Warum zeigt eigentlich die Kompassnadel nach Norden? Um diese Frage zu beantworten und um die Geheimnisse des Erdmagnetfelds zu ergründen, brauchte es mehr als sieben Jahrhunderte.
Wer sich vor 1900 dem Wirken von Kompassen und des Erdmagnetismus widmete, konnte sich daran eigentlich nur die Zähne ausbeißen. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts standen die technischen Voraussetzungen bereit, um das Erdmagnetfeld wirklich oder, sagen wir, zumindest grob zu verstehen. Bis dahin dachten sich so manche Forscher verwegene Theorien über den Erdmagnetismus aus.
Ein Phänomen, viele Koryphäen
Obwohl die Erdmagnetfeldforschung nicht gerade Glanz und Gloria versprach, umfasst ihr Who’s who erstaunlich viele Berühmtheiten. Edmund Halley beispielsweise entwickelte eine Theorie der hohlen Erde, wonach sich im Inneren unseres Planeten noch weitere Hohlkörper befinden, die ihren eigenen Magnetismus besitzen und die sich mit der äußeren Hülle um eine gemeinsame Achse drehen. Was heute vor allem als Stoff für Sci-Fi-Romane anmutet, sollte damals erklären, warum sich die Deklination, also die Abweichung der Kompassnadel vom geografischen Norden, im Laufe der Zeit ändert. Michael Faraday nutzte das Erdmagnetfeld, um in einem Experiment elektrischen Strom zu induzieren – eine Methode, die man auch in modernen Observatorien anwendet, um hochgenau das Erdmagnetfeld zu vermessen.
Erste Erkenntnisse über Magnete
Magnetische Kompasse gab es schon im alten China. Zur Orientierung auf See verwendeten die Chinesen schwimmende Kompassnadeln ab etwa dem 5. Jahrhundert. In den Mittelmeerraum drang diese technische Entwicklung allerdings erst im 12. Jahrhundert durch.
1269 verfasste der französische Gelehrte und Kreuzfahrer Petrus Peregrinus eine erste wissenschaftliche Abhandlung über Magnete. Er fand heraus, dass es zwei unterschiedliche Magnetpole gibt. Zudem experimentierte er mit kugelförmigen Magneten. Er sah, dass sich die Kompassnadeln an der Magnetkugel entlang von Meridianen ausrichten, die sich allesamt in den Polen kreuzen. An den Polen stellten sie sich senkrecht auf. Diese Meridiane heißen heute Feldlinien.
Was den Kompass lenkt
Nach einer langen Pause in Magnetismusfragen veröffentlichte William Gilbert 1600 eine neue Schrift zum Thema. Auch Gilbert hatte mit Kugelmagneten experimentiert und dabei erstaunliche Parallelen zum Planeten Erde entdeckt.
Zwei magnetische Phänomene waren damals bereits von Seefahrern beobachtet worden. Erstens zeigte die Kompassnadel nur in Ausnahmefällen wirklich nach Norden. Diese Abweichung vom geografischen Norden (Deklination) erzeugte Gilbert auf einem Kugelmagneten mit unterschiedlich verteilten Massen. Zweitens kippte die Kompassnadel nicht nur an einem Magneten, sondern auch auf dem Globus, je weiter man gen Norden oder Süden fuhr, immer mehr in die Senkrechte. Das alles führte Gilbert zu der Erkenntnis, dass die Erde selbst ein riesiger Magnet sei. Die Kompassnadel wird demnach mit ihrem magnetischen Nordpol vom magnetischen Südpol der Erde (der sich allerdings im Norden, in der Arktis, befindet) angezogen.
