Skip to content

Der Borkenkäfer: Schädling oder Nützling?

Die Waldzustandsberichte der letzten zwei Jahre geben Anlass zur Sorge, belegen sie doch eine dramatische Verschlechterung der bundesdeutschen Forste. Auch für das ungeübte Auge ist es kaum zu übersehen: Der Baumbestand in Deutschland ist in einem schlechten Zustand. Liegt dies am Borkenkäfer?

Ein Beitrag von Dr. Karl Porges, Julia Bierski, Madlin Brümmel, apl. Prof. Dr. Uwe Hoßfeld

Die Presse berichtet und diskutiert wegen des Waldzustandes über den Klimawandel, zu trockene Sommer und auch über den Borkenkäfer (Scolytinae), der als Sündenbock für die missliche Lage der Wälder herangezogen wird. Da jedoch nicht nur der Klimawandel, sondern auch der Baumbestand – bis auf wenige Ausnahmen – anthropogen ist, bleibt die Frage, inwieweit diese Insekten tatsächlich für die Situation im Forst verantwortlich gemacht werden können.

Biologie des Borkenkäfers

borkenkaefer_1 Abb. 1: Waldzustand mit Mortalität und Kronenverlichtung

Die Borkenkäfer, die zur Klasse der Insekten (Insecta) und zur Ordnung der Käfer (Coleoptera) gehören, sind taxonomisch eine Unterfamilie der Rüsselkäfer (Curculionidae). Sie weisen eine zylindrische Körperform und eine gelblich bis rötlich-braune oder dunkelbraun bis schwarze Färbung auf. Sehr kleine Arten sind teilweise unter einem Millimeter groß; die größeren Arten liegen zwischen acht bis 13 Millimeter Körpergröße (Bellmann et al., 2007). Borkenkäferarten brüten und entwickeln sich unter der Rinde oder im Holz von Bäumen oder Sträuchern. Der Befall ist abhängig vom physiologischen Zustand der Wirtspf lanze. Im Regelfall werden kranke Pf lanzen oder frisches Totholz bevorzugt. Dabei sind Borkenkäfer meist auf einen Teil der Pflanze, z. B. Stammteile mit dicker oder dünner Rinde, Äste, Zweige oder Wurzeln, spezialisiert. Hier legen sie ihre Eier in die lebende Gewebeschicht unter der Borke (Bast), die der Transportweg für in Wasser gelöste Nährstoffe ist. Aus den Eiern entwickeln sich Junglarven, die je nach Art den nährstoffreichen Bast (Rindenbrüter) oder mittels symbiotischer Pilze das Holz (Holzbrüter) fressen und bei einem Massenauftreten auch gesunde Bäume zum Absterben bringen können (siehe Abb. 2). Weltweit gibt es über 6.000 Borkenkäferarten, die an fast allen Laub- und Nadelbäumen vorkommen. Viele Arten befallen nur eine oder wenige Wirtsbaumarten, andere haben ein sehr breites Spektrum. In Deutschland kommen etwa 110 verschiedene Borkenkäferarten vor. 

Die beiden häufigsten Fichtenborkenkäfer, die auch zur Massenvermehrung neigen, sind der Kupferstecher (Pityogenes chalcographus) und der mit vier bis fünf Millimeter Länge fast doppelt so große Buchdrucker (Ips typographus) (siehe Abb. 3).

