Die vertraute Wohnumgebung bietet mit ihren Gebäuden, Plätzen und Parks immer wieder Anlass, diese unter mathematischen Gesichtspunkten zu erkunden. Im vorliegenden Beitrag werden beispielhaft hierzu verschiedene Aufgaben vorgestellt.
Ein Beitrag von Christoph Maitzen
Wir Menschen benutzen tagtäglich die gleichen Wege zum Einkaufen, zur Schule oder zur Arbeit. Viele Fassaden oder Ansichten sind uns vertraut. Mathematische Themen wie Symmetrie, Winkel, Flächen, Volumen sowie Schätzen und Runden können Anlass sein, einen anderen – einen mathematischen Blick auf das uns bekannte Wohnquartier zu werfen.
Das Wohnquartier mit einem mathematischen Blick betrachten
Eine Möglichkeit ist es, Schüler*innengruppen mit einem offenen Arbeitsauftrag loszuschicken. Für das Thema Symmetrie könnte der Arbeitsauftrag lauten: „Geht in Dreiergruppen in die nähere Umgebung der Schule und fotografiert mit dem Handy Gegenstände, die Symmetrien zeigen. Ihr habt dafür 30 Minuten Zeit.“ Die Schüler*innengruppen kehren mit einer Vielzahl an Bildern zurück, die sie nun sichten sollen, um zwei bis drei besonders gelungene Bilder auszuwählen und der Klasse anschließend zu präsentieren.
Eine andere Möglichkeit ist es, Schüle*rinnengruppen zu ausgewählten Objekten in der näheren Schulumgebung zu schicken. Der Arbeitsauftrag könnte lauten: „Die Gruppe A geht in die XY-Straße Nr. Z., in der sich ein Fachwerkhaus befindet.
a) Notiere, welche geometrischen Flächen an der Fassade zu sehen sind.
b) Beschreibe und skizziere, welche Symmetrien und welche Symmetrieachsen an der Fassade zu erkennen sind.“
Die Gruppe könnte aufschreiben, dass sie an der Fassade Rechtecke, Dreiecke, verschiedene Halbkreise, Trapeze, Rauten und weitere zusammengesetzte Flächen sowie Flächen sieht, die durch Viertelkreise oder gekrümmte Linien begrenzt werden. Zu den Symmetrien und Symmetrieachsen könnten sie formulieren:
„Achsensymmetrisch sind die Fenster mit den Streben und die verschiedenen in weiß verputzten Formen, d. h. Rechteck, Halbkreise, Trapeze und die zusammengesetzten Flächen zwischen den dunklen Holzbalken. Der Giebel ist als Ganzes achsensymmetrisch gebaut.“ Für die meisten Schüler*innen wird es sicher einfacher sein, die Formen zu skizzieren und die Symmetrieachsen einzuzeichnen.
Größen abschätzen und überschlagen
Hin und wieder sind Gegenstände zu entdecken, die zu groß oder zu klein geraten scheinen, wie hier im Beispiel ein übergroßes Hufeisen. Hier ergeben sich Anknüpfungspunkte für fantasievolle Fragestellungen.
Zu einem Hufeisen an einer Hauswand könnte die Aufgabe lauten: „Die geflieste Fläche hat eine Breite von etwa 6,6 Meter. Schätze durch eine Rechnung ab, wie groß in etwa ‚das Pferd‘ zu dem Hufeisen an der Wand sein müsste.“ Zur Lösung der Aufgabe ist die Breite des Hufeisens an der Wand abzuschätzen, wobei die Fliesenanzahl abgezählt werden kann:
Für ein reales Pferd sind die Hufeisenbreite (ca. 15 Zentimeter) und die Pferdegröße (Widerrist – erhöhter Übergang vom Hals zum Rücken: ca. 1,7 Meter) zu recherchieren.