Wechselhaft und undurchschaubar
Allerdings entpuppte sich dieser Erdmagnet, kaum war er entdeckt, als eine harte Nuss. Die Deklination, also die Abweichung vom geografischen Norden, änderte sich im Laufe der Jahre, ohne dass sich den Wissenschaftlern ein plausibler Grund dafür erschloss. Sogar im Verlauf eines Tages gab es regelmäßige Schwankungen, wie die immer genauer werdenden Messmethoden zeigten. Da half eigentlich nur eines: Daten sammeln. Und zwar ganz viele, und das am besten weltweit und immer zur selben Zeit. Alexander von Humboldt gehörte zu den wichtigsten Verfechtern eines internationalen Forschungsprogramms zum Erdmagnetismus.
Vereinsmeier und Kreuzfahrer der Wissenschaft
Realisiert wurde dieses Programm erstmals mit dem Göttinger Verein und später mit der Magnetic Crusade, dem Magnetischen Kreuzzug der Briten. Die Messreihen wurden zunächst regelmäßig an einem Samstag für 24 Stunden im Fünfminutentakt durchgeführt und später noch ausgeweitet. Der Vergleich zeigte, dass sich die täglichen Schwankungen an normalen Tagen – abhängig von der Tageszeit vor Ort – überall auf ähnliche Weise vollzogen. An einigen Tagen aber gingen die Kurven völlig durcheinander – dann jedoch mit erstaunlichen Parallelen zwischen den verschiedenen Messstationen. Mancherorts zeigten sich dann Polarlichter. Heute weiß man, dass die täglichen Variationen zurückzuführen sind auf den Einfluss der Ionosphäre, der stromleitenden Schicht der oberen Atmosphäre, die sich durch die Sonneneinstrahlung aufwärmt und dabei ihre elektrischen Eigenschaften verändert. Unnormale Tage hingegen haben etwas mit Materieausbrüchen auf der Sonne zu tun. Geladene Teilchen werden dann mit unglaublichen Geschwindigkeiten ins Weltall geschleudert, treffen bisweilen auch die Erde und wechselwirken dann mit den Teilchen der oberen Atmosphäre. Unser Erdmagnetfeld ist unser äußerstes Schutzschild gegen den mal schnelleren, mal langsameren Teilchenstrom der Sonne, den Sonnenwind.
Ohne Elektrizität kein Magnetismus
Ohne den Beistand durch Schwesterdisziplinen wären die Geomagnetiker nicht weit gekommen. So war in der Physik schon länger ein Zusammenhang zwischen Elektrizität und Magnetismus vermutet worden. 1820 entdeckte Ørsted, dass ein stromdurchflossener Leiter ein Magnetfeld erzeugt. Zu diesem Zeitpunkt war die Ionosphäre noch unbekannt, und so stellte sich die Frage, warum sich der Erdmagnetismus im Laufe eines Tages, aber auch eines Jahres und über Jahrzehnte hinweg änderte. Ein Permanentmagnetismus, wie etwa bei einem Stabmagneten, kam wegen dieser Variabilität nicht infrage. Und so überlegten die Wissenschaftler, ob nicht gewaltige Stromsysteme per Induktion den Magnetismus der Erde erzeugten. Aber wo sollten sich diese Stromsysteme befinden?
Stromsysteme im Bauch der Erde
Tatsächlich haben all diese Strömungssysteme einen Einfluss auf das Erdmagnetfeld. Diesmal waren es die Seismologen, mit deren Hilfe die Geophysik das Innere unseres Planeten entschlüsselte. Nach Auswertung etlicher Erdbeben und der von ihnen erzeugten Wellen kamen sie zu dem Ergebnis, dass der äußere Erdkern flüssig sein musste und zudem aus einem vermutlich sehr heißen Metallgemisch bestand. Und so tauchte die Frage auf, ob das aufsteigende heißere und herunterfallende kühlere Material mit all den freien Elektronen darin nicht der Ursprung sein könnte für einen Dynamo im Inneren der Erde.
