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Schwarmverhalten – lieber gemeinsam als einsam

Nicht nur wir Menschen mögen und brauchen Gesellschaft, das Gleiche gilt für viele Tiere. In der Gemeinschaft nutzen sie Sinne und Intelligenz der vielen. So werden Fähigkeiten entwickelt, die ein Individuum allein nicht hat.

Ein Beitrag von Dr. Inge Kronberg

Eine Gemeinschaft von Tieren kann eine Verwandtschaftsgruppe sein, die lebenslang zusammenbleibt und sich die Aufgaben bei Nahrungssuche, Verteidigung und Brutpflege teilt. Dies ist etwa in einem Staat von Bienen oder Ameisen der Fall. Es gibt auch kleinere Familiengruppen wie das Rudel bei Wölfen oder Löwen, die sich untereinander kennen und ihren Jagderfolg gemeinsam steigern. In einer Herde leben dagegen Tiere zusammen, die weder der gleichen Familie noch der gleichen Art angehören müssen. Eine Herde schützt vor allem Weidetiere vor dem Zugriff von Raubtieren, erfahrene Individuen können dabei die Rolle eines Leittiers übernehmen. Ein Schwarm von Vögeln, Fischen oder Insekten ist ebenfalls eine große, weitgehend anonyme Gruppe. Es gibt kein dauerhaftes Leittier und trotzdem bewegt sich der Schwarm wie eine unsichtbar verbundene Einheit in Luft oder Wasser. Dabei bilden sich auffallend dynamische, dreidimensionale Formen. Viele Tierarten bilden Schwärme allerdings nur vorübergehend auf der Suche nach Futterplätzen, Überwinterungsplätzen oder in der Paarungszeit. Schwarmverhalten lässt sich gelegentlich auch bei Menschen beobachten.

So kommt es zur Schwarmbildung

Tipp: Schwarmverhalten im Unterricht simulieren

Mit einer Schulklasse lässt sich das Schwarmverhalten großartig praxisnah simulieren. Am besten filmt man die Bewegung für eine anschließende Diskussion. Konkrete Anregungen zur didaktischen Umsetzung finden Sie hier:

Damit die typische Bewegungskoordination eines Schwarms entstehen kann, müssen die Mitglieder feinste Bewegungen in der Umwelt wahrnehmen. Nur so können sie Abstand, Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung der unmittelbaren Nachbartiere verfolgen. Vögel registrieren Luftbewegungen über Sensoren am Federansatz, bei Fluginsekten sind es Antennen und Borsten, Fische erfassen feinste Wasserstrudel über ihr Seitenlinienorgan, also Hautsinne entlang der linken und rechten Körperseite. Einzeltiere im Schwarm bemühen sich um Nähe zu den Nachbartieren, bleiben aber so weit entfernt, dass sie weder zusammenstoßen noch ihre Bewegungsfreiheit einschränken. Dazu müssen Einzeltiere nicht direkt miteinander kommunizieren, sondern lediglich auf die durch das jeweilige Nachbartier verursachten Umweltveränderungen reagieren. Jedes Tier weiß nur etwas von seiner unmittelbaren Umgebung, aber nichts vom ganzen Schwarm. Niemand gibt Befehle, jedes Individuum des Schwarms kann eine Richtungsänderung in der Nachbarschaft auslösen. Das kann ein erfahrenes Schwarmtier sein, das den Weg oder Nahrungsquellen bereits kennt; es kann ein besonders aufmerksames oder schreckhaftes Schwarmtier sein, das eine Gefahr bemerkt hat, ein besonders vitales, das etwas schneller unterwegs ist, oder ein erschöpftes, langsameres Einzeltier, das den Schwarm ausbremst. Experimente zeigen, dass schon eine Bewegungsänderung von etwa 5 Prozent der Schwarmmitglieder ausreicht, um den ganzen Schwarm umschwenken zu lassen. Dadurch kommen die spektakulären Bewegungswellen zustande. So komplex das auch aussieht, es lässt sich mathematisch einfach simulieren: Schwarm = Zusammenhalt + Absonderung + Ausrichtung.

Schwarmbeobachtung in der Praxis

Stare

Ein alljährliches Schauspiel ist die Schwarmbildung von Staren vor ihrem Zug Richtung Mittelmeer. Schon im August beginnen junge und unverpaarte Stare, sich zu sammeln. Von Tag zu Tag werden die Gruppen größer, bis sich etwa im Oktober Schwärme von Tausenden gebildet haben. Wenn sie abends an ihren Schlafplätzen in Schilfregionen einfallen, sieht es aus wie eine dynamische schwarze Wolke. Ein fliegender Star orientiert sich in seiner Bewegung an den Mitfliegern in seiner unmittelbaren Umgebung. Dabei versucht er synchron zu bleiben, ohne an den Außenrand des Schwarms zu gelangen. Dadurch bewegt sich der Schwarm fast wie ein zusammenhängender Organismus. So finden auch unerfahrene Schwarmmitglieder den Weg zu den Überwinterungsregionen, und Greifvögel haben es schwer, einen einzelnen Vogel zu fixieren und zu erbeuten.

