Die Anschaffung von Unterrichtsmitteln ist oftmals eine kostspielige Angelegenheit. Auf der Suche nach Alternativen, die zudem die Selbstständigkeit, Kreativität und das handwerkliche Geschick von Kindern fördern, lohnt sich der Blick über Ländergrenzen hinweg. So zeigt der informelle Sektor in den wirtschaftlich ärmeren Ländern unserer Erde Improvisationstalente und einen innovativen Reichtum, den man in der formalen Schule westlicher Staaten oft vergeblich sucht. Not macht erfinderisch – sie provoziert Einfälle auch für scheinbare Abfälle, und es gibt offenbar nichts, was sich nicht durch Recycling herstellen lässt.
Ein Beitrag von Dr. Karl Porges und Hans Schmidt
In vielen Ländern der Welt gibt es nur begrenzte Lernmöglichkeiten vor Ort. Oft mangelt es bereits an den einfachsten Lehr- und Lernmitteln für einen anschaulichen und anregenden Unterricht. Manche Schulen bieten gerade das Allernotwendigste: ein Schulgebäude mit Dach gegen
Regen und Sonne, Bänke zum Sitzen, rohe Bretter als Tische, Tafel und Kreide. Kritiker*innen beklagen zudem, dass viele Schulen nicht nur Orte der materiellen Armut, sondern in deren Folge auch der methodischen Monotonie sind, der Unterrichtsablauf durch Anschreiben, Abschreiben, Auswendiglernen und Wiedergeben bestimmt wird. „Copycopy“ oder „talk and chalk“ wird dieses Ritual zuweilen genannt. Warum also sollte man die Improvisationstalente und den innovativen Reichtum des informellen Sektors nicht nutzen, um eben jene materielle Misere und damit auch die methodische Monotonie zu ändern?
Not macht erfinderisch
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass es auch in Deutschland Zeiten gab, wo aus der Not heraus nach Möglichkeiten gesucht wurde, um dennoch den Unterricht anschaulich gestalten zu können. Schließlich kam der Schulbetrieb nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges nur langsam wieder auf die Beine. Dieser historische und auch der aktuelle Ideenreichtum anderer Länder ist dabei voller pfiffiger, einfacher Lösungen, die es zu entdecken und zu nutzen lohnt. Alternativen, die zudem inspirieren, sind also denkbar. So gilt das Interesse von Bildungspolitiker*innen und Entwicklungsexpert*innen in einigen wirtschaftlich ärmeren Ländern nicht nur der Fortbildung von Lehrkräften, sondern auch der systematischen Herstellung von sogenannten angepassten Lehrmitteln, die aus lokalen Materialien preiswert und innerhalb kürzester Zeit hergestellt werden können. Eine Idee, die auch hierzulande hilfreich scheint. Nicht zuletzt, da in der wohlversorgten pädagogischen Konsumgesellschaft das gekonnte und selbstverständliche Improvisieren oft unberücksichtigt bleibt.
Improvisieren lernen im handlungsorientierten Unterricht
Die Arbeit mit biologischen Modellen gehört zum naturwissenschaftlichen Unterricht. Schließlich dienen Modelle dazu, die Realität zu interpretieren. Interessant wird Unterricht aber erst dann, wenn Kinder selbstständig Hand anlegen, sie Modelle bauen, mit ihnen arbeiten und an ihnen lernen können. Beteiligt man Schüler*innen also am Herstellungsprozess, lassen sich nicht nur die Freude am Fach, sondern auch Initiative, Kreativität und das handwerkliche Geschick fördern. Fächerverbindendes oder fächerübergreifendes Arbeiten wie das Anwenden erlernter Fertigkeiten u. a. aus dem Fach Werken bieten sich hier an. Im handlungsorientierten Unterricht lässt sich so in einfacher, improvisierter Studienqualität fast kostenlos Abstraktes ganz nebenbei „begreifbar“ machen. Dabei sind der Gestaltung keine Grenzen gesetzt: Naturwissenschaftliche Phänomene und biologische Prozesse – vom Aufbau eines Vogelschnabels bis hin zur Funktionsweise des menschlichen Verdauungssystems – lassen sich mit ein wenig Kreativität und Alltagsgegenständen anschaulich darstellen. Ein weiterer Nutzen: Durch die Verwendung und Umwandlung tatsächlicher oder scheinbarer Abfallprodukte in neuwertige Produkte erfahren „wertlose“ Gegenstände eine stoffliche Aufwertung. Diese Wiederverwertung oder das sogenannte Upcycling ist mittlerweile eine Modeerscheinung bei kreativ tätigen Menschen. Die Übertragung auf den Biologieunterricht kann somit an die Alltagserfahrungen der Kinder anknüpfen.
Ideen gefällig?
Lohnenswert ist ferner der Einsatz von Straßenkreide, die an sich ja bereits einen hohen Aufforderungscharakter besitzt. Erhalten Schüler*innen beispielsweise den Arbeitsauftrag, in Gruppenarbeit das Verdauungssystem nach einer Vorlage vergrößert nachzuzeichnen, kann dieses anschließend nicht nur beschrieben, sondern sogar „durchlaufen“ werden. Selbst die Mundwerkzeuge von Insektenköpfen wie der Saugrüssel eines Schmetterlings lassen sich durch Styroporkugeln, Pfeifenreiniger etc. nachbauen. Ein schöner Nebeneffekt: Durch den Werkstattcharakter wird die Lehrkraft zur Lernbegleitung. Dies ermöglicht ein differenziertes Arbeiten in heterogenen Lerngruppen auch bei eventuell vorhandenen Sprachbarrieren. Und die Produkte selbst können anschließend im Schulhaus an geeigneter Stelle ausgestellt werden, wodurch die Lerntätigkeit der Kinder eine Wertschätzung erfährt und ganz nebenbei auch für einen anschaulichen naturwissenschaftlichen Unterricht geworben wird.
Dr. Karl Porges
Dr. Karl Porges ist als Mitarbeiter (Postdoc) an der Friedrich-Schiller-Universität Jena in der AG Biologiedidaktik tätig.
Hans Schmidt
Hans Schmidt hat in vielen Ländern unter anderem in Workshops des Goethe-Instituts Anleitungen für die Herstellung von Lehrmitteln aus lokalen Materialien vermittelt. Seine Sammlung hat er der Universität Jena, AG Biologiedidaktik überlassen. Gezeigt wurde diese auch im Rahmen der Ausstellung „Einfälle für Abfälle“ in vielen Museen in Deutschland.
Literaturtipp
Wie groß ist eine Zelle und wie ist sie aufgebaut? Mit welchen Flossen lenkt der Fisch? Wie funktionieren Stimmbänder? Es ist spannend, wenn man mit allen Sinnen auf Entdeckungsreise geht. Eine Flasche mit Schnüren wird so zum Polypen, Ballons werden zu Muskeln und Streichhölzer zu Chromosomen. Diese und weitere Anregungen finden Sie in: Hans Schmidt, Andy Byers: Biologie einfach anschaulich – Begreifbare Biologiemodelle zum Selberbauen mit einfachen Mitteln. Verlag an der Ruhr, 176 S., 26,99 Euro, 2012.