Skip to content

Bleiben oder gehen? Wie uns der Klimawandel in Bewegung setzt

Jeder dritte Mensch ist aufgrund des Klimawandels und der damit einhergehenden Bedrohung der Lebensgrundlage ausgesprochen verwundbar – das zeigt der Weltklimarat IPCC in seinem neuesten Sachstandsbericht zum Thema „Klimawandel 2022: Folgen, Anpassung und Verwundbarkeit“. Was das für unsere Zukunft bedeutet und warum das oberste Ziel nicht unbedingt lautet, Migration zu verhindern, klärt dieser Beitrag.

Ein Beitrag von Dr. Kathleen Hermans und Hanna Friedrich

Als eine Folge der klimatischen Entwicklung wandern betroffene Menschen bereits heute in andere Regionen ab. Dabei sind es vor allem der Meeresspiegelanstieg sowie Wetter- und Klimaextreme, beispielsweise lang anhaltende Dürren, die Menschen unmittelbar von ihrem Wohnort vertreiben. Vertreibung durch Extremwetterereignisse ist mittlerweile ein weltweites Phänomen, auch wenn es in erster Linie Bevölkerungen kleiner Inselstaaten im Pazifik und Menschen in Afrika und Asien betrifft. Laut dem Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) werden jährlich mindestens 20 Millionen Menschen aufgrund von Extremwetterereignissen innerhalb ihrer Landesgrenzen vertrieben, das entspricht der Einwohnerzahl Rumäniens. Der größte Teil der Betroffenen legt meist nur kurze Distanzen zurück, im Zusammenhang mit Klimaextremen ist internationale Migration deutlich seltener. Einige Menschen kehren auch, wenn möglich, zu einem späteren Zeitpunkt an ihren Wohnort zurück

Umweltbedingte Migration ist vielfältig

Abwanderung als Folge des Klimawandels hat sehr unterschiedliche Facetten und spielt nicht nur bei Extremwetter eine Rolle. Auch schleichende, über Jahre stattfindende Umweltveränderungen können Migration beeinflussen. In den vergangenen Jahren wurde verstärkt dazu geforscht, wie sich das Migrationsverhalten von Menschen verändert, wenn das Klima sich erhitzt oder die Böden unfruchtbar werden. Dabei haben Forscher*innen festgestellt, dass Umweltveränderungen Migration einerseits begünstigen, andererseits aber auch verhindern können.

Im ländlichen Raum, wo Menschen von der Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen abhängen, ist die Lebensgrundlage besonders gefährdet

Warum ist das so?

In vielen ländlichen Gemeinschaften im globalen Süden hängt das Leben unmittelbar von natürlichen Ressourcen ab. Für ihre Nahrungsmittelproduktion sind Landwirt*innen beispielsweise auf die natürliche Fruchtbarkeit der Böden sowie den Niederschlag angewiesen, da ihnen oftmals Bewässerungssysteme und geeignete Düngemittel fehlen. Wenn sich die Verfügbarkeit von Ressourcen verschlechtert, etwa weil Niederschläge ausbleiben, sind die bäuerlichen Existenzgrundlagen oftmals direkt bedroht. Wenn außer der Landwirtschaft keine anderen Einkommensquellen verfügbar sind, wächst die Notwendigkeit, das Haushaltseinkommen temporär oder langfristig durch Abwanderung sicherzustellen. Dafür kann ein Haushaltsmitglied in der nächsten Stadt arbeiten gehen, oder die ganze Familie zieht dorthin, wo es ausreichend Arbeit gibt. Allerdings können es sich nicht alle Menschen leisten, ihren Wohnort zu verlassen. Migration ist oftmals teuer und funktioniert besser, wenn Menschen in soziale Netzwerke eingebunden sind und sich mit anderen Migrant*innen über ihre Migrationserfahrung austauschen können. Wenn Betroffene weder über Kontakte noch über finanzielle Mittel verfügen, kann der Klimawandel dazu führen, dass sie zwar abwandern möchten, aber nicht können. Dies betrifft in der Regel die Menschen, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind – sie sind zu arm, um abwandern zu können. Ein weiterer Grund, warum Menschen sich gegen die Abwanderung entscheiden, ist die Verbundenheit mit ihrer Heimat. Viele Menschen verspüren gar nicht den Wunsch, ihre Heimat zu verlassen, obwohl sich die ökologischen Rahmenbedingungen verschlechtern. Vielmehr wollen sie Lösungen vor Ort suchen.

