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Erstmals wurde ein Planetoid beschossen, um seine Umlaufbahn zu verändern. Der Test hat gezeigt, dass sich die Menschheit künftig gegen Meteoriteneinschläge aus dem Weltraum wehren kann.

Ein Beitrag von Rüdiger Vaas

Die Frage lautet nicht, ob ein Planetoid oder Kometenkern die Erde trifft, wie es bereits unzählige Male geschehen ist, sondern wann. In Erdnähe sind mehr als 10.000 Planetoiden mit einem Durchmesser von über 140 Metern bekannt, darunter mehr als 850 mit über 1.000 Metern Durchmesser. Keiner davon ist momentan auf einem langfristigen Kollisionskurs, aber das kann sich ändern. Außerdem wurden bislang die Bahnen von höchstens zwei Dritteln dieser NEOs (Near-Earth Objects) bestimmt. Ließe sich der Orbit eines bedrohlichen NEOs jedoch beispielsweise um 2 Zentimeter pro Sekunde ändern, würde er ein Jahrzehnt später die Erde verfehlen. Dass dies keine Science-Fiction ist, sondern heute schon funktioniert, hat eine Weltraummission mit dem trefflichen Namen DART (Double Asteroid Redirection Test) nun schlagkräftig demonstriert. Es war die erste Mission in der Menschheitsgeschichte, die das Ziel hatte, einen Kleinplaneten aus seiner Bahn zu lenken. 

Ein Zwilling als Ziel

DART startete am 24. November 2021 mit einer Rakete vom Typ Falcon 9. Die 330 Millionen Dollar teure Mission wurde
vom Johns Hopkins Applied Physics Laboratory in Laurel, Maryland, gebaut und betrieben; die Idee stammt von Andy Cheng. Ziel von DART war der 163 Meter lange, 2003 entdeckte Planetoid Dimorphos. Er umkreist im Abstand von lediglich 1,1 Kilometern einen anderen, etwa 780 Meter
großen Planetoiden namens Didymos. Dieser war bereits 1996 gefunden worden und umrundet die Sonne auf einer stark elliptischen Bahn einmal in 770 Tagen. Diese ist um 3,4 Grad gegen die Erdbahnebene geneigt und hat eine Sonnenentfernung vom 1,013- bis zum 2,275-Fachen
der Erde. Das Doppelsystem ist daher keine Bedrohung für die Erde, sondern kann sich dieser momentan auf allenfalls knapp 6 Millionen Kilometer nähern – dem 15-Fachen der Distanz unseres Mondes. DART hatte nur ein wissenschaftliches Instrument an Bord: die 8,7 Kilogramm
schwere Kamera DRACO (Didymos Reconnaissance and Asteroid Camera for Optical navigation) an einem 21-Zentimeter-Spiegelteleskop. Zusammen mit einem System zur Flugkontrolle und einer speziellen Software war DRACO dafür ausgelegt, Dimorphos eigenständig aufzuspüren und gezielt anzufliegen. Eine Steuerung von der Erde aus wäre nicht möglich gewesen. Am 27. Juli 2022 entdeckte DRACO das Didymos-System aus rund 32 Millionen Kilometer Entfernung, worauf DART den Kurs anpasste. Dimorphos selbst wurde erst aus 22.000 Kilometer Distanz identifiziert, eine Stunde vor der geplanten Kollision. Und dann ging alles sehr schnell.

Volltreffer!

DART nahm das Ziel ins Visier und sandte Fotos der von Steinen und Staub vollständig bedeckten Gerölllandschaft. Das letzte komplett übertragene Bild, gefunkt zwei Sekunden vor dem Crash, zeigte 3 Zentimeter kleine Details pro Pixel. Am 27. September 2022 um 1.14 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit kollidierte die DART-Sonde frontal mit Dimorphos. Der Aufprall erfolgte mit einer Geschwindigkeit von 22.000 Kilometern pro Stunde. Nach einer 11 Millionen Kilometer langen Reise war der automatisch gesteuerte Kamikaze-Flug punktgenau zu Ende.
DART war mit 550 Kilogramm ein Leichtgewicht verglichen mit den rund 5 Milliarden Kilogramm von Dimorphos. Aber es ist nicht nur die Masse m, sondern auch die Geschwindigkeit v, die bei Kollisionen wirksam wird – genauer: der lineare Impuls p, das Produkt von Masse und Geschwindigkeit (p = mv). Er betrug zwar nur etwa 0,5 Prozent von Dimorphos’ Impuls, doch das reichte aus, um dessen Geschwindigkeit messbar zu ändern. Denn die kinetische Energie (E = mv2/2) von DART war enorm. Sie betrug beim Aufprall etwa 10 Milliarden Joule. Das entspricht einer Sprengkraft von 3 Tonnen TNT. Und das ist nicht alles. Durch die Kollision entstand ein Krater auf dem Planetoiden, und ein Teil seines Oberflächenmaterials wurde ins All geschleudert – vermutlich mehr als das 100- Fache der Masse von DART. Gemäß Isaac Newtons Gesetz „Aktion gleich Reaktion“ führt ein solcher Ausstoß zu einer Gegenkraft. Dadurch wurde Dimorphos zusätzlich verlangsamt. Es war, als hätte der Kleinkörper kurz einen eigenen Raketenmotor gezündet.

