In einem spannenden Forschungsprojekt der Freien Universität Berlin werden Honigbienen zu Verbündeten, um den schädlichen Umwelteinflüssen von Agrargiften auf die Spur zu kommen.
Ein Beitrag von Dr. Madlen Ziege, Vorständin Aurelia Stiftung
Die Honigbiene Apis mellifera ist eine ganz besondere Biene. Im dunklen Bienenstock findet sie sich nicht nur über ihren feinen Geruchssinn zurecht. Auch Bewegungen spielen eine große Rolle – sowohl bei der Orientierung als auch in der Kommunikation mit den Artgenossinnen.
Vor allem wenn es um das Finden von Futter geht, legen sich die kleinen Insekten so richtig ins Zeug. Sie beginnen emsig im Kreis zu laufen und heftig mit den Flügeln zu vibrieren. Mit diesem sogenannten Schwänzeltanz zeigen sie sich gegenseitig an, wo es gute Nahrungsquellen gibt.
Die Idee für den Umweltspäher war geboren
Dieses besondere Verhalten der Honigbiene hat sich Prof. Dr. Randolf Menzel von der FU Berlin zunutze gemacht. Er hat ein Gerät entwickelt, das kleinste Veränderungen bei den Bewegungen der Bienen wahrnehmen kann: den Umweltspäher. Die Idee dafür kam Professor Menzel, nachdem er im Jahr 2005 eine aufregende Beobachtung gemacht hatte: Bienen sind elektrostatisch geladen. Wir alle kennen das Phänomen, wenn wir einen Luftballon an unseren Haaren reiben und diese daraufhin abstehen. So ähnlich geht es den Bienen, wenn sie beim Fliegen mit geladenen Partikeln und Luftmolekülen in Kontakt kommen: Ihr Pelz lädt sich elektrisch auf. Auch innerhalb des Bienenstocks „elektrisieren“ sich die kleinen Hautflügler gegenseitig, indem sie sich berühren und mit ihren Flügeln vibrieren. Hier setzt die Idee für den Umweltspäher an: „Wenn ein
geladener Körper sich bewegt, entsteht ein elektrostatisches Feld. Wie wir herausgefunden haben, können die Bienen diese Felder wahrnehmen; sie nutzen sie für ihre Tanzkommunikation“, erklärt Professor Menzel. Durch intensive Untersuchungen wissen die Forschenden heute genau, wie die cleveren Insekten beim Schwänzeltanz Richtung und Entfernung anzeigen. Der Umweltspäher misst und zeichnet alle Änderungen in den elektrostatischen Feldern auf. „Wenn die Bienen tanzen, können wir sie belauschen“, fasst Professor Menzel die Funktionsweise des Geräts zusammen.
Pestizide verursachen „Insekten-Alzheimer“
Bisher wissen wir nur sehr wenig über das Ausmaß von Pestizidbelastungen und die Folgen für Menschen, Tiere und Pflanzen. Denn die dafür nötigen Laboranalysen sind sehr aufwendig, kosten viel Geld und können deshalb immer nur punktuell durchgeführt werden. Auch Imker*innen
können es sich nicht leisten, ihren Honig ständig testen zu lassen. Hier hilft der Umweltspäher, denn die Forschenden haben noch einen weiteren wichtigen Zusammenhang herausgefunden: Kommen Bienen mit Pestiziden in Kontakt, verändert sich ihr Verhalten. Bereits Kleinstmengen von
wenigen Nanogramm führen dazu, dass die Bienen nur noch schlecht navigieren können, die Orientierung verlieren und nicht mehr sicher nach Hause finden. Professor Menzel fasst die Wirkung
von Pestiziden als „Insekten-Alzheimer“ zusammen. Auch die Bewegungen der Bienen während des Schwänzeltanzes verändern sich durch Agrargifte oder werden sogar ganz eingestellt. Diese Veränderungen im Bienenstock kann der Umweltspäher für die Forschenden sichtbar machen. Die Messungen zeigen deutlich, wie sich das Verhalten der Bienen unter dem Einfluss von Pestiziden verändert. Insbesondere Neonicotinoide, eine Gruppe von synthetisch hergestellten Insektiziden, beeinflussen das Nervensystem von Insekten. Stellen die Bienen ihren „Bienentanz“ abrupt für eine bestimmte Region ganz ein, ist das ein Hinweis, dass diese Region für sie eine Gefahr darstellt, weil beispielsweise zu viele Pestizide im Einsatz sind. Der Umweltspäher kann somit als Frühwarnsystem im Bienenstock dienen und den Wissenschaftler*innen wichtige Informationen sowohl über schädliche Bedingungen in der Umwelt als auch über die Gefährdung der Bienen zugänglich machen. Von diesem Frühwarnsystem profitieren natürlich auch alle anderen Insekten in der Gegend.
Künstliche Intelligenz für den Umweltschutz
Mittels eines bundesweiten Netzwerks aus Umweltspähern ließen sich viel gezielter Daten darüber sammeln, wie stark die Bienen durch den Einsatz von Pestiziden gefährdet sind. Es bräuchte in jedem Imkerverein nur ein besonders engagiertes Mitglied, das den Umweltspäher betreut
und die Daten regelmäßig mit dem Handy übermittelt. Doch genau darin liegt das Problem: Die schiere Masse an Rohdaten, die der Umweltspäher sammelt, ist für das Team von Professor Menzel und die beteiligten Imker*innen bisher schwer auszuwerten. Zusätzlich zu den elektrostatischen Signalen misst der Umweltspäher nämlich auch andere Werte wie die Innentemperatur des Bienenstocks und sein Gewicht. Sowohl die Übertragung als auch die Auswertung dieser gigantischen Datenmengen stellt die Forschenden vor Herausforderungen. Daher arbeiten sie daran, die Auswertung durch intelligente, lernfähige Programme zu optimieren. Vielleicht wird schon bald künstliche Intelligenz zusammen mit der natürlichen Schwarmintelligenz der Bienen für einen besseren Umweltschutz sorgen.
Aurelia – Es lebe die Biene
Das weltweite Bienen und Artensterben bedroht unsere Lebensgrundlagen und stellt uns vor existenzielle Herausforderungen. Um dem wirksam
entgegenzutreten, widmet sich die Aurelia Stiftung qualifizierter Forschungs-, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit. So hat sie ebenfalls einen Umweltspäher im Betrieb und arbeitet seit Beginn des Projektes eng mit Professor Menzel zusammen.