Skip to content

Was haben Quadratzahlen mit Farben zu tun?

Die moderne Physik des Lichts und der Atome begann nicht mit Albert Einstein und nicht mit Max Planck, sondern mit dem Schreib- und Rechenlehrer Johann Jakob Balmer.

Rund 150 Jahre nachdem Isaac Newton das Sonnenlicht in die Farben des Regenbogens zerlegt hatte, entdeckte Joseph von Fraunhofer im Spektrum des Sonnenlichts feine schwarze Linien, die den stetigen Übergang zwischen den Farbtönen unterbrechen. Fraunhofer wusste für sie keine Erklärung. Beim irdischen Spektrum eines glühenden Metallklotzes findet man sie nicht. Sie deuten auf etwas in der Sonne Verborgenes hin.

Wellenzahl der Lichtwelle

Mitte des 19. Jahrhunderts schließlich schlug Anders Jonas Ångström vor, verdünnte Gase leuchten zu lassen und deren Spektren zu betrachten. Je verdünnter die Gase waren, umso deutlicher hoben sich spezielle Farben ab. Ångström selbst vermaß beim Wasserstoff mit großer Präzision, in welchen Farben dieses Gas leuchtet. Die Vermessung der Farben erfolgte, indem Ångström angab, wie viele Wellenberge einer Lichtwelle auf einen Zentimeter passen. Man nennt dies die Wellenzahl. Es zeigte sich, dass Wasserstoff rot mit 15.233 als Wellenzahl sowie türkis mit 20.564, blau mit 23.032, indigo mit 24.373 und violett mit 25.181 als Wellenzahlen strahlt. Warum aber leuchtet es genau in den Farben dieser Wellenzahlen? Es lag nahe, dass es mit der Bauweise des Wasserstoffatoms zu tun hat. Aber mechanische Modelle, die seine Hülle als schwingungsfähige Membran nachbildeten, versagten. Bis 1885 blieb es rätselhaft, wie diese Wellenzahlen entstehen.

Lösung ohne physikalische Modellbildung

Johann Jakob Balmer, ein 60-jähriger Lehrer einer Basler Mädchenschule, löste das Rätsel. Er sah von physikalischen Modellen ab, er dividierte bloß die vier nachfolgenden Wellenzahlen 20.564, 23.032, 24.373 und 25.181 durch die erstgenannte 15.233 des roten Licht

 

20.564 : 15.233 = 1,34996…
23.032 : 15.233 = 1,51198…
24.373 : 15.233 = 1,60000…
25.181 : 15.233 = 1,65305…

Einige der Fraunhoferschen Linien entsprechen den von Wasserstoff erzeugten Spektrallinien.

Die dritte Division lieferte das höchst auffällige Ergebnis 1,60000… Balmer, dem die Zahlenmystik nicht fremd war, glaubte, dass die Dezimalzahl 1,6, die sich aus der Division 16 : 10, gekürzt aus 8 : 5 ergibt, den „echten“ Wert darstellt, der sich bei einer völlig präzisen Messung ergäbe. Bei den beiden ersten Divisionen glaubte er auch, diesen „echten“ Wert erraten zu können, weil Rundungen der Ergebnisse dazu führen. Bei der ersten Division ist es die Dezimalzahl 1,35, die sich aus der Division 135 : 100, gekürzt aus 27 : 20 ergibt. Und bei der zweiten Division ist es die Dezimalzahl 1,512, die sich aus der Division 1.512 : 1.000, gekürzt aus 189 : 125 ergibt. Balmer sah die Nenner 20, 125 und 5 dieser gekürzten Divisionen und war wie elektrisiert: Es ist 20 = 5 × 4, und 4 ist eine Quadratzahl. Es ist 125 = 5 × 25, und 25 ist eine Quadratzahl. Es ist 5 = 5 × 1, und auch 1 ist eine Quadratzahl. Ein wenig schöner wäre es, so dachte Balmer, wenn der erste Nenner 80 = 5 × 16, der zweite Nenner wie gehabt 125 = 5 × 25 und der dritte Nenner 180 = 5 × 36 lauten würden. Dies lässt sich leicht verwirklichen, weil 27 : 20 das Gleiche wie 108 : 80 und weil 8 : 5 das Gleiche wie 288 : 180 ergibt. Und bei den Nennern 5 × 16, 5 × 25 und 5 × 36 sah Balmer die Quadratzahlen 16 = 4 × 4, 25 = 5 × 5 und 36 = 6 × 6 in aufsteigender Reihenfolge. Die nächste Quadratzahl ist 49 = 7 × 7. Balmer vermutete, dass sie bei der letzten Division dann im Nenner aufscheinen werde, wenn man vom gemessenen zum „echten“ Wert übergeht. Das überprüfte er. Er multiplizierte die vierte Wellenzahl 25.181 mit 49, was den Wert 1.233.869 ergibt, und dividierte diesen durch die Wellenzahl 15.233 des roten Lichts: 1.233.869 : 15.233 = 80,99973… Dass dies praktisch exakt mit 81 übereinstimmt, kann – davon war Balmer überzeugt – kein Zufall sein. Auch der „echte“ Wert der vierten Division ist entlarvt: Er lautet 81 : 49 oder, mit 5 erweitert, 405 : 245. Somit erriet Balmer die „echten“ Verhältnisse der vier nachfolgenden Wellenzahlen zu der des roten Lichts, nämlich 108 : 80 – 189 : 125 – 288 : 180 – 405 : 245 mit den Nennern 80 = 5 × 16 = 5 × 4 × 4 – 125 = 5 × 25 = 5 × 5 × 5 – 180 = 5 × 36 = 5 × 6 × 6 – 245 = 5 × 49 = 5 × 7 × 7.