Staub und Schweif

Um festzustellen, wie schnell und in welchen Mengen DART Material aus Dimorphos herausschlug, nahmen den Planetoiden über drei Dutzend Sternwarten auf der Erde in den Fokus sowie im Weltraum das James Webb Space Telescope und das Hubble-Teleskop. Direkt vor Ort war die italienische Kleinsonde LICIACube (Light Italian CubeSat for Imaging of Asteroids). Das nur 14 Kilogramm schwere Gerät ist zusammen mit DART gereist, quasi huckepack, hat sich 15 Tage vor der Kollision von der Muttersonde getrennt und passierte Dimorphos in 56,7 Kilometer Minimaldistanz drei Minuten nach dem DART-Einschlag. Von dessen Folgen glückten mit zwei einfachen Bordkameras 640 Aufnahmen aus
weniger als 700 Kilometer Entfernung. Die Fotos zeigen eine sich ausdehnende Trümmerwolke, die das Sonnenlicht reflektierte, sowie Staubschwaden von einer erstaunlichen Größe und Komplexität. Dimorphos beziehungsweise seine Umgebung wurde mehrere Stunden lang um das 16-Fache heller. Die seitlichen Staubfächer lösten sich in den folgenden Tagen auf. Aber bereits 78 Stunden später war ein über 8.000 Kilometer langer Staubschweif zu erkennen, der immer länger wurde, sich zudem teilte und auch Ende Januar 2023 noch fotografiert werden konnte. Vermutlich war das freigesetzte Material komplett beim DART-Einschlag ins All entwichen und nicht erst nach und nach. Indessen geht die Datenauswertung weiter. So zeigten DART-Fotos, dass die Fliehkräfte am Äquator von Didymos aufgrund seiner enormen Rotationsperiode von 2 Stunden und 16 Minuten ausreichen, um Steinchen ins All zu schleudern. Und Spektralmessungen der vier 8,2-Meter-Riesenteleskope der Europäischen Südsternwarte legen nahe, dass nach dem DART-Einschlag zunächst feine, dann größere Partikel von Dimorphos ins All katapultiert wurden; sie enthielten aber keine Spuren von Wassereis. Im Gegensatz zu Kometen sind diese Planetoiden also knochentrocken

Erfolgreiche Bahnablenkung

Weil sich Dimorphos von der Erde aus gesehen immer wieder durch den Schatten von Didymos bewegt und anschließend diesen beschattet, kommt es zu einer geringfügigen Abnahme der Gesamthelligkeit des Paars. Die Himmelskonstellation war der Grund, warum Dimorphos überhaupt als Ziel für die DART-Mission ausgewählt wurde. Denn es ist viel schwieriger festzustellen, ob und wie sich der Orbit eines Einzelplanetoiden um die Sonne geringfügig verändert. Vier Teleskope in Chile und Südafrika maßen die Helligkeitsschwankungen. Daraus ließ sich die Orbitalgeschwindigkeit errechnen: Die Kollision mit DART hat den Planetoidenmond etwas näher an Didymos gedrückt, was aufgrund des größeren Gravitationseinflusses dazu führte, dass Dimorphos nun schneller seine Runden zieht. Seine Umlaufzeit hat sich um etwa 32 Minuten (Unsicherheit plus/minus 2 Minuten) auf 11 Stunden und 23 Minuten verkürzt. Das ist mehr, als erwartet wurde. Radardaten vom Goldstone Solar System Radar in Kalifornien und dem Green Bank Observatory in West Virginia haben das Resultat bestätigt. 

Planetare Verteidigung

Um Dimorphos aus der Nähe zu studieren und seinen neuen Einschlagskrater zu inspizieren, will die Europäische Raumfahrtagentur ESA Ende 2024 eigens eine Raumsonde starten: Hera. Sie wird zurzeit in Bremen gebaut und soll 2026 den Doppelplanetoiden erreichen. Erst dann werden
sich die Auswirkungen des DART-Crashs und die Beschaffenheit von Dimorphos genau klären lassen. An Hera angeflanscht werden zwei Kleinsatelliten namens Juventas und Milani mitfliegen; Ersterer soll versuchen, auf Dimorphos zu landen. Nur etwa 40 Prozent der erdnahen Planetoiden mit der ungefähren Größe von Dimorphos sind bekannt. Wenn solche Brocken einen dicht besiedelten Ort träfen, würde eine ganze Stadt vernichtet. Noch ist die Menschheit nicht dagegen gerüstet. Aber DART hat demonstriert, dass sich NEOs tatsächlich ablenken lassen. Zwar betrug die Bahnänderung von Dimorphos nur 4 Prozent. Doch ein solcher „Schubser“ könnte die Erde retten – vorausgesetzt, er erfolgt rechtzeitig. Das stimmt zuversichtlich: Wir sind den außerirdischen Naturgewalten nicht mehr völlig schutzlos ausgeliefert.

Rüdiger Vaas

Rüdiger Vaas ist Philosoph, Publizist, Dozent sowie Astronomie- und Physik-Redakteur beim Monatsmagazin bild der wissenschaft und Autor von 14 Büchern, zuletzt Einfach Hawking! (Kosmos, 2021).

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