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Kann man aus Lichtschaltern einen Computer bauen?

Ein raffiniertes Konzept könnte die elementarsten Arbeitsschritte eines Rechners auf eine völlig neue Grundlage stellen – aber das wird voraussichtlich nicht passieren.

Ein Beitrag von Dr. Christoph Pöppe

Ein Computer addiert zwei Zahlen im Prinzip so, wie wir es in der Grundschule gelernt haben: von rechts nach links, also von der niederwertigsten Stelle zur höchstwertigen. Das muss so sein, denn an jeder Stelle könnte es einen Übertrag geben, und der geht in die weitere Rechnung ein. Der Computer macht es im Binärsystem: 0 + 0 = 0, 0 + 1 = 1 + 0 = 1, 1 + 1 = 10. Das hilft, weil es an jeder Stelle nur vier Möglichkeiten gibt und diese
leicht durch logische Verknüpfungen auszudrücken und damit durch elektronische Schaltungen zu realisieren sind. Mit geeigneter Hardware könnte der Computer diese Verknüpfungen eigentlich für jede Binärstelle zugleich ausführen – wenn das Problem mit den Überträgen nicht wäre. Also rechnet er eine Stelle nach der anderen – 32 Stück beim Standardformat für ganze Zahlen, knapp 64 für die doppeltgenauen Gleitkommazahlen – und braucht entsprechend viel Zeit. Da das Addieren und das von ihm hergeleitete Multiplizieren den weitaus größten Teil
seiner Tätigkeit ausmacht – ein bisschen Vergleichen und vom Ergebnis abhängiges Verzweigen kommen auch noch dazu –, würde es die Arbeit enorm beschleunigen, wenn eine solche Operation in einem einzigen statt in 32 oder 64 Zeitschritten zu bewältigen wäre. Ideal wäre eine Schaltung, die das Ergebnis ihrer Rechnung bereits dann am Ausgang abliefert, wenn am Eingang die beiden Summanden in Form elektrischer Spannungen vorliegen.

Der Kreuzschalter macht’s möglich

Das geht! Zumindest im Prinzip. Der Karlsruher Mathematiker Wolfgang Hinderer hat eine entsprechende Schaltung entworfen. Die entscheidende Zutat ist ein Bauteil, das in Abermillionen von Wohnhäusern bescheiden seinen Dienst tut: der Kreuzschalter oder Treppenhausschalter. Der Strom fürs Treppenhauslicht kann auf zwei Wegen zur Lampe fließen; ein Kreuzschalter lenkt den Strom vom einen Weg auf den anderen um oder auch nicht, mit dem Effekt, dass man den Schalter unten betätigen kann, und das Licht geht an, und den Schalter oben an der Wohnungstür ebenfalls, und das Licht geht wieder aus. Licht brennt genau dann, wenn beide Schalter verschieden stehen: geradeaus und überkreuz oder umgekehrt. Im Computer würden die Eingangsdaten für die Addition eingegeben, indem jedes Bit „seinen“ zugehörigen Kreuzschalter stellt: geradeaus für die Null, überkreuz für die Eins. In diesem Moment liegt das Ergebnis der Addition bereits vor, zumindest wenn es nur einstellige Binärzahlen zu addieren gilt. Dann ist nämlich das Ergebnis in der Einerstelle genau dann 1, wenn einer der beiden Eingänge 1 ist, und in der binären 10er-Stelle (der „Zweierstelle“) genau dann, wenn beide Eingänge 1 sind. In der Sprache der Aussagenlogik ist also einmal die

Verknüpfte Kreuzschalter

Verknüpfung XOR (ausschließendes Oder) und einmal AND (Und) zu realisieren. Dazu genügt es, die beiden zugehörigen Kreuzschalter in Serie beziehungsweise parallel miteinander zu verdrahten (siehe Kasten „Verknüpfte Kreuzschalter“). Eigentlich ist man es gewohnt, aussagenlogische Verknüpfungen aus den logischen Operatoren AND, OR (nicht ausschließendes Oder) und NOT (Nicht) zusammenzusetzen. Die passen zu den elementaren Operationen Durchschnitt, Vereinigung und Komplement aus der Mengenlehre, und man kann jede logische Funktion durch sie ausdrücken. Aber was man mit AND, OR und NOT sagen kann, kann man auch mit AND und XOR sagen, und in dem genannten Fall der Addition einstelliger Binärzahlen geht das sogar eleganter. Zu allem Überfluss hat die Menge {0, 1} mit den Verknüpfungen XOR (Addition) und AND (Multiplikation) die algebraische Struktur des Ringes ℤ2 der ganzen Zahlen modulo 2.

So funktioniert es

Nun kann man zwei Kreuzschalter entweder in Reihe oder parallel verdrahten, aber nicht beides zugleich; der elektrische Strom würde auf Irrwege geraten. Man möchte aber dasselbe Paar Kreuzschalter (Eingabedaten) sowohl für die Operation XOR als auch für AND verwenden. Es hilft, sich anstelle der elektrischen Ströme Eisenbahnzüge vorzustellen. Ein Kreuzschalter entspricht einer Doppelkreuzweiche, jenem Bauteil, das Züge von zwei Eingangsgleisen auf zwei Ausgangsgleise leitet, und zwar entweder geradeaus oder überkreuz. Der Addier-(XOR-)Zug und der Multiplizier-(AND-)Zug nutzen dasselbe Paar von Doppelkreuzweichen, fahren jedoch zwischendurch über gewöhnliche Weichen. Eine solche Weiche erkennt jeden herannahenden Zug an einem Etikett, das er an seiner Front trägt, und lenkt ihn davon abhängig auf den richtigen Weg.
Für elektrische Ströme lässt sich dieses Prinzip mit Methoden der Rundfunktechnik realisieren. Das Etikett ist eine Trägerfrequenz, die dem elektrischen Strom aufmoduliert wird. Eine Weiche ist ein Filter, der nur Ströme durchlässt, die die richtige Frequenz enthalten. Es schadet nicht, wenn unterwegs ein Frequenzgemisch durch die Leitung fließt.

Warum das Verfahren nicht realisiert wird

Ähnlich verschachtelte Schaltungen hat Hinderer für die Multiplikation und das Vergleichen zweier Binärzahlen entwickelt. In der Tat liegt in jedem Fall das Ergebnis der Operation bereits vor, wenn die Eingabedaten in Gestalt der Kreuzschalterstellungen vorliegen; nur das Ablesen ist mit einer Folge von Modulationen und Filterungen verbunden. Seinen unbestreitbaren Vorteilen zum Trotz wird das Verfahren aller Voraussicht nach nicht realisiert werden. Das alte umständliche Verfahren ist über Jahrzehnte hinweg so optimiert worden, dass die Rechengeschwindigkeit alle elf Jahre um einen Faktor 1.000 zugelegt hat. Diesen Aufwand wird wohl keine Firma für das neue Verfahren nochmals betreiben wollen. Dieses Schicksal teilt Hinderers Konzept mit etlichen anderen, was namentlich die Betreiber der schnellsten Supercomputer intensiv beklagen.

Lesetipp

Christoph Pöppe: „Computer aus Treppenhaus-Lichtschaltern“. Spektrum der Wissenschaft 9/2021, S. 66–72

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