Es scheint ein Charakteristikum des fortschreitenden 21. Jahrhunderts zu sein, dass unser Alltag geprägt ist von globalen Krisen, die von der Menschheit nur dann gelöst werden können, wenn sie sich kollektiv intelligent verhält. Ob und wie das gelingen kann, ist mit Sicherheit auch eine Frage unseres Bildungssystems.
Ein Beitrag von Ulli Weisbrodt
Moment: Was hat das mit 3-D-Druck zu tun? Um diese Frage zu beantworten, möchte ich Ihnen reale Situationen rund um meinen Unterricht beschreiben.
3-D-Druck wirkt begeisternd
Mittwoch, 8 Uhr. In meiner 7. Klasse teile ich selbst gedruckte Zellmodelle aus. Schnell verlassen die Schüler*innen die inhaltliche Ebene und fragen, ob ich die Modelle selbst gedruckt habe. Vielleicht wollen sie zwar einerseits nur meine bekannte „Schwäche“ für diese Technologie ausnutzen, um nicht mehr über die biologischen Inhalte sprechen zu müssen. Ich meine aber, echtes Interesse erkennen zu können. „Dürfen wir so etwas auch mal drucken?“, fragen sie. Ich antworte: „Ja, diejenigen, die sich zu Hause in das CADProgramm einarbeiten, können so etwas drucken. Ich lade euch die Anleitungen auf unsere Lernplattform.“ Der anschließende Biologieunterricht profitiert von diesem kleinen Zwischenfall. Mittwoch, 9:35 Uhr. Meine 10. Klasse
entwickelt im Fach Naturwissenschaft und Technik einen Fahrroboter.
Eine Gruppe benötigt eine spezielle Sensorhalterung. Sie beginnt mit einer Ideenskizze, dazu gebe ich meine Einschätzung ab. Es folgt eine Optimierung und eine technische Zeichnung mit den genauen Maßen, parallel überträgt ein Schüler die Form in das CADProgramm. Wir arbeiten mit OpenSCAD, einem kleinen Open-Source-Programm, die Einarbeitungszeit beträgt etwa vier Schulstunden. Nach 30 Minuten ist ein Prototyp entworfen und kann gedruckt werden. Die Halterung hat eine Druckzeit von 30 Minuten, verbraucht 10 Gramm Filament und passt direkt. In der Zwischenzeit wurde der Fahrroboter weiterprogrammiert. Die Gruppe fühlt sich wohl, sie hat Selbstwirksamkeit erfahren dürfen.
Download
Die fünfteilige Anleitung zu OpenSCAD sowie den Weg von der Planung hin zum fertigen Zellmodell können Sie sich hier herunterladen:
3-D-Druck fördert Kernkompetenzen
An diesen Unterrichtsbeispielen ist erkennbar: 3-D-Drucken ist hochmotivierend und fördert dabei zentrale Kompetenzen. Es muss systematisch gedacht und geplant, präzise konstruiert und zielgerichtet kommuniziert werden. Die für die Schule einsetzbaren Geräte mit Einhausung kosten weniger als 400 Euro, wir haben mittlerweile sechs Geräte, sodass man auch mit einer Gruppe von 30 Personen keinen Flaschenhalseffekt mehr hat. Das in Schulen
zu verwendende PLA-Filament (polylactic acid) ist ebenfalls erschwinglich und ökologisch einigermaßen okay. Die unterrichtlichen Konzepte dazu sind erprobt. Weitere CAD-Programme, die an Schulen eingesetzt werden, heißen FreeCAD, Tinkercad und Fusion 360. Alle laufen auf PC/Laptop, für das iPad können Tinkercad als Webanwendung oder die App Shapr3D verwendet werden.
Mit Acrylfarbe und Pinsel bemaltes Zellmodell; hochwertigere 3-D-Drucker können jedoch auch zweifarbig drucken © Ulli Weisbrodt
Schülerinteressen ins Zentrum rücken
Donnerstag, 13:20 Uhr. Im Lehrerzimmer verbringt eine Handvoll Lehrkräfte die Mittagspause. Wir haben ein wenig Zeit, kommen ins Gespräch. Schnell sprechen wir darüber, wie belastet sowohl die Schüler*innen als auch die Lehrkräfte in diesen Zeiten sind. Eigentlich geht es allen darum, dieser Generation von Lernenden in mehreren Dimensionen wieder Stabilität zu geben. Wir sind uns schnell einig, dass sich dazu Schule ändern muss. Wir kommen auf folgende Leitfragen: Für was interessiert sich diese Generation, was sind ihre Wünsche und Ängste? Wie können wir Unterricht organisatorisch und inhaltlich daran anpassen? Wir entwerfen ein Schulszenario, das neben fachlich-methodischen Inputs den Schüler*innen genügend Zeit und Raum gibt, ihre eigenen, niveauvollen, vernetzt angelegten Projekte zu entwickeln.
3-D-Druck kann Schule machen
Das 3-D-Drucken ist für mich ein kleiner Baustein eines Unterrichts, wie wir ihn jetzt dringend benötigen: hin zu einem selbstgesteuerten, eigenverantwortlichen Lernen. Wer Ideen entwickelt, sie im Team kommuniziert und auch wieder verwirft oder optimiert, erlebt Adaptivität, eine Schlüsselkompetenz unserer Zeit. Wer ein Projekt erfolgreich abschließt, erfährt Selbstwirksamkeit, was wiederum die Persönlichkeit sich entwickeln und stärker werden lässt. Wer die Teamarbeit anschließend analysiert, lernt sich und andere einzuschätzen, übt Feedback zu geben und zu nehmen. Selbstreflexion heißt diese weitere Schlüsselkompetenz. Das 3-D-Drucken ist zudem eine digitale Querschnittstechnologie, die Fächer vernetzen kann: In einem Fach wird etwas erlernt, in einem anderen zur Anwendung gebracht. Lernende möchten zu Recht Unterricht in verschiedenen Fächern nicht als losgelöst zueinander erleben. Nur wenn Schüler*innen Fachinhalte und -methoden erlernen, um damit anschließend ein komplexeres Problem zu lösen oder gesellschaftliche Entwicklungen zu reflektieren, werden diese für sie bedeutsam.
Und Schule kann Spaß machen
Donnerstag, 15:30 Uhr. Der Einzige, der das Schulgebäude verlassen möchte, bin ich. Meine Schüler*innen der MakerSpace-AG wollen unbedingt noch ihr 3-D-Objekt fertigstellen und ausdrucken. Ich denke mir wie jede Woche: ‚Schade, dass solche AG-Angebote am Nachmittag liegen müssen.‘ Wieso bieten wir nicht alles, was die Schüler*innen motiviert, morgens um 8 Uhr an? Stellen Sie sich das einmal vor: Schüler*innen, die morgens gerne früh aufstehen, weil sie sich auf die Schule freuen. Eine schöne und entlastende Vision, oder?
Ulli Weisbrodt