Was an sich einleuchtend klingt, war schwer zu beweisen. Viele meinten, dass der elektrische Widerstand im Inneren der Erde zu hoch sei und der Stromfluss gleich wieder zusammenbrechen würde. Zudem waren für einen sehr großen Raum sehr viele und zum Teil sehr veränderliche physikalische Größen unter einen Hut zu bringen. Die Gleichungen mussten beschreiben, wie sich die Strömungen im dreidimensionalen Raum bewegen und wie sich das magnetische Feld bildet. Sie mussten Einflussfaktoren wie etwa die Lorentzkraft, die Strömungsgeschwindigkeit, den Auftrieb, die Schwerkraft und den Druck an der jeweiligen Stelle berücksichtigen. Hinzu kamen die Rotationskräfte; zum einen, weil die Drehung der Erde um ihre Achse natürlich auch Fliehkräfte in der heißen Suppe darinnen hervorruft, und zum anderen, weil das flüssige Eisen durch Konvektion vermutlich ähnliche Wirbel bildet wie der Wasserdampf in der Atmosphäre.
Der Dynamo kann Kopfstand?
Hinzu kam noch eine weitere Komplikation, die ebenfalls mit modelliert werden musste. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts hatten Geophysiker an verschiedenen Orten der Welt Gesteinsproben mit umgekehrter magnetischer Polarisierung gefunden. Weitere Funde in den 1950ern entfachten einen Streit, ob es tatsächlich Umkehrungen des Erdmagneten geben könnte, in denen also der magnetische Nord- und Südpol mal eben die Plätze tauschen.
Aufschluss darüber brachte der Atlantikboden. Wissenschaftler hatten mit sensiblen Magnetometern den Ozeanboden kartiert. Dabei fanden sie ein auffälliges Muster mit Streifen, in denen der Boden magnetisch mal nach Süden, mal nach Norden ausgerichtet war. In der Mitte fand sich über die komplette Länge des Atlantiks ein vulkanisch aktives Gebirge, welches bei Island sogar aus dem Meer herausragt. Aus ihm quillt ständig neuer Ozeanboden aus den Tiefen der Erde hervor, und das erkaltende Gestein friert quasi die jeweilige Polarisierung des Erdmagneten ein. So entstand der seltsame magnetische Streifenteppich.
Dieses Umpolungsmuster zeigte zudem, dass sich der Ozeanboden aufspreizte und die anliegenden Kontinente immer weiter auseinandergedrückt wurden. Es war der fehlende Beweis für Wegeners Theorie der Plattentektonik.
Der Erdmagnetismus: veränderlich, erstaunlich, wichtig
Es war letztlich eine internationale Leistung mit vielen beteiligten Forschern, durch die der Geodynamo bestätigt wurde. Und zwar mathematisch, im Laborexperiment und sogar per Computersimulation. 1995 gelang es Gary Glatzmaier und Paul Roberts, auf einem Hochleistungsrechner ein Modell des Erdmagnetfelds durchzurechnen. Obwohl sie diese Möglichkeit gar nicht einprogrammiert hatten, vollführte die Simulation nach 40.000 Jahren eine Umpolung.
Der simulierte Geomagnet stand auf einmal Kopf, und die Forschungsgemeinde atmete auf: Ihre Idee vom Geodynamo erklärte gewiss noch nicht alles, aber zumindest das große Ganze des Erdmagnetfelds. Dieser riesige Schutzschild bewahrt uns vor einiger Unbill aus dem Weltall und umgibt uns ganz unauffällig überall auf der Erde: beim Frühstück, auf dem Weg zur Arbeit und auch jetzt, hier, in diesem Augenblick.
Anke Wilde
Über die Autorin:
Anke Wilde ist Wissenschaftsjournalistin und berichtet über Themen der Geowissenschaften, der Molekularbiologie und der Wissenschaftsgeschichte. Ihr Buch „Unsichtbar und überall. Den Geheimnissen des Erdmagnetfelds auf der Spur“ ist 2019 im Kosmos-Verlag erschienen.