Wie groß ist der Radius der Erde? Fallen alle Objekte mit derselben Geschwindigkeit? Und warum erscheinen die Farben eines Regenbogens immer in der gleichen Reihenfolge? Bei all dem Wissen, das uns das Internet heute in Sekundenschnelle wie auf einem goldenen Tablett präsentiert, vergessen wir allzu oft, welch jahrhundertealte Geschichte hinter so manchen Fakten steckt – und wie viel Versuch und Irrtum.
Ein Beitrag von Silke Panten
Die menschliche Neugierde begleitet uns seit jeher. Sie hat uns in ferne Länder gebracht, auf den Mond und darüber hinaus. Sie hat uns in den menschlichen Körper blicken lassen und in die Tiefen der Meere. Und sie hat uns etliche Experimente durchführen lassen, um den großen Fragen der Wissenschaft auf den Grund zu gehen. Der renommierte Autor Philip Ball nimmt uns in seinem Buch Experimente mit auf eine faszinierende Reise durch die Geschichte der wissenschaftlichen Entdeckungen. Er zeigt uns, wie Experimente unser Verständnis der Welt revolutioniert haben und dass wir Menschen dabei zumeist alles andere als strukturiert vorgegangen sind, sondern dass die bahnbrechendsten Erkenntnisse oft eher planlos und zufällig zustande kamen.
Der Ursprung der Farben
Warum wandelt ein Prisma Licht in ein vielfarbiges Spektrum um? Und warum folgt dieses Spektrum der immer gleichen Ordnung? Das Rätsel des Regenbogens wurde von Isaac Newton auf seinem Familiensitz gelöst, während im restlichen England die Pest wütete. Newton führte Licht durch ein Prisma und beobachtete, dass es sich in verschiedene Farben aufspaltete. Er stellte fest, dass das weiße Licht in seine Bestandteile – die Farben des Regenbogens – zerlegt wurde.
Um seine Beobachtungen zu bestätigen, führte Newton einen weiteren Versuch durch, bei dem er das durch das erste Prisma zerlegte Licht durch ein zweites Prisma leitete. Er erkannte, dass die Farben nicht weiter zerlegt wurden, sondern wieder zu weißem Licht zusammengeführt werden konnten. Dies zeigte ihm, dass die Farben im weißen Licht bereits vorhanden sind und nicht durch das Prisma erzeugt werden. Newton schloss daraus, dass weißes Licht aus einer Mischung verschiedener Farben besteht und dass das Prisma die Farben lediglich voneinander trennt, das Licht also in die verschiedenen Farben des Regenbogens aufspaltet.
Die Interpretation, dass Sonnenlicht nicht elementar, sondern zusammengesetzt ist, war zu dieser Zeit durchaus gewagt. Durch diese Experimente und die darauf basierenden Theorien konnte Newton allerdings einen wesentlichen Beitrag zur Optik und zu unserem Verständnis von Licht leisten und legte den Grundstein für die moderne Astrophysik. Außerdem konnte er so das Phänomen Regenbogen erklären, das lediglich durch die Brechung und Reflexion von Licht durch Regentropfen entsteht, die wie Miniaturprismen wirken.
Die Chemie der Atmung
Der französische Chemiker Antoine Lavoisier hatte es sich zur Aufgabe gemacht, das Phänomen der Atmung zu entschlüsseln. Dafür führte er eine Reihe systematischer Experimente durch, die die Rolle von Sauerstoff und den Prozess der Oxidation enthüllten. Seine ersten Experimente führte er an Vögeln in versiegelten Glasglocken durch. Er wollte herausfinden, wie sich die eingeschlossene Luft durch die Atmung der Tiere veränderte. Heute können wir uns das Ergebnis denken – die Vögel erstickten –, doch im 18. Jahrhundert verhalf dieses Experiment zu der Erkenntnis, dass sich zwar das Volumen der Luft unter der Glasglocke nicht verändert hatte, wohl aber ihre Zusammensetzung.
In weiteren Experimenten, die er auch an Menschen durchführte, konnte Lavoisier so mit erstaunlicher Genauigkeit bestimmen, welcher Teil sich von „atembarer Luft“ (Sauerstoff) in „fixe Luft“ (Kohlendioxid) verwandelte.
Lavoisier wusste, dass „fixe Luft“ etwa auch beim Verbrennen von Kohle entstand, und fragte sich nun: Ist Atmung nur eine Art von Verbrennung? Hier allerdings stieß er auf die Grenze seiner Experimente. Dennoch legten Lavoisiers Arbeiten den Grundstein für das moderne Verständnis der Stoffwechselbiochemie der Atmung und der Rolle von Sauerstoff in biologischen Prozessen.
Die Intelligenz der Regenwürmer
Können wir Intelligenz selbst in „niederen“ Tieren feststellen? Dieser Frage versuchte niemand Geringeres als Charles Darwin in zahlreichen Beobachtungen und teils skurril anmutenden Experimenten auf den Grund zu gehen. So stellte er zum Beispiel Regenwürmer in mit Erde gefüllten Töpfen auf sein Klavier, um ihre Reaktionen auf den Klang verschiedener Noten zu beobachten. Oder er untersuchte, wie die Tiere auf verschiedene Gerüche, etwa Tabak und Essig, reagierten.
Gleichzeitig beobachtete er die Tiere über viele Jahre hinweg in seinem Garten und sammelte systematisch Daten über ihre Lebensweise, ihre Nahrungsvorlieben und ihre Interaktionen mit der Umwelt. So errechnete er, dass Regenwürmer im Laufe eines Jahres in einem Hektar Land bis zu 8 Tonnen Erde bewegten. Er schätzte, dass diese Tätigkeit über einen langen Zeitraum sogar ganze Gebäude begraben konnte. Fasziniert davon, was langsame, aber stete Arbeit erreichen konnte, erkannte er zudem, dass die Tiere die Öffnungen ihrer Röhrengänge keineswegs instinktgesteuert und zufällig mit Blattwerk verschlossen, sondern dass ihr Vorgehen von einer gewissen Intelligenz zeugte.
Zwar konnte er die Motivation hinter den Aktionen der kleinen Tiere nicht mit Sicherheit bestimmen, doch durch seine Experimente konnte Darwin zeigen, dass Regenwürmer eine entscheidende Rolle bei der Bodenbildung und -erhaltung spielen. Seine Arbeiten verdeutlichten die ökologischen Dienstleistungen dieser oft übersehenen Lebewesen und trugen zur Anerkennung ihrer Bedeutung für das Ökosystem bei.
Buch
Tipp
Experimente. Versuch und Irrtum in der Wissenschaft
Die vorgestellten Versuche sind nur drei der sechzig wegweisenden Experimente quer durch die Geschichte der Naturwissenschaft, die Philip Ball uns in seinem reich bebilderten Buch Experimente auf spannende Weise beschreibt. Sein Buch gibt nicht nur Einblicke in die von Irrungen und Wirrungen geprägten Wege der Forschenden, sondern auch in die technischen Fortschritte, die nötig waren, um den Geheimnissen der Natur und des Universums auf die Spur zu kommen.
Philip Ball: Experimente. Versuch und Irrtum in der Wissenschaft. Haupt Verlag, 240 S., 38 Euro, 2024