Viele Faktoren bestimmen die Migrationsentscheidung

Prinzipiell hat uns die Forschung gezeigt, dass Migration nicht nur vom voranschreitenden Klimawandel beeinflusst wird, sondern von mehreren Kontextfaktoren abhängt, die miteinander interagieren. Finanzielle Mittel, soziale Netzwerke, persönliche Wünsche, politische Institutionen sowie Veränderungen von Klima oder Umwelt beeinflussen Menschen in ihrer Entscheidung, zu bleiben oder zu gehen. Das heißt, obwohl immer mehr Menschen die negativen Folgen des Klimawandels zu spüren bekommen, ist es abhängig von ihren Umständen und Möglichkeiten, ob sie abwandern können oder wollen.

Ob Menschen abwandern, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Nahrungssicherheit, politische Institutionen, finanzielle Mittel, persönliche Wünsche, Ortsverbundenheit etc.

Manche Regionen werden faktisch unbewohnbar

Mit Blick auf die Komplexität und Vielfalt von Migrationsdynamiken sind Zahlen und Prognosen, die klimawandelbedingte Abwanderungsströme messen oder vorhersagen wollen, ausgesprochen schwierig zu erstellen. Eine Vielzahl der bisherigen Versuche, sogenannte Klimaflüchtlinge zu beziffern, haben keine belastbaren Ergebnisse gebracht. Verwendete Zahlen müssen daher immer kritisch auf ihre wissenschaftliche Methodik hinterfragt werden. Vor allem in den Medien ist das Narrativ verbreitet, der Klimawandel treibe mehrere Millionen Menschen nach Europa. Diese Schlagzeilen sorgen immer wieder für Aufmerksamkeit, blenden aber die Komplexität von Migrationsdynamiken aus und informieren nicht ausreichend über die Lebensumstände der Betroffenen. Vielmehr schüren sie häufig Angst vor zurzeit nicht nachweisbaren riesigen Fluchtbewegungen vom globalen Süden in den Norden. Fest steht jedoch, dass es vor dem Hintergrund des voranschreitenden Klimawandels zu einer Zunahme klimabedingter Migration kommt. Weltweit sind stets mehr Menschen vom Klimawandel betroffen, und Tatsache ist, dass manche Regionen im globalen Süden in Zukunft unbewohnbar werden. Allerdings gibt es noch wesentliche Wissenslücken dahin gehend, wie genau diese Abwanderungen aussehen und wie umfangreich sie in Zukunft sein werden.

Was die Politik tun kann

Nicht zuletzt wegen der gängigen Interpretation von Migration als Bedrohung wird in Europa oft gefragt, wie klimabedingte Migration vermieden werden kann. Allerdings ist das nicht unbedingt immer die richtige Frage. Vermeidung von Abwanderung allein macht keinen Sinn, da manche Regionen wie gesagt zukünftig unbewohnbar werden. Migration gehört außerdem schon immer zum Verhalten von Menschen und kann nicht per se als gut oder schlecht bewertet werden. Mobil zu sein oder zu werden, kann sowohl positive als auch negative Effekte für das menschliche Wohlergehen haben. Abwanderung kann eine Anpassungsstrategie sein, um mit schwierigen Lebensumständen zurechtzukommen. Viel wichtiger ist deshalb die Frage, wie Menschen anhand von Migration ihr Wohlergehen steigern können. Politische Lösungsansätze sollten daher darauf abzielen, positive Effekte von Migration zu unterstützen und negative zu minimieren sowie die betroffenen Regionen und Menschen zu unterstützen, beispielsweise anhand von Umsiedlungsmaßnahmen, Unterstützung diverser Formen von Migration sowie Erleichterung sicherer Migrationsbewegungen.