Der Borkenkäfer als Teil des Ökosystems Wald

Die Lebensgemeinschaft Wald setzt sich aus zahlreichen Lebewesen, wie etwa verschiedenen Bäumen, Sträuchern, Kräutern, Gräsern, verschiedenen Säugetieren, Vögeln, Lurchen und Hunderten Tierarten unter der Moosschicht, inklusive zahlreicher Mikroorganismen, zusammen. Dem Borkenkäfer, der ebenso ein integraler Bestandteil natürlicher wie bewirtschafteter Wälder ist, stehen dabei zahlreiche natürliche Feinde (Antagonisten) gegenüber, wie etwa parasitäre Erz- und Schlupfwespen, Jagdkäfer und Spechte. Allerdings ist die Wirkung von Antagonisten bei einem Massenauftreten des Borkenkäfers nicht ausreichend, um seine Ausbreitung einzudämmen. Einen deutlich größeren Einfluss auf die Mortalität der Borkenkäfer haben allerdings Pilze, insofern sie sich bei besonders guten Witterungsbedingungen (warm, feucht) ausbreiten können. Der Wald gilt als relativ stabiles Ökosystem. Nur wenige Nährstoffe verlassen den Kreislauf des Systems, da sie in der Regel wieder umgesetzt werden (Klötzli, 1993). Der Borkenkäfer ist wie viele andere Insekten ein phytophager Organismus, der Pflanzenmaterial frisst, verdaut und damit regulierend auf Energie- und Nährstoffflüsse des Ökosystems einwirkt.

Borkenkäfer sind an ihren Lebensraum angepasst (Gekörnter Fichtenborkenkäfer, Cryphalus abietis)

Da er bevorzugt geschwächte Bäume befällt und zum Absterben bringt, trägt er so maßgeblich zum Abbau von Totholz und zur Gesundheit des Waldes bei. Die auf den Boden fallende, zerkleinerte Rinde und das Holz können leichter von Mikroorganismen zersetzt und Nährstoffe dem System erneut zugeführt werden. Arten, die auf Totholz angewiesen sind, profitieren somit vom Auftreten des Borkenkäfers.

Forstwirtschaft und Waldbau ​

Abb. 2: Fraß- bzw. Brutbild des Buchdruckers (Ips typographus) am Totholz

Ab dem 19. Jahrhundert bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurden reine Fichtenbestände in sogenannten Plantagenwäldern angelegt. Da die Fichte (Gemeine Fichte, Picea abies) schnell wächst, war sie aus wirtschaftlichen Gründen besonders beliebt. Diese anthropogen angelegten Fichtenplantagen beherbergten weitaus weniger Tier- und Pflanzenarten. Zum einen wegen des besonderen Nahrungsangebotes (Nadeln, harzreiches Holz, Zapfen) und zum anderen wegen des weitgehenden Wegfalls einer Strauch- und Krautschicht, die Lebensraum für viele Arten ist. Spätestens seit Ende der 1990er-Jahre zeigte sich eine Abkehr von den Plantagenwäldern hin zu einer ökologisch orientierten Forstwirtschaft. Seitdem setzte man auf den Erhalt der Waldökosysteme als artenreicher Lebensraum und bemühte sich um eine nachhaltige Holzwirtschaft. 

Barrieren, in Form von artenreichen und strukturreichen Wäldern, können die massenhafte Ausbreitung einzelner Arten verhindern. So kann etwa ein Borkenkäfer wie der Buchdrucker nicht so leicht von Fichte zu Fichte gelangen, wenn dazwischen Laubbäume stehen.

Doch trotz dieser Bemühungen ist die Fichte mit 26 Prozent weiterhin die häufigste Baumart in Deutschland. Die Dürre in den Vegetationszeiten 2018 bis 2020 hat nun zunehmend zu kranken und geschwächten Bäumen geführt, was die Vermehrung von Borkenkäfern begünstigte. Ist es notwendig, einen Ausbruch einzudämmen, müssen die befallenen Bäume gefällt und aus dem Wald gebracht werden. Das Eingreifen des Menschen in den Baumbestand aus wirtschaftlichen Gründen bedingt somit eine beständige Forstarbeit.

Fazit

Den Borkenkäfer trifft also letztlich am Zustand des Waldes keine Schuld. Schließlich entwickelt er sich lediglich innerhalb der anthropogen geschaffenen bzw. natürlichen abiotischen und biotischen Umweltbedingungen.

bb. 3: Unterrichtsmodell eines Buchdruckers (Ips typographus) mit Entwicklungsstadien und Fraß- bzw. Brutbild der Firma Somso Modelle GmbH

Literatur

Bellmann, Heiko, Klaus Honomichl, Werner Jacobs und Maximilian Renner (2007).
Biologie und Ökologie der Insekten: ein Taschenlexikon.
4. Aufl. Heidelberg, München: Elsevier, Spektrum, Akademischer Verlag.

