Vom klassischen Lernprogramm bis hin zu Virtual Reality: In den vergangenen Jahren hat sich eine Vielzahl an nützlichen digitalen Tools für den Unterricht etabliert. Allerdings ist es für Pädagog*innen nicht immer leicht zu entscheiden, welche dieser Anwendungen oder Lernumgebungen in ihrem jeweiligen Kontext sinnvoll sind. Von wissenschaftlicher Seite bietet nun eine neue Metaanalyse Orientierung: Sie identifiziert sechs verschiedene Arten von digitalen Tools und untersucht, wie sich ihr Einsatz im Unterricht auf die Leistung und Einstellung von Schüler*innen auswirkt.
Ein Beitrag von Dr. Andreas Hetmanek und Annika Schneeweiss
Die Metaanalyse von Hillmayr und Kolleg*innen aus dem Jahr 2020 untersucht, wie sich der Einsatz von verschiedenen Arten von digitalen Tools im Unterricht auf die Leistung und die Einstellung von Schüler*innen auswirkt – und zwar speziell in den naturwissenschaftlichmathematischen Fächern und in der Sekundarstufe. Auf der Basis von 92 Studien, die sie für die Metaanalyse heranziehen, beschreiben sie sechs verschiedene Typen von digitalen Tools:
- Drill and Practice-Programme: klassische Lernprogramme zur Übung und Wiederholung von Inhalten. Die Lernenden erhalten Rückmeldung zu ihren Antworten oder Lösungen.
- Digitaler Tutor: Diese Programme vermitteln Wissen in Lerneinheiten und bieten die Möglichkeit zum Üben und Vertiefen von Wissen.
- Intelligenter digitaler Tutor: Diese Programme haben eine zusätzliche adaptive Funktion: Die zu vermittelnden Inhalte werden an den aktuellen Wissensstand des Lernenden angepasst, zum Beispiel durch den Schwierigkeitsgrad von Aufgaben oder durch zusätzliche Unterstützung.
- Hypermedia: Hier können Schüler*innen frei und ohne vorgegebene Struktur die Inhalte explorieren. Querverweise und Links zu verschiedenen multimedialen Dokumenten ermöglichen es ihnen, sich selbstreguliert Wissen zu erarbeiten.
- Dynamische mathematische Visualisierungen: Anhand von veränderbaren visuellen Darstellungen können Lernende komplexe mathematische Modelle und Zusammenhänge erkunden.
- Virtual Reality: Diese Anwendungen simulieren eine reale Situation, in der Lernende komplexe Sachverhalte explorieren und nachvollziehen können, wie etwa aufwendige naturwissenschaftliche Experimente.
Der Fokus der Untersuchung liegt auf Tools, die für den Unterricht entwickelt wurden. Computerspiele, die auch unabhängig von Unterricht funktionieren, sind nicht Teil der Untersuchung. Zudem wird untersucht, ob verschiedene Einflussfaktoren und Kontextbedingungen die Anwendungen die Wirksamkeit der digitalen Anwendungen zusätzlich beeinflussen. Sie erfassen beispielsweise, wie viele Schüler*innen gleichzeitig mit einem digitalen Tool arbeiten, ob sie dabei von der Lehrkraft oder von Mitschüler*innen zusätzliche Unterstützung erhalten, ob das Tool ergänzend oder als Ersatz für bestimmte Elemente des Unterrichts eingesetzt wurde und ob die Lehrkräfte für den Einsatz dieser Tools gezielt geschult wurden. Alle diese Studien vergleichen dabei immer Unterricht mit einem digitalen Tool mit Unterricht, der zwar dieselben Inhalte vermittelt, aber ohne digitale Tools gestaltet wird.
Wie genau so eine experimentelle Untersuchung vonstattengeht, zeigt eine beispielhafte Studie aus der Metaanalyse: Im Rahmen der Studie von Frailich, Kesner & Hofstein von 2009 sollten Schüler*innen der zehnten Klasse ein besseres Verständnis von Strukturen chemischer Bindungen – d. h. von Metallen, Ionen- und Molekularverbindungen – vermittelt werden. Für einen Teil der Schüler*innen – der sogenannten Experimentalgruppe – stand eine Website mit strukturierten Materialien zur Verfügung: Sie enthielt visuelle Modellierungen der chemischen Verbindungen und deren Strukturen.
Tipp
Begleitend zur Metaanalyse gibt es auch eine Praxisbroschüre für Lehrkräfte, in der die zentralen Ergebnisse, Umsetzungen und Einsatzmöglichkeiten digitaler Tools anschaulich aufbereitet sind. Sie kann ebenfalls über die Seite des Kurzreviews heruntergeladen werden.
Kurzreview:
Digitale Tools im Unterricht: Welche Typen gibt es und wie kommen sie effektiv zum Einsatz?
www.bit.ly/38gKRnN
Fortbildungen zu digitalen Anwendungen besonders wirksam
Die Lehrkräfte der Experimentalgruppe nahmen vor dem Unterricht an einem Vorbereitungskurs für die Nutzung der Website teil. Die 161 Schüler*innen bearbeiteten die Website mit vier Lerneinheiten zu unterschiedlichen chemischen Stoffen. Sie arbeiteten dabei interaktiv in Kleingruppen aus zwei bis drei Personen. Die 93 Schüler*innen der sogenannten Kontrollgruppe hingegen erhielten Unterricht zu den gleichen Inhalten, nur ohne die Ergänzung um die Website. Im abschließenden Wissenstest schnitten die Lernenden der Experimentalgruppe signifikant besser ab als die der Kontrollgruppe. Die Befunde der Studie lassen darauf schließen, dass die Schüler*innen durch den Einsatz der Website die komplexen Inhalte besser verstehen und lernen konnten.
Fazit für die Unterrichtspraxis
Die Ergebnisse dieser einzelnen Studie decken sich mit den Ergebnissen der Metaanalyse insgesamt: Schüler*innen profitieren auf bedeutsame Weise vom Einsatz der digitalen Tools im Unterricht – und zwar sowohl im Hinblick auf ihre Leistung als auch im Hinblick auf ihre Einstellung dem jeweiligen Unterrichtsfach gegenüber. Auch wenn der Einsatz aller sechs Arten von digitalen Tools im Unterricht positive Effekte hervorbringt, so ist aus den Befunden der Metaanalyse zugleich herauszulesen, dass sich (intelligente) digitale Tutoren und dynamische mathematische Visualisierungen, wie sie zum Beispiel in der Mathematiksoftware GeoGebra angeboten werden, besonders positiv auswirken. Außerdem zeigt die Untersuchung, dass gezielte Trainings oder Fortbildungen für Lehrkräfte, die die digitalen Tools im Unterricht einsetzen, einen klaren Mehrwert
erzeugen. Die verschiedenen digitalen Tools oder Anwendungen sind in allen mathematischnaturwissenschaftlichen Fächern ähnlich hilfreich – hier unterscheiden sich die Befunde zwischen den verschiedenen Fächern kaum. Die digitalen Tools können auch unabhängig vom Alter der Schüler*innen eingesetzt werden, auch wenn sich die leichte Tendenz abzeichnet, dass die Anwendungen in höheren Jahrgangsstufen noch etwas größere Auswirkungen haben.
Weitere Informationen
Das Clearing House Unterricht (TU München) wird im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung vom Ministerium für Bildung und Forschung gefördert. Das Modellprojekt bereitet die aktuell beste wissenschaftliche Evidenz zu Themen des MINT-Unterrichts für die Lehrerbildung auf. www.clearinghouse-unterricht.de