Fische

Ein alljährliches Schauspiel ist die Schwarmbildung von Staren vor ihrem Zug Richtung Mittelmeer. Schon im August beginnen junge und unverpaarte Stare, sich zu sammeln. Von Tag zu Tag werden die Gruppen größer, bis sich etwa im Oktober Schwärme von Tausenden gebildet haben. Wenn sie abends an ihren Schlafplätzen in Schilfregionen einfallen, sieht es aus wie eine dynamische schwarze Wolke. Ein fliegender Star orientiert sich in seiner Bewegung an den Mitfliegern in seiner unmittelbaren Umgebung. Dabei versucht er synchron zu bleiben, ohne an den Außenrand des Schwarms zu gelangen. Dadurch bewegt sich der Schwarm fast wie ein zusammenhängender Organismus. So finden auch unerfahrene Schwarmmitglieder den Weg zu den Überwinterungsregionen, und Greifvögel haben es schwer, einen einzelnen Vogel zu fixieren und zu erbeuten.

Zuckmücken

Anders als Vögel oder Fische haben Schwärme männlicher Zuckmücken und Stechmücken keine gemeinsame gerichtete
Bewegung. Sie ähneln von Weitem eher Rauchwolken und haben auch schon Anlass zu falschem Feueralarm gegeben. Männliche Mücken bewegen sich scheinbar regellos auf und ab, dabei geben sie Summgeräusche und Pheromone ab, die Weibchen zur Paarung in den Schwarm locken. Das Schwarmverhalten ähnelt eher einer schwappenden Flüssigkeit, die sich wechselnd zur Mitte konzentriert und dann wieder verteilt. Je weiter außen die Mücken sich befinden, umso größer ist ihr Drang, zum Zentrum zu fliegen. Dieses Verhalten lässt sich mit einem mathematischen Modell (Langevin-Gleichung) nachahmen, das man auch zur Simulation der Selbstgravitation stellarer Systeme oder für die Brown’sche Molekularbewegung einsetzt.

Schwarmintelligenz vs. Schwarmdummheit

Das Leben im Schwarm hat durchaus Vorteile: Der Schwarm entwickelt Fähigkeiten, die ein Individuum allein nicht hat. Ein Schwarm sieht nicht nur imposant aus, sondern hat auch viele Augen und Sinne, entdeckt also eher Gefahrensituationen oder Nahrungsquellen. Im Windschatten und Sog der anderen lässt sich Bewegungsenergie sparen. Das Leben ist also einfacher und sicherer. Daher kann sich ein Schwarm situationsbedingt auch aus Individuen bilden, die ansonsten eher allein oder in Staaten leben: Bienen schwärmen zur Paarungszeit oder wenn ein Staat zu groß geworden ist. Marienkäfer schwärmen auf der Suche nach Überwinterungsplätzen. Ameisenkolonien folgen der intensivsten, also kürzesten Geruchsspur; damit orientieren sie sich besser, als eine einzelne Ameise es könnte.

Nachteile im Schwarm sind die erhöhte Konkurrenz des Einzeltiers um Raum oder Nahrung oder bei der Paarung. Menschen zeigen Schwarmverhalten, wenn sie nach einem Fußballspiel das Stadion verlassen und sich dabei durch die Massen zum Ausgang treiben lassen; sie können aber auch Opfer einer Massenpanik werden. Internetportale wie Wikipedia zeigen, dass weitgehend anonyme Einzelpersonen ein riesiges lexikalisches Wissen zusammentragen können. Andererseits verbreiten sich sensationelle, aber oft falsche Informationen in sozialen Netzwerken besonders schnell, große und beliebte Accounts können einen Schwarm Fans unbemerkt lenken. Schwarmintelligenz kann also auch zur Schwarmdummheit werden.

Dr. Inge Kronberg

ist promovierte Biologin, Fachautorin und Wissenschaftsjournalistin. Sie schreibt in Lehrbüchern und Fachzeitschriften über aktuelle Themen aus der Ökologie, Genetik und Evolutionsbiologie. Im Schulbereich ist sie als Autorin von Natura Oberstufe, Markl Biologie und verschiedenen Unterrichtsheften tätig.

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