Pinguine in der Antarktis zählen, Galaxie-typen identifizieren oder Tiere der Seren-geti bestimmen – Citizen Science bietet vielfältige Möglichkeiten zum Mitforschen für Schüler*innen.
Ein Beitrag von Prof. Dr. Julia Lorke
Forschendes Lernen wird vor allem in MINT-Fächern gefordert. Jedoch stellt dieser Ansatz Lehrkräfte unter regulären Unterrichtsbedingungen vor Herausforderungen. Forschungsprozesse lassen sich oft schlecht in der begrenzten Unterrichtszeit oder mit den in der Schule zur Verfügung stehenden Ressourcen an Betreuung und Materialien umsetzen. Mit Schüler*innen Forschungsfragen zu entwickeln, die sich realistisch unter Unterrichtsbedingungen untersuchen lassen, ist nicht einfach; erst recht nicht, wenn die Ergebnisse auch außerhalb des Unterrichts Relevanz besitzen sollen.
Authentische Forschung in der Schule
Citizen Science bietet einen hilfreichen Ansatz für Lehrkräfte, um authentische Forschung im Schulkontext umzusetzen. Es gibt vielfältige Citizen-Science-Projekte, die sich unter anderem in ihrem Partizipationsgrad unterscheiden. Projekte des Typs co-created sind echte Grassroots-Projekte, bei denen Bürger*innen alle Phasen des Forschungsprozesses (mit)gestalten. Sogenannte contributory Citizen-Science-Projekte hingegen ermöglichen das Mitforschen für Bürger*innen in bestimmten Schritten des Forschungsprozesses. Dabei handelt es sich meist um die Schritte des Datensammelns und/oder erste Datenanalysen. Lerngruppen können so an authentischen Forschungsprojekten mitforschen, jedoch liegt die Hauptverantwortung bei den Projektverantwortlichen, oft professionellen Wissenschaftler*innen.
Zahlreiche Projekte stehen zur Auswahl
Forschungsfragen sowie Datenerhebungs- und -analysemethoden liegen demnach schon vor; so werden Lehrkräfte im Vergleich zu einem selbst entwickelten Forschungsprojekt im Unterricht entlastet. Oftmals werden auch Informations- oder Unterrichtsmaterialien von den Citizen-Science-Projekten angeboten, die die Umsetzung im Unterricht unterstützen (etwa Plastic Pirates). Da es auch zahlreiche Citizen-Science-Projekte gibt, bei denen die Teilnahme der Citizen Scientists komplett online abläuft, entfallen eventuell vorhandene geografi-sche Beschränkungen bei der Auswahl von Themen. So lassen sich etwa von Deutsch-land aus Pinguine in der Antarktis für das Projekt Penguin Watch zählen.
Die Umsetzung im Unterricht
Wichtig bei der Umsetzung von Citizen Science im Unterricht ist es, den Unterschied des Forschungsansatzes zu anderen Experimenten im Unterricht aufzuzeigen. Dazu können Materialien genutzt werden, die Citizen Science als Forschungsansatz allgemein vorstellen, etwa den Film „Was ist Citizen Science?“ oder die Materialien zu Citizen Science von Umwelt im Unterricht.
Viele Projekte bieten zusätzlich projektspezifische Materialien an, die gezielt in das Thema einführen und die Forschungsaktivitäten anleiten. Für die Schulstunde der Gartenvögel etwa stehen Informationsmaterialien, Mal- und Steckbriefvorlagen sowie Selbsttests und Teilnehmerurkunden der Naturschutzjugend im NABU zur Verfügung. Bruckermann und Mahler (siehe Literaturtipps) bieten einen Unterrichtsvorschlag, bei dem das Erlernen und Einüben fachgemäßer Arbeitsweisen im Biologieunterricht durch Teilnahme an den Online-Citizen-Science-Projekten „Chimp&See“ und „WildCam Gorongosa“ im Fokus stehen.
Das passende Projekt finden
Erste Anlaufstelle für die Projektauswahl, die natürlich auch gemeinsam mit Schüler*innen erfolgen kann, ist die Plattform „Bürger schaffen Wissen“. Hier kann ein Projektkatalog etwa nach Fachrichtung, Region, Onlineteilnahme oder der Eignung für Kinder durchsucht werden.
Zahlreiche, meist englischsprachige online angebotene Citizen-Science- Projekte findet man auf der Zooniverse-Plattform. Nach einer Einführung mit entsprechender Orientierung auf der Plattform ist die Teilnahme durchaus auch mit geringen Sprachkenntnissen möglich.
Ein Ansatz mit großem Potenzial
Die Wirkung von Citizen Science auf die Teilnehmenden wird seit mehreren Jahren erforscht. Dabei werden neben Fachwissen auch Interesse, Motivation und Selbstwirksamkeit untersucht. Zudem rücken die Gelingensbedingungen für eine erfolgreiche Umsetzung zunehmend in den Fokus der Forschung, um die praktische Umsetzung schon während der Projektentwicklung besser zu unterstützen.
Die Teilnahme an contributory Citizen-Science-Projekten kann als Einstieg zu weiterem Engagement führen. Denn ein Vorteil des Forschungsansatzes ist es, dass Schüler*innen bei Interesse auch in ihrer Freizeit weiter mitforschen und weitere Citizen-Science-Projekte entdecken können. Auch wäre als nächster Schritt die Beteiligung an einem Citizen-Science-Projekt oder einem Reallabor mit höherem Partizipationslevel denkbar.
Literaturtipps
Bruckermann, T., Lorke, J. (2021): „Online Citizen Science: Mit digitalen Tools Forschung in den Unterricht bringen“, Unterricht Biologie, 469, S. 44–47.
Bruckermann, T., Mahler, D. (2021): „Online-Citizen-Science-Plattformen zum Mitforschen“. In J. Meßinger-Koppelt, J. Maxton-Küchenmeister (Hrsg.):
„Naturwissenschaften digital. Toolbox für den Unterricht“, Hamburg: Joachim Herz Stiftung, S. 60–63.
Lorke, J. (2021): „Wissenschaft zum Mitforschen – Citizen Science für die Schulpraxis“. In J. Meßinger-Koppelt, J. Plath (Hrsg.): „Miterleben, wie Wissen entsteht: Mit Schülerinnen und Schülern im Unterricht forschen“, Hamburg: Joachim Herz Stiftung Verlag, S. 34–37.
Prof. Dr. Julia Lorke
Lehr- und Forschungsgebiet Didaktik der Biologie an der RWTH Aachen University. In ihre Arbeit bringt sie ihre Erfahrung als Lehrerin, Dozentin, Wissenschaftlerin und Wissenschaftskommunikatorin ein.