Die Zukunft der Milchstraße wird turbulent – erst stößt sie mit der Andromeda-Galaxie zusammen, später auch mit der Triangulum-Galaxie. Hier ein Vorausblick auf den Crash der Sterneninseln.
Ein Beitrag von Rüdiger Vaas
Seit dem Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren dehnt sich der Weltraum ununterbrochen aus und die Galaxienhaufen entfernen sich immer weiter voneinander. Doch im kleineren kosmischen Maßstab, also in der Größenordnung weniger Millionen Lichtjahre, hält die Gravitation die Sterneninseln zusammen. Dies trifft auch auf unsere kosmische Heimat zu, die „Lokale Gruppe“. Das haben astronomische Messungen nun klar nachgewiesen.
Das Schicksal unserer Galaxiengruppe
Mindestens 80 Galaxien – überwiegend Zwerge – mit insgesamt etwa fünf Billionen Sonnenmassen gibt es in der Lokalen Gruppe. Beherrscht wird sie von drei Spiralgalaxien: unserer Milchstraße, der noch größeren, 2,5 Millionen Lichtjahre fernen Andromeda-Galaxie (M 31) und der 2,6 Millionen Lichtjahre entfernten Triangulum-Galaxie (M 33), auch Dreiecksnebel genannt. Beide sind nach den Sternbildern benannt, in denen sie sich befinden. Wie sich die Lokale Gruppe entwickelt – ob sie sich in den nächsten Jahrmilliarden auflöst oder aber kollabiert –, hängt hauptsächlich von der Milchstraße und M 31 ab. Dass sich M 31 dem Sonnensystem nähert, wurde bereits 1912 gemessen. Inzwischen ist die Radialgeschwindigkeit auf knapp 120 Kilometer pro Sekunde bestimmt. Doch das ist nur die Relativbewegung entlang der direkten Verbindungslinie zwischen Milchstraße und M 31. Diese eindimensionale Sicht ist unzureichend, weil sich die beiden Galaxien überdies seitlich zueinander bewegen. Daher muss man auch diese sogenannte Tangentialgeschwindigkeit sowie den Winkel kennen, was sich viel schwerer messen lässt. Davon hängt ab, ob sich die Galaxien frontal treffen, ob sie wie bei einem Streifschuss aneinander vorbeifliegen oder sich in einer größeren Distanz passieren und dann in einer Schleife umkehren – oder ob sie sich sogar verfehlen und für immer voneinander entfernen, sodass sich die Lokale Gruppe schließlich in den Tiefen des Alls zerstreut.
Neueste Messungen geben Auskunft
Inzwischen helfen Präzisionsmessungen von Sternbewegungen in M 31 und M 33 durch das Hubble-Weltraumteleskop und den Astrometriesatelliten Gaia, das Problem im Wesentlichen zu lösen. Das ist besonders das Verdienst von Roeland van der Marel vom Space Telescope Science Institute in Baltimore, Maryland, und seinem Team. Ihm gelang es erstmals auch, die Rotation der Andromeda- und Triangulum-Galaxie zu messen. Demnach wird es wohl in 4,5 Milliarden Jahren zu einem engen Vorbeiflug mit lediglich 400.000 Lichtjahren Abstand zwischen den Zentren von M 31 und unserer Galaxis kommen. Dabei spielt der Reibungsverlust durch das intergalaktische Medium noch kaum eine Rolle. Alsbald kehren die abgebremsten Sternenkolosse um, rasen auf gekrümmten Bahnen erneut aufeinander zu und verformen und verwirbeln sich. Das geschieht umso schneller, je größer die Dichte der Materie zwischen den Galaxien ist. „Dann werden die Sternpopulationen der beiden Galaxien miteinander vermischt, und sie verlieren ihre flache, pfannkuchenartige Gestalt“, sagt Astronomieprofessorin Gurtina Besla von der Columbia University in New York. „Auch die inneren Regionen der Galaxien werden verschmelzen und ein Gewimmel aus zufällig verteilten Sternenbahnen bilden.“ Die Folge: Eine riesige elliptische Galaxie entsteht.
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Eine spannende Bildstrecke über die Zukunft der Milchstraße und ihrer Nachbarn finden Sie hier:
Kollision mit Milchstraße ist sicher
Noch sind die Messunsicherheiten und Diskrepanzen für eine präzise Charakterisierung der Andromeda-Bahn groß, dennoch stimmen schon jetzt alle neueren Analysen mit einer Signifikanz von etwa 95 Prozent überein. Mehr noch: Es steht nun fest, dass die Lokale Gruppe gravitativ gebunden ist, sich also nicht zerstreuen wird. Mit anderen Worten: An der Karambolage der Milchstraße mit M 31 führt kein Weg vorbei. Zur Kollision von Sternen kommt es höchstwahrscheinlich nicht. Deren Distanzen sind relativ zu ihrem Durchmesser so riesig, dass sich die Galaxien in dieser Hinsicht berührungslos durchdringen. Anders verhält es sich mit den interstellaren Gas- und Staubwolken. Sie bilden heftige Stoßfronten aus und werden komprimiert oder verwirbelt. Durch diese Turbulenzen erhöht sich die Sternentstehungsrate enorm. Ein paar Dutzend Jahrmillionen nach dem wie in Zeitlupe ablaufenden Crash der Galaxien blühen überall helle junge Sternhaufen auf und verleihen dem Trümmerfeld neuen Glanz.
Galaxienverschmelzung in zehn Milliarden Jahren
Wie lange es bis zur Galaxienverschmelzung dauern wird, ist unklar. Mit Computersimulationen hat Riccardo Schiavi von der Universität La Sapienza in Rom mit seinem Team nun verschiedene Modelle durchgerechnet. Am wahrscheinlichsten geschieht es in zehn Milliarden Jahren. Bei einer Fast-Frontalkollision vergehen bis dahin sogar nur fünf Milliarden Jahre. Die Riesengalaxie wird auch weiterhin die supermassereichen Schwarzen Löcher im heutigen Zentrum der Milchstraße und von M 31 beherbergen, die eine Masse von vier beziehungsweise sogar 140 Millionen Sonnen besitzen. Das ungleiche Paar wird immer schneller aufeinander zuspiralisieren. Innerhalb von nur 17 Millionen Jahren wird es kollidieren und verschmelzen, so Schiavis Berechnungen. M 33 wird im Lauf der nächsten Jahrmilliarden weder M 31 noch die Milchstraße direkt treffen, sondern das verschmelzende Paar in einer weiten Umlaufbahn umrunden. Dessen Anziehung und der Reibungsverlust durch das intergalaktische Gas führen dazu, dass schließlich auch M 33 in die Riesengalaxie stürzt und darin aufgeht.
Rüdiger Vaas
ist Philosoph, Publizist, Dozent sowie Astronomie- und Physik-Redakteur beim Monatsmagazin bild der wissenschaft und Autor von 14 Büchern, zuletzt Einfach Hawking! (Kosmos, 2021).