Innovationen“, deren Existenz über kurz oder lang von der Welt vergessen wurde. In Erinnerung sind bestenfalls die angesichts verlorener Subventionsmillionen spektakuläreren Fälle, etwa die zumindest vorerst gefloppte Magnetschwebebahn Transrapid oder der 2002 wohl endgültig gescheiterte Frachtzeppelin Cargolifter, in dessen Halle sich heute immerhin vom Urlaub in den Tropen träumen lässt.
Forscherin mit Handschuhen bearbeitet eine grüne Salatpflanze im Labor mit einer Pinzette
20. Februar, 2025
Die Klimakrise verschärft sich rasant und stellt schon jetzt weltweit Menschen vor existenzielle Probleme, auch im Hinblick auf Landwirtschaft und Ernährung. Die Landwirtschaft leidet unter den Folgen der Klimakrise und muss sich an die neuen Extremwettersituationen anpassen. Zudem erhöhen das massive Artensterben und andere ökologische Folgen menschlichen Handelns zunehmend den Druck, bisherige ökonomische und soziale Praktiken zu hinterfragen und zu verändern. Ein aktuell kontrovers diskutierter Ansatz ist die Neue Gentechnik (NGT).
viele Euro-Münzen auf einem Haufen
20. Februar, 2025
Der reichste Mann der Welt ist der Entenhausener Erpel Dagobert Duck. Auch der zweit-reichste Mann ist ein Erpel. Er heißt Mac Moneysac und lebt in Simililand in Südafrika. Erst auf Platz drei kommt mit dem Amerikaner Elon Musk ein Mensch. Doch wie reich Dagobert Duck ist, darüber gibt es unterschiedliche, zum Teil stark widersprüchliche Angaben, und da er, genau wie Donald Trump, seine Steuererklärungen nicht veröffentlicht, wird man die genaue Größe seines Vermögens wohl auch nie erfahren. Der am häufigsten genannte und wahrscheinlichste Wert ist 30 Fantastillionen Taler. Aber wie groß ist die Zahl Fantastillion?
Schüler und Schülerin sitzen an einem Tisch im Klassenzimmer, während ihnen die Lehrerin etwas erklärt
11. Februar, 2025
Die Auseinandersetzung mit politischer Neutralität in Schulen und die Verantwortung von Lehrkräften in gesellschaftlichen Krisensituationen sind von zentraler Bedeutung für die Weiterentwicklung und den Schutz einer demokratischen und menschenfreundlichen Gesellschaft. Der Beutelsbacher Konsens bietet seit Jahrzehnten Orientierung für die politische Bildung in der Schule, auch über den Politikunterricht hinaus. Er betont die Notwendigkeit, kontroverse Themen im Unterricht kontrovers zu behandeln, ohne die Schüler:innen dabei zu indoktrinieren.
Mädchen löst eine Matheaufgabe
22. Januar, 2025
Trotz vielfältiger Maßnahmen in den Bereichen Gendersensibilisierung, Geschlechtergerechtigkeit und Chancengleichheit sind Frauen in Deutschland in MINT-Berufen im Schnitt immer noch unterrepräsentiert. Zwar gibt es mittlerweile Fachgebiete mit paritätischer Verteilung (etwa Biologie, Medizin), aber auch viele Fachgebiete mit weiterhin extrem niedrigen Frauenanteilen (beispielsweise Physik, Ingenieurswissenschaften). Das zeigt, wie wichtig es ist, eine gendersensible MINT-Bildung zu fördern, die Mädchen und junge Frauen gezielt ermutigt, sich in bisher männerdominierten Bereichen auszuprobieren und langfristig Fuß zu fassen.
Bild eines Schülers mit VR-Brille
16. Januar, 2025
Kann die Zukunft uns verzaubern? Oft blicken wir mit gemischten Gefühlen auf das, was vor uns liegt. Doch Trend- und Zukunftsforscher wie Matthias Horx ermutigen uns, die Möglichkeiten von morgen nicht nur als mitunter Angst einflößende Herausforderung, sondern auch als vielversprechende Chance zu sehen. Sein Buch Der Zauber der Zukunft lädt dazu ein, sich mit einem positiven Blick auf Veränderungen einzulassen – ein Gedanke, der gerade für Lehrkräfte spannend ist. Doch wie können wir diese Perspektive auch in die Klassenzimmer bringen?
Mit dem DESI-Instrument in Arizona wird gegenwärtig eine dreidimensionale Karte der Position und Bewegung vieler Millionen Galaxien erstellt
27. November, 2024
Der Erkenntnisfortschritt der modernen Kosmologie verlief in den letzten zwei, drei Jahrzehnten rasant. Und doch sind die Konsequenzen äußerst kurios. Noch tappt die Wissenschaft vom Universum buchstäblich im Dunkeln, denn der Hauptbestandteil des Alls ist rätselhaft.
Strahlend heller Sonnenschein am klaren blauen Himmel mit ein paar zarten, dünnen Wolken im Hintergrund.
25. November, 2024
Wie fängt man Sonnenlicht am besten ein? Das ist nicht nur bei der Aufstellung von Photovoltaikanlagen wichtig, sondern auch für die Sonnenenergiewandler der Pflanzen, also bei ihren Blättern und deren Verzweigung und Ausrichtung. Es ist nicht vorteilhaft, wenn sie sich gegenseitig im Wege stehen und beschatten. Die Blattstellung folgt einem geometrischen Muster, das, mathematisch betrachtet, mit Spiralen, Selbstähnlichkeit, Fibonacci-Zahlen und dem Goldenen Winkel zu tun hat.
Mehrere Hände, die in einem Klassenzimmer vor einer Tafel mit mathematischen Formeln in die Luft gehoben sind
15. November, 2024
Bildungsdiskussionen in Deutschland sind immer auf Messers Schneide: Auf der einen Seite müssen wir darüber sprechen, was wir eigentlich erreichen wollen. Auf der anderen Seite soll es nicht in langwierige Diskussionen über abstrakte Begriffe abdriften. Was vonnöten ist, ist ein Kern, der die Diskussion bestimmt. Dieser liegt darin, warum wir noch Schulen haben. Sie sind Orte des Lernens – oder sollten es sein. Wir brauchen einen Gegenentwurf zu dem traditionellen Schulverständnis.
Energiefresser Internet
28. Oktober, 2024
Das Internet ist zu einem unverzichtbaren Teil unseres Alltags geworden. Wir alle nutzen es, wenn auch zu ganz unterschiedlichen Anteilen, zur Kommunikation, Unterhaltung, Arbeit und Bildung. Doch kaum jemand macht sich Gedanken darüber, wie viel Energie für all diese Dienste und Daten im Netz aufgewendet werden muss.