Einkommensquellen außerhalb der Landwirtschaft können eine Anpassungsalternative zu Abwanderung darstellen

Dr. Kathleen Hermans

Wissenschaftlerin am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO)

Hanna Friedrich

Projektassistentin der Nachwuchsforschungsgruppe MigSoKo zum Thema Umweltmigration am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig

Beitrag teilen:

Facebook
Twitter
LinkedIn
Pinterest
XING
WhatsApp
Email

Ähnliche Beiträge

Schüler und Schülerin sitzen an einem Tisch im Klassenzimmer, während ihnen die Lehrerin etwas erklärt
11. Februar, 2025
Die Auseinandersetzung mit politischer Neutralität in Schulen und die Verantwortung von Lehrkräften in gesellschaftlichen Krisensituationen sind von zentraler Bedeutung für die Weiterentwicklung und den Schutz einer demokratischen und menschenfreundlichen Gesellschaft. Der Beutelsbacher Konsens bietet seit Jahrzehnten Orientierung für die politische Bildung in der Schule, auch über den Politikunterricht hinaus. Er betont die Notwendigkeit, kontroverse Themen im Unterricht kontrovers zu behandeln, ohne die Schüler:innen dabei zu indoktrinieren.
Mädchen löst eine Matheaufgabe
22. Januar, 2025
Trotz vielfältiger Maßnahmen in den Bereichen Gendersensibilisierung, Geschlechtergerechtigkeit und Chancengleichheit sind Frauen in Deutschland in MINT-Berufen im Schnitt immer noch unterrepräsentiert. Zwar gibt es mittlerweile Fachgebiete mit paritätischer Verteilung (etwa Biologie, Medizin), aber auch viele Fachgebiete mit weiterhin extrem niedrigen Frauenanteilen (beispielsweise Physik, Ingenieurswissenschaften). Das zeigt, wie wichtig es ist, eine gendersensible MINT-Bildung zu fördern, die Mädchen und junge Frauen gezielt ermutigt, sich in bisher männerdominierten Bereichen auszuprobieren und langfristig Fuß zu fassen.
Bild eines Schülers mit VR-Brille
16. Januar, 2025
Kann die Zukunft uns verzaubern? Oft blicken wir mit gemischten Gefühlen auf das, was vor uns liegt. Doch Trend- und Zukunftsforscher wie Matthias Horx ermutigen uns, die Möglichkeiten von morgen nicht nur als mitunter Angst einflößende Herausforderung, sondern auch als vielversprechende Chance zu sehen. Sein Buch Der Zauber der Zukunft lädt dazu ein, sich mit einem positiven Blick auf Veränderungen einzulassen – ein Gedanke, der gerade für Lehrkräfte spannend ist. Doch wie können wir diese Perspektive auch in die Klassenzimmer bringen?
Mit dem DESI-Instrument in Arizona wird gegenwärtig eine dreidimensionale Karte der Position und Bewegung vieler Millionen Galaxien erstellt
27. November, 2024
Der Erkenntnisfortschritt der modernen Kosmologie verlief in den letzten zwei, drei Jahrzehnten rasant. Und doch sind die Konsequenzen äußerst kurios. Noch tappt die Wissenschaft vom Universum buchstäblich im Dunkeln, denn der Hauptbestandteil des Alls ist rätselhaft.
Strahlend heller Sonnenschein am klaren blauen Himmel mit ein paar zarten, dünnen Wolken im Hintergrund.
25. November, 2024
Wie fängt man Sonnenlicht am besten ein? Das ist nicht nur bei der Aufstellung von Photovoltaikanlagen wichtig, sondern auch für die Sonnenenergiewandler der Pflanzen, also bei ihren Blättern und deren Verzweigung und Ausrichtung. Es ist nicht vorteilhaft, wenn sie sich gegenseitig im Wege stehen und beschatten. Die Blattstellung folgt einem geometrischen Muster, das, mathematisch betrachtet, mit Spiralen, Selbstähnlichkeit, Fibonacci-Zahlen und dem Goldenen Winkel zu tun hat.
Mehrere Hände, die in einem Klassenzimmer vor einer Tafel mit mathematischen Formeln in die Luft gehoben sind