Bellmann, Heiko (2018).
Der Kosmos Insektenführer.
Stuttgart: Kosmos.

Bick, Hartmut (1999).
Grundzüge der Ökologie.
3. Aufl. Stuttgart: Fischer.

Bierski, Julia (2020).
Schädling oder Nützling? – Der Borkenkäfer als Unterrichtsgegenstand im Biologieunterricht.
Wiss. Hausarbeit zur Ersten Staatsprüfung, AG Biologiedidaktik Jena.

Klötzli, Frank (1993).
Ökosysteme: Aufbau, Funktionen, Störungen.
3. Aufl. Stuttgart: G. Fischer.

Download
Arbeitsblatt: Borkenkäfer – Schädling oder Nützling? | MINT Zirkel 2-2021

[caldera_form id="CF609bf02346823"]

Beitrag teilen:

Facebook
Twitter
LinkedIn
Pinterest
XING
WhatsApp
Email

Ähnliche Beiträge

MZ-01-23_Beitragsbild (4)
30. Mai, 2023
In einem spannenden Forschungsprojekt der Freien Universität Berlin werden Honigbienen zu Verbündeten, um den schädlichen Umwelteinflüssen von Agrargiften auf die Spur zu kommen.
MZ-01-23_Beitragsbild (3)
26. Mai, 2023
Erstmals wurde ein Planetoid beschossen, um seine Umlaufbahn zu verändern. Der Test hat gezeigt, dass sich die Menschheit künftig gegen Meteoriteneinschläge aus dem Weltraum wehren kann.
pay-1036469_960_720
11. Mai, 2023
Warum klettern wir ohne Sauerstoffgerät auf den Mount Everest oder durchsteigen im Winter die Eigernordwand? Warum wollen wir immer schneller laufen, immer höher springen oder eine Kugel immer weiter stoßen? Warum reisen wir zum Nordpol, zum Südpol oder zum Mond? Warum haben die Menschen des Mittelalters gigantische und viel zu große Kirchen gebaut? Es ist nicht leicht, diese Fragen zu beantworten. Rationale Gründe, so etwas zu tun, gibt es nicht. Vielleicht ist es das Erfahren und Hinausschieben der eigenen Grenzen, das den Menschen einen süchtig machenden Kitzel verschafft. Vielleicht ist es auch der Genuss des Ruhms, die oder der Größte, Schnellste, Beste oder Weitestgereiste zu sein.
MZ-01-23_Beitragsbild (2)
28. April, 2023
Fortwährende komplexe Krisenszenarien erfordern von Lehrkräften und Schulen eine stärkere und fächerübergreifende Handlungsorientierung bei der Begleitung von Schüler*innen in ihrer Auseinandersetzung mit der Welt. Lehrkräfte haben hier eine zentrale Vorbildfunktion, die nicht zuletzt einen konstruktiven und reflektierten Umgang mit den eigenen Belastungen durch kleine alltägliche bis hin zu großen globalen Krisen erfordert.
MZ_2022_04_Heft
14. März, 2023
Biokraftstoff gilt als umwelt- und klimafreundliche Alternative zu fossilen Treibstoffen. Denn weil er aus Pflanzen erzeugt wird, gibt er bei seiner Verbrennung kaum mehr Kohlendioxid ab, als die Pflanzen zuvor bei ihrem Wachstum aufgenommen haben – so jedenfalls die Theorie. Doch gibt es bei der Sache vielleicht einen Haken?
Außerirdisch
7. März, 2023
Was wissen extraterrestrische Intelligenzen von uns, falls es sie gibt? Vielleicht mehr, als uns lieb ist, denn über 2.000 Sterne in der näheren Umgebung haben eine privilegierte Position, von der aus sich die Erde studieren lässt. Zu 75 davon sind bereits irdische Radiosendungen gelangt.
Matheschmerz-Prophylaxe_MT_Beitragsbild
13. Februar, 2023
