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MINT braucht Technik – und Geografie!

Seit nunmehr 15 Jahren ist „MINT“ eher ein griffiges Akronym zur Beschreibung der „MINT-Fachkräftelücke“, die die deutsche Wirtschaft bedroht, als ein bildungswissenschaftliches, pädagogisch-didaktisches Konzept. Grund genug, sich das einmal näher anzuschauen.

Ein Beitrag von Dr. rer. nat. Dr. phil. Dierk Suhr

Der Verfasser hat sich daher die Mühe gemacht, die hinter „MINT“ stehenden Fachdidaktiken intensiv daraufhin zu untersuchen, ob erstens eine sinnvolle Synthese wissenschaftstheoretisch überhaupt möglich ist – schließlich ist es nicht selbstverständlich, dass beispielsweise Mathematik-, Biologie- und Technikdidaktik auf gemeinsamen Konzepten beruhen. Wenn eine Synthese denn möglich wäre, schlösse sich zweitens die Frage an, ob ein solches MINT-Konstrukt auch einen pädagogisch- didaktischen Mehrwert bieten würde.

Wir brauchen ein neues Image für die „Nerd-Fächer“

Die Antwort auf beide Fragen lautet „Ja“ – allerdings unter zwei Prämissen: Ein MINTKonzept, das tatsächlich einen Mehrwert böte, müsste sowohl Technik- als auch Geografieunterricht umfassen. Beides sucht man in aktuellen MINT-Konzepten allerdings meist vergeblich: Einen unverkürzten, mehrperspektivischen Technikunterricht, der diesen Namen auch verdient, findet man zumindest an Gymnasien selten, während der Geografieunterricht in den Stundentafeln zunehmend in der Bedeutungslosigkeit verschwindet. Dabei sind es gerade die final orientierte Technik, die aus kausal orientierter naturwissenschaftlicher Erkenntnis erst Handlungsoptionen entwickelt, und der globale Blick der Geografie auf Schlüsselprobleme und Nachhaltigkeitsziele, die den „Nerd-Fächern“ ein neues Image als „Weltretter-Fächer“ verleihen könnten. Dieses „Weltretter-Image“ könnte die Integration des Fachinteresses in das Selbstbild von Schüler*innen erleichtern, die vorberufliche Orientierung damit positiv beeinflussen und ein „Fridays for Future“-Engagement in MINT-Interesse überführen.

Geografie und Technik muss mehr Beachtung geschenkt werden

Dieser Meinung schlossen sich die Verantwortlichen für Bildungspolitik und Curricula-Gestaltung aber bisher offensichtlich nicht an; die geografische Bildung hat hier offenbar ein ähnliches Problem wie die allgemeine Technikbildung: Obwohl sich die Welt heute nur im Zusammenhang globaler Schlüsselprobleme, weltweiter Verflechtungen und menschengemachter Technik verstehen lässt, tun sich beide Disziplinen schwer, diese Tatsache in einen entsprechenden Stellenwert innerhalb des allgemeinbildenden Curriculums umzusetzen. Ernst Kapp, der bereits 1877 mit seinem Werk Grundlinien einer Philosophie der Technik. Zur Entstehungsgeschichte der Kultur aus neuen Gesichtspunkten eine frühe, wenn nicht sogar die erste Technikphilosophie verfasste, war interessanterweise Gymnasiallehrer für Geschichte und – Geografie. 

Zur Lösung globaler Schlüsselprobleme bedarf es der globalen Perspektive der Geografie und der Handlungsperspektive der Technik in MINT (aus: Suhr 2023, S. 243)

Im Jahr 1845 erschien von ihm zunächst das Werk Philosophie oder vergleichende Erdkunde, das 1868 unter dem Titel Vergleichende allgemeine Erdkunde in wissenschaftlicher Darstellung neu aufgelegt wurde, bevor er sich mit den Grundlinien einer Philosophie der Technik aufmachte, eine Kultur- oder Zivilisationstheorie des Menschen zu entwerfen, die ganz auf einem „technischen Weltverhältnis, vom Gebrauch einfacher Werkzeuge bis hin zum modernen Staat“, fußte.

Warum Geografie und Technik „Weltretter-Fächer“ sind

Wenn wir mehr junge Menschen für MINT begeistern wollen, im Sinne unserer Wirtschaft wie unseres ganzen Planeten, dann brauchen wir mehr Geografieunterricht, um globale Probleme wie Klimawandel, Biodiversitätsschwund oder Welternährung aufzugreifen. Und wir brauchen einen mehrperspektivischen Technikunterricht, der über Sachtechnik hinausgeht und auch gesellschaftliche Fragestellungen einbindet. In der Folge erhält MINT die Relevanz, die für Motivation und Interesse unabdingbar ist. Dann können auch junge Frauen diese „Weltretter-Fächer“ besser mit ihrem Selbstbild vereinbaren – und die Erde wird ein besserer Ort.

Literaturtipp

Dierk Suhr: Konzepte einer MINT-Didaktik. Fachdidaktische Analyse und Versuch einer Synthese. Budrich Academic Press, 309 S., 46 Euro, 2023

Autor

Dr. rer. nat. Dr. phil. Dierk Suhr

Dr. rer. nat. Dr. phil. Dierk Suhr ist Diplom-Biologe und promovierte in Biophysik und Technikdidaktik. Als interdisziplinär denkender Mensch und Gründungsgeschäftsführer von Klett MINT brennt er seit Langem für „MINT“. Derzeit ist er als pädagogischer Leiter für den Schul- und Laborausstatter Hohenloher tätig und entwickelt Raumkonzepte für die naturwissenschaftliche und technische Bildung aus pädagogischdidaktischen Perspektiven.

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