Fundamentalzahl des Wasserstoffs

Jetzt stand Balmer vor der Aufgabe, die Wellenzahl 15.233 des roten Lichts, auf das er alle anderen Wellenzahlen bezog, selbst auf eine tragfähige Basis zu stellen. Auch diese Aufgabe löste er spitzfindig: Ihn störte bei seinen Nennern der Faktor 5, der ja keine Quadratzahl ist. Und er wunderte sich, dass man bei der dritten Division die Quadratzahl 36 erst künstlich durch Erweiterung einführen musste. Wie wäre es, so fragte er sich, wenn man die Divisionen nicht durch die Wellenzahl 15.233 des roten Lichts, sondern durch jene Zahl vollzieht, die sich aus der Multiplikation von 15.233 mit 36 und nachträglicher Division durch 5 ergibt? Die so erhaltene Dezimalzahl 109.677,6 nannte Balmer die „Fundamentalzahl des Wasserstoffs“. Heute wird sie nach Johannes Rydberg, einem schwedischen Physiker, benannt.

Geheimnis der Wellenzahlen des Wasserstoffs

Was die Division der Wellenzahl des roten Lichts durch die Fundamentalzahl des Wasserstoffs ergibt, ist klar: Es ist jenes Verhältnis 5 : 36, mit der Balmer zur Fundamentalzahl des Wasserstoffs gelangte. Die Division der Wellenzahl des türkisen Lichts durch die Fundamentalzahl des Wasserstoffs läuft auf die Rechnung hinaus, dass man 108 : 80 mit 5 zu multiplizieren und durch 36 zu dividieren hat. Hier ist es schön, dass 108 : 36 = 3 und 80 : 5 = 16 sind. Somit kam Balmer auf das Verhältnis 3 : 16. Er erweiterte es zu 12 : 64, weil der Nenner 64 die nächste gerade Quadratzahl nach 36 ist. In ähnlicher Weise ging Balmer bei den restlichen drei Verhältnissen vor. Bei der Division der Wellenzahl des blauen Lichts durch die Fundamentalzahl des Wasserstoffs kam er auf das Verhältnis 21 : 100. Dies ist in seinen Augen ein treffliches Ergebnis, denn 100 ist, auf 64 folgend, die nächste gerade Quadratzahl. Bei Indigo kam er auf das Verhältnis 2 : 9, das er mit 16 erweitert und zu 32 : 144 umformt. Hier ist der Nenner 144 die auf 100 folgende nächste gerade Quadratzahl. Schließlich kam er bei der Division der Wellenzahl des violetten Lichts durch die Fundamentalzahl des Wasserstoffs auf das Verhältnis 45 : 196. Auch das ist in seinen Augen ein passendes Ergebnis, denn 196 ist, auf 144 folgend, wiederum die nächste gerade Quadratzahl. Und als Balmer seine Ergebnisse 5 : 36 = 5 : (9 × 4); 12 : 64 = 12 : (16 × 4); 21 : 100 = 21 : (25 × 4); 32 : 144 = 32 : (36 × 4); 45 : 196 = 45 : (49 × 4) betrachtete, war er vollends überzeugt, das Geheimnis der Wellenzahlen des strahlenden Wasserstoffs in seiner ganzen Tiefe gelüftet zu haben: Die Nenner dieser Verhältnisse sind die Produkte der Quadratzahl 4 mit den nach ihr folgenden Quadratzahlen 9, 16, 25, 36 und 49. Und die Zähler dieser Verhältnisse sind die Differenzen der Quadratzahl 4 von den Quadratzahlen 9, 16, 25, 36 und 49. Die Wellenzahlen des strahlenden Wasserstoffs erhält man, so lautet Balmers Gesetz, wenn man die Fundamentalzahl 109.677,6 des Wasserstoffs mit den Verhältnissen (9 − 4) : (9 × 4); (16 − 4) : (16 × 4); (25 − 4) : (25 × 4); (36 − 4) : (36 × 4); (49 − 4) : (49 × 4) multipliziert. Es sind die Quadratzahlen 4, 9, 16, 25, 36, 49, die für die Farben strahlender Gase sorgen.