15. November, 2024
Bildungsdiskussionen in Deutschland sind immer auf Messers Schneide: Auf der einen Seite müssen wir darüber sprechen, was wir eigentlich erreichen wollen. Auf der anderen Seite soll es nicht in langwierige Diskussionen über abstrakte Begriffe abdriften. Was vonnöten ist, ist ein Kern, der die Diskussion bestimmt. Dieser liegt darin, warum wir noch Schulen haben. Sie sind Orte des Lernens – oder sollten es sein. Wir brauchen einen Gegenentwurf zu dem traditionellen Schulverständnis.
Energiefresser Internet
28. Oktober, 2024
Das Internet ist zu einem unverzichtbaren Teil unseres Alltags geworden. Wir alle nutzen es, wenn auch zu ganz unterschiedlichen Anteilen, zur Kommunikation, Unterhaltung, Arbeit und Bildung. Doch kaum jemand macht sich Gedanken darüber, wie viel Energie für all diese Dienste und Daten im Netz aufgewendet werden muss.
Mikrophon mit Publikum im Hintergrund
13. August, 2024
Im ersten Teil der Reihe über TED Talks ging es um Gamification-Ansätze im Klassenzimmer, um den „Schüler“ ChatGPT und darum, wie künstliche Intelligenz das Bildungssystem bereichern kann. Inzwischen ist das TED-Universum um einige weitere inspirierende Talks zum Thema Bildung angewachsen – und auch ältere Talks haben nichts an Aktualität verloren, denn der Wandel der Bildungslandschaft scheint ein immerwährendes Thema zu sein. Grund genug, immer mal über den eigenen Tellerrand zu schauen und sich für den eigenen Unterricht inspirieren zu lassen, etwa mit einem neuen Blick auf Tests und Klassenarbeiten.
Welcome Collection London
19. Juli, 2024
Wie groß ist der Radius der Erde? Fallen alle Objekte mit derselben Geschwindigkeit? Und warum erscheinen die Farben eines Regenbogens immer in der gleichen Reihenfolge? Bei all dem Wissen, das uns das Internet heute in Sekundenschnelle wie auf einem goldenen Tablett präsentiert, vergessen wir allzu oft, welch jahrhundertealte Geschichte hinter so manchen Fakten steckt – und wie viel Versuch und Irrtum.
Header_MZ Blogbeitrag_04-2023 (12)
18. Juni, 2024
Eine auf den ersten Blick völlig unförmige Figur wird um eine Achse gedreht. Plötzlich nimmt ihr Schatten die Gestalt einer aus einer Kindersendung wohlbekannten Maus an. Dreht man sie weiter, erscheinen nacheinander die beiden besten Freunde der Maus: ein Elefant und eine Ente. Wie kann das sein?
Header_MZ Blogbeitrag_04-2023 (11)
28. Mai, 2024
Inmitten der fortschreitenden Debatte über nachhaltige Mobilität ist der Verbrennungsmotor nach wie vor ein zentraler Akteur auf deutschen Straßen und macht den Verkehrssektor zu einem der größten CO2-Verursacher. Um den Klimawandel zu stoppen, müssen wir den CO2-Ausstoß jedoch reduzieren. Die Nutzung erneuerbarer Energien wie Solarenergie, Windenergie, Wasserkraft und Geothermie anstelle von fossilen Brennstoffen könnte genau dazu beitragen. Der Verkehrssektor könnte durch die Umstellung von Verbrennungsmotoren auf Elektroantriebe oder sogenannte E-Fuels nahezu emissionsfrei sein und somit die Umwelt und das Klima schützen und das Leben auf unserem Planeten nachhaltiger gestalten.
Blogbeitrag_Fachkräftemangel
14. Mai, 2024
Obwohl die Digitalisierung ist in den letzten Jahrzehnten viele Bereiche unseres Lebens verändert hat, ist die Integration digitaler Technologien in Bildungseinrichtungen noch nicht so weit fortgeschritten, wie es sich so manche Lehrkraft und so manche Schüler:in wünschen würde. Dabei werden ebendiese Schüler:innen von heute die IT-Fachkräfte von morgen sein.