Youtuber Daniel Jung beschäftigt sich mit „Matheschmerz“, weil Mathe bei vielen Versagensängste hervorruft. Die Psychologin Bettina Hannover berichtet, dass Jugendliche sich vorstellen, dass jemand mit Physik als Lieblingsfach keine Freund*innen hat und unattraktiv aussieht. Und „Digital-kunde“ ist in Deutschland immer noch nicht als Pflichtfach etabliert, obwohl die Diskussion um Web 5.0 schon begonnen hat. MINT-Lehrkräfte haben es wirklich nicht einfach, obwohl diese Kenntnisse für immer mehr Berufe sehr gefragt oder sogar eine Voraussetzung sind.
battery-gcb14cb166_1920
10. Februar, 2023
Weltweit steigende Temperaturen, vermehrt auftretende Dürren und Extremwetterereignisse: Eine der größten Herausforderungen der heutigen Zeit ist der Klimawandel, der hauptsächlich durch die menschengemachten Emissionen von klimaschädlichen Gasen verursacht wird. Ein großer Teil dieser Emissionen wird durch das Verbrennen von fossilen Energieträgern freigesetzt. Erneuerbare Energien wie Wind-, Wasser- oder Solarenergie leisten ihren Beitrag zur Energiewende. Allerdings treten insbesondere Solar- und Windenergien oft mit tages- und jahreszeitlichen Schwankungen auf.
Intermediate Horseshoe Bat (Rhinolophus affinis).
3. Februar, 2023
Viren haben stets unsere Geschichte beeinflusst, doch der Mensch schafft selbst die Voraussetzungen für neue Infektionskrankheiten. Weil wir die Welt verändern, lösen wir Pandemien aus, die wir dann nicht mehr beherrschen. Das Buch Die Rache des Pangolin zeigt nicht nur, wie das Coronavirus entstand, sondern auch, welche Rolle Tiere bei Pandemien spielen und wie der Schwund natürlicher Lebensräume und der Artenvielfalt neue Seuchen heraufbeschwört.
whale-1118876_960_720
29. Januar, 2023
Mithilfe von Thermografie- oder Wärmebildkameras lässt sich die für unsere optische Wahrnehmung nicht erfassbare Infrarotstrahlung detektieren und sichtbar machen. Die von verschiedenen Gegenständen oder Lebewesen emittierte Wärmestrahlung wird durch die Programmierung der Kamera so umgerechnet, dass sogenannte Falschfarbenwärmebilder entstehen. Unterrichtliche Erfahrungen zeigen, dass Lernende diese Farbcodierung zumeist intuitiv verstehen.
Planet Nine
13. Januar, 2023
Jenseits des Neptuns wurden Tausende Himmelskörper gefunden, wo bis vor 30 Jahren nur der neunte Planet Pluto beheimatet schien. Der wiederum ist längst kein Planet mehr – schauen wir uns die Revolutionen am Rande des Sonnensystems einmal genauer an.
Jelly
16. Dezember, 2022
Wenn man von der Kohlenstoffsenke hört, denkt man zunächst an Wälder, Moore oder gar an die Gletscher, doch ein wichtiger Kontributor ist der Ozean, im Speziellen die Tiefsee. Die Tiefsee kann man sich wie eine Wüste vorstellen. Es ist ein Ort der Extreme, mit hoher Salinität, niedrigen Temperaturen und enormem Druck. Doch der eigentliche limitierende Faktor für organisches Leben in der Tiefsee ist die Nahrungsverfügbarkeit, die ab 1.000 Meter Tiefe nahezu verschwindend gering ist. Dementsprechend sind Tiefseeorganismen auf jede Nahrungsquelle angewiesen. Und genau hier kommen Quallen ins Spiel.