 

Prof. Dr. Rudolf Taschner setzte sich als Professor an der Technischen Universität Wien und als Initiator und Betreiber des Projekts math.space erfolgreich dafür ein, dass die Mathematik möglichst vielen Menschen zugänglich wird.

 
Lese-Tipp

Rudolf Taschner. Die Farben der Quadratzahlen. Kleine Anleitung zum mathematischen Staunen
München: Hanser 2019, 268 Seiten, 22 Euro

Beitrag teilen:

Facebook
Twitter
LinkedIn
Pinterest
XING
WhatsApp
Email

Ähnliche Beiträge

Illustration von Neutronensternen
18. März, 2025
Mit Gravitationswellen lassen sich die verborgenen Seiten des Alls belauschen. Die meisten bislang entdeckten Quellen sind kollidierende Schwarze Löcher.
Erschöpfte Frau greift sich an die Stirn
3. März, 2025
Lampenfieber vor einer Präsentation, Prüfungsangst oder einfach ein stressiger Schultag – Stress gehört für viele Schüler:innen leider zum Schulalltag, ebenso wie für Lehrkräfte. Doch zu viel davon kann die Konzentration und das Wohlbefinden beeinträchtigen. Genau hier kommt der Vagusnerv ins Spiel: Wie kein anderer Nerv hat der längste Nerv unseres Körpers, der Vagusnerv, und das damit verbundene parasympathische Nervensystem, in den letzten Jahren höchstes Interesse bei gesundheitsorientierten Menschen gewonnen. Kein Wunder, ist er doch DAS zentrale Kommunikationsorgan zwischen dem Gehirn und den Körperorganen. Das Beste: Er lässt sich aktivieren.
Zeppelin in der Abendsonne
25. Februar, 2025
Von Radaröfen haben Sie nie gehört? Auch Hydrobergbau ist Ihnen kein Begriff, ebenso wenig wie die Kohlenstaub-Lokomotive? Selbst beim Itera-Plastikfahrrad oder beim Elektropflug glimmt kein Erinnerungsfunke auf? Kein Grund zur Sorge: Fast niemand erinnert sich mehr an diese Dinge, denn es sind „gescheiterte Innovationen“, deren Existenz über kurz oder lang von der Welt vergessen wurde. In Erinnerung sind bestenfalls die angesichts verlorener Subventionsmillionen spektakuläreren Fälle, etwa die zumindest vorerst gefloppte Magnetschwebebahn Transrapid oder der 2002 wohl endgültig gescheiterte Frachtzeppelin Cargolifter, in dessen Halle sich heute immerhin vom Urlaub in den Tropen träumen lässt.
Forscherin mit Handschuhen bearbeitet eine grüne Salatpflanze im Labor mit einer Pinzette
20. Februar, 2025
Die Klimakrise verschärft sich rasant und stellt schon jetzt weltweit Menschen vor existenzielle Probleme, auch im Hinblick auf Landwirtschaft und Ernährung. Die Landwirtschaft leidet unter den Folgen der Klimakrise und muss sich an die neuen Extremwettersituationen anpassen. Zudem erhöhen das massive Artensterben und andere ökologische Folgen menschlichen Handelns zunehmend den Druck, bisherige ökonomische und soziale Praktiken zu hinterfragen und zu verändern. Ein aktuell kontrovers diskutierter Ansatz ist die Neue Gentechnik (NGT).
viele Euro-Münzen auf einem Haufen
20. Februar, 2025
Der reichste Mann der Welt ist der Entenhausener Erpel Dagobert Duck. Auch der zweit-reichste Mann ist ein Erpel. Er heißt Mac Moneysac und lebt in Simililand in Südafrika. Erst auf Platz drei kommt mit dem Amerikaner Elon Musk ein Mensch. Doch wie reich Dagobert Duck ist, darüber gibt es unterschiedliche, zum Teil stark widersprüchliche Angaben, und da er, genau wie Donald Trump, seine Steuererklärungen nicht veröffentlicht, wird man die genaue Größe seines Vermögens wohl auch nie erfahren. Der am häufigsten genannte und wahrscheinlichste Wert ist 30 Fantastillionen Taler. Aber wie groß ist die Zahl Fantastillion?
Schüler und Schülerin sitzen an einem Tisch im Klassenzimmer, während ihnen die Lehrerin etwas erklärt
11. Februar, 2025