Mit diesen Werten ergibt sich:
Typische Größen schätzen können
Im Alltag kommt es immer wieder vor, dass die Raumhöhe oder eine Wandlänge abzuschätzen ist. Hier bieten die Maße einer Tür oder eines Fensters Anhaltspunkte für eine erste Abschätzung. Im Außenbereich des Wohnumfelds können Länge und Breite von Mauer- oder Pflastersteinen sowie Gehwegplatten Schätzlängen für die Überschlagsrechnung anbieten. Für den abgebildeten Pflanzkübel könnte die Aufgabe lauten: „Zur Verschönerung von Fußgängerzonen werden vor den Geschäften Pflanzkübel mit einer quadratischen Grundfläche aufgestellt. Die Pflasterung der Fußgängerzone besteht aus Pflastersteinen mit einer Breite von ca. zehn Zentimetern. Schätze mithilfe einer Rechnung das Innenvolumen des Pflanzkübels ab.“
Ausgehend von der angegebenen Pflastersteinbreite ergibt sich sofort für die untere Kante des Pflanzkübels mit vier Pflastersteinen eine Breite von etwa 40 Zentimetern. Der Pflanzkübel hat die Form eines Pyramidenstumpfes. Um die Rechnung einfach zu gestalten, kann das Volumen durch einen Quader mit quadratischer Grundfläche modelliert werden. Die mittlere Breite des Pflanzkübels kann aus der oberen und unteren Kantenlänge gewonnen werden. Das Längenverhältnis im Bild von oberer Kantenlänge zu unterer Kantenlänge beträgt etwa 1,5. Damit ist die obere Kante 1,5 × 40 Zentimeter, also 60 Zentimeter lang. Die mittlere Breite des Pflanzkübels beträgt somit
Auch Gegenstände auf einem Spielplatz wie dieser Durchgang in einer Holzwand (siehe Abbildung) eignen sich für interessante Schätzaufgaben: „Auf einem Kinderspielplatz befindet sich die auf dem Foto abgebildete Holzwand (Höhe 186 Zentimeter, Breite 150 Zentimeter). Der Durchgang ist 122 Zentimeter hoch und an der breitesten Stelle (grün gestrichenes Holz) 72 Zentimeter breit.
a) Berechne, wie groß die Holzfläche ohne Durchgang wäre (Angabe im m²).
b) Schätze durch eine Rechnung ab, wie groß die Fläche des Durchgangs etwa ist.“
Der erste Aufgabenteil stellt eine Annäherung an den Sachverhalt dar und soll die Umwandlung der Längen- bzw. Flächenmaße von Zentimeter in Meter bzw. Quadratzentimeter in Quadratmeter wiederholen. Der Lösungsweg könnte so aussehen:
Für den zweiten Aufgabenteil gibt es grundsätzlich zwei Lösungsmöglichkeiten. Zum einen das Breitenverhältnis von der unteren Durchgangsbreite zur Holzwandbreite aus dem Foto durch Messen zu ermitteln, zum anderen die untere Durchgangsbreite optisch grob orientiert an der
Holzwandbreite abzuschätzen. Die erste Möglichkeit führt zur folgenden Rechnung: Das Breitenverhältnis von der unteren Durchgangsbreite zur Holzwandbreite aus dem Foto beträgt 5 zu 13. Damit ergibt sich für die untere Durchgangsbreite
und damit weiter für die Durchgangsfläche
Die zweite Möglichkeit führt zu folgender Überlegung: Die breiteste Stelle des Durchgangs ist 72 Zentimeter breit, dies ist fast die Hälfte der Gesamtbreite von 150 Zentimetern. Die untere Durchgangsbreite ist aber deutlich schmaler als die breiteste Stelle des Durchgangs. Also vielleicht ein Drittel der Gesamtbreite oder etwas mehr, d. h. 55 Zentimeter. Damit ergibt sich eine Durchgangsfläche von
Die Fläche des Durchgangs liegt dann etwa bei 7.000 Quadratzentimetern oder 0,7 Quadratmetern.
Was bringt es?
Mit den dargestellten Beispielen möchte ich Lehrer*innen anregen, mit ihrer Lerngruppe das eine oder andere Mal eine Erkundung in die nähere Umgebung ihrer Schule oder im Rahmen eines Ausfluges zu unternehmen. Anlässlich des aktuellen Unterrichtsthemas (Winkel, Symmetrie, mathematische Formen oder Körper, Steigung, …) können Schüler*innen in Kleingruppen auf eine mathematische Entdeckungsreise gehen. Nebenbei erfahren die Lernenden, dass es in ihrer Lebensumwelt und in ihrem Wohnquartier viele und unterschiedliche Bezüge zur Mathematik gibt.
Über den Autor
Christoph Maitzen
ist Diplom-Physiker und arbeitet als Gymnasiallehrer für die Fächer Mathematik und Physik an der Ziehenschule in Frankfurt/Main. Er ist Mitherausgeber der Fachzeitschrift „Mathematik 5–10“ (Friedrich Verlag) und aktiv im Verein Mathematik-Unterrichts-Einheiten-Datei (MUED.de). Seit 2008 veröffentlicht er als Autor Fachartikel, Fach- und Schulbücher.