Die Auseinandersetzung mit politischer Neutralität in Schulen und die Verantwortung von Lehrkräften in gesellschaftlichen Krisensituationen sind von zentraler Bedeutung für die Weiterentwicklung und den Schutz einer demokratischen und menschenfreundlichen Gesellschaft. Der Beutelsbacher Konsens bietet seit Jahrzehnten Orientierung für die politische Bildung in der Schule, auch über den Politikunterricht hinaus. Er betont die Notwendigkeit, kontroverse Themen im Unterricht kontrovers zu behandeln, ohne die Schüler:innen dabei zu indoktrinieren.
Mädchen löst eine Matheaufgabe
22. Januar, 2025
Trotz vielfältiger Maßnahmen in den Bereichen Gendersensibilisierung, Geschlechtergerechtigkeit und Chancengleichheit sind Frauen in Deutschland in MINT-Berufen im Schnitt immer noch unterrepräsentiert. Zwar gibt es mittlerweile Fachgebiete mit paritätischer Verteilung (etwa Biologie, Medizin), aber auch viele Fachgebiete mit weiterhin extrem niedrigen Frauenanteilen (beispielsweise Physik, Ingenieurswissenschaften). Das zeigt, wie wichtig es ist, eine gendersensible MINT-Bildung zu fördern, die Mädchen und junge Frauen gezielt ermutigt, sich in bisher männerdominierten Bereichen auszuprobieren und langfristig Fuß zu fassen.
Bild eines Schülers mit VR-Brille
16. Januar, 2025
Kann die Zukunft uns verzaubern? Oft blicken wir mit gemischten Gefühlen auf das, was vor uns liegt. Doch Trend- und Zukunftsforscher wie Matthias Horx ermutigen uns, die Möglichkeiten von morgen nicht nur als mitunter Angst einflößende Herausforderung, sondern auch als vielversprechende Chance zu sehen. Sein Buch Der Zauber der Zukunft lädt dazu ein, sich mit einem positiven Blick auf Veränderungen einzulassen – ein Gedanke, der gerade für Lehrkräfte spannend ist. Doch wie können wir diese Perspektive auch in die Klassenzimmer bringen?
Mit dem DESI-Instrument in Arizona wird gegenwärtig eine dreidimensionale Karte der Position und Bewegung vieler Millionen Galaxien erstellt
27. November, 2024
Der Erkenntnisfortschritt der modernen Kosmologie verlief in den letzten zwei, drei Jahrzehnten rasant. Und doch sind die Konsequenzen äußerst kurios. Noch tappt die Wissenschaft vom Universum buchstäblich im Dunkeln, denn der Hauptbestandteil des Alls ist rätselhaft.
Strahlend heller Sonnenschein am klaren blauen Himmel mit ein paar zarten, dünnen Wolken im Hintergrund.
25. November, 2024
Wie fängt man Sonnenlicht am besten ein? Das ist nicht nur bei der Aufstellung von Photovoltaikanlagen wichtig, sondern auch für die Sonnenenergiewandler der Pflanzen, also bei ihren Blättern und deren Verzweigung und Ausrichtung. Es ist nicht vorteilhaft, wenn sie sich gegenseitig im Wege stehen und beschatten. Die Blattstellung folgt einem geometrischen Muster, das, mathematisch betrachtet, mit Spiralen, Selbstähnlichkeit, Fibonacci-Zahlen und dem Goldenen Winkel zu tun hat.
Mehrere Hände, die in einem Klassenzimmer vor einer Tafel mit mathematischen Formeln in die Luft gehoben sind
15. November, 2024
Bildungsdiskussionen in Deutschland sind immer auf Messers Schneide: Auf der einen Seite müssen wir darüber sprechen, was wir eigentlich erreichen wollen. Auf der anderen Seite soll es nicht in langwierige Diskussionen über abstrakte Begriffe abdriften. Was vonnöten ist, ist ein Kern, der die Diskussion bestimmt. Dieser liegt darin, warum wir noch Schulen haben. Sie sind Orte des Lernens – oder sollten es sein. Wir brauchen einen Gegenentwurf zu dem traditionellen Schulverständnis.
Energiefresser Internet
28. Oktober, 2024
Das Internet ist zu einem unverzichtbaren Teil unseres Alltags geworden. Wir alle nutzen es, wenn auch zu ganz unterschiedlichen Anteilen, zur Kommunikation, Unterhaltung, Arbeit und Bildung. Doch kaum jemand macht sich Gedanken darüber, wie viel Energie für all diese Dienste und Daten im Netz aufgewendet werden muss.