Zu Hause den Unterrichtsstoff lernen und im Klassenzimmer üben und vertiefen: Die Flipped-Classroom-Methode kehrt den traditionellen Unterricht wortwörtlich um. Seit einigen Jahren erfreut sich diese Methode zunehmender Beliebtheit. Doch ist diese Methode auch effektiver als traditioneller Präsenzunterricht mit Hausaufgaben? Dieser Frage geht eine soeben erschienene Metaanalyse nach. Sie nimmt zum ersten Mal ausschließlich die Wirksamkeit bei Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe in den Blick.
Flipped Classroom oder Inverted Classroom bezeichnet eine Unterrichtsmethode, bei der die Vermittlung des Schulstoffs und seine Anwendung und Vertiefung vertauscht werden: Lernende erarbeiten sich die Inhalte eigenständig – meist mithilfe von Lernvideos – zu Hause. Die Präsenzzeit im Unterricht bietet dann mehr Gelegenheit, die Inhalte durch weitere Aufgaben und Übungen (gemeinsam) zu üben und anzuwenden. Die Lehrkraft kann auf diese Weise wichtige Fragen und Unklarheiten mit den Lernenden klären und individueller auf die Schülerinnen und Schüler eingehen.
Was die Lehr-Lern-Forschung annimmt
Aus lernpsychologischer Sicht spricht einiges dafür, Unterricht auf diese Weise zu „verkehren“: Wenn Schülerinnen und Schüler sich den Unterrichtsstoff zu Hause mithilfe von Lernvideos erarbeiten, können sie das in ihrem eigenen Lerntempo machen. So können sie Passagen, die sie noch nicht verstanden haben, wiederholt anschauen. Im Präsenzunterricht hingegen bleibt mehr Zeit, um Schülerinnen und Schülern gezielt Feedback zu geben und sie in ihrem Lernprozess individuell zu unterstützen. Weil Unterricht dadurch auch interaktiver gestaltet werden kann, vermuten Lernpsychologen außerdem, dass Flipped Classroom sich auch positiv auf die Motivation der Lernenden auswirken könnte.
Um herausfinden zu können, wie wirksam Flipped Classroom wissenschaftlich betrachtet tatsächlich ist, haben die Autoren der Metaanalyse Studien zum Einsatz von Flipped Classroom ausgewertet, die zwischen 2012 und 2018 erschienen sind. Diese Studien haben ausschließlich Flipped-Classroom-Settings untersucht, bei denen Schülerinnen und Schüler während der selbstständigen Lernphase mit Lernvideos gearbeitet haben. Unter anderem wurde auch untersucht, ob Flipped Classroom in bestimmten Fächern – etwa in Mathematik und Informatik oder Naturwissenschaften und Technik – wirksamer ist als in anderen Fächern. Außerdem wurde geprüft, ob es einen Unterschied macht, wie lange im Flipped-Classroom-Modus gearbeitet wird und zu welchem Zeitpunkt Quizformate genutzt werden – direkt nach der Lernphase oder später im Klassenzimmer.
Flipped Classroom im Informatikunterricht
Wie Flipped Classroom konkret umgesetzt werden kann und wie es sich im direkten Vergleich mit klassischem Unterricht darstellt, zeigt eine exemplarische Studie aus der Metaanalyse: Die Studie von Kostaris et al. aus dem Jahr 2017 fand im regulären Informatikunterricht der 8. Klasse über einen Zeitraum von acht Wochen statt. Inhaltlich ging es um Hardwarekomponenten von Computern sowie Grundprinzipien von Informationsverarbeitung und Softwaredesign. Die Studie untersuchte zwei Schulklassen mit jeweils 23 Schülerinnen und Schülern, die beide von derselben Lehrkraft unterrichtet wurden. Um die Wirksamkeit von Flipped Classroom zu bestimmen, unterrichtete die Lehrkraft in der einen Klasse nach der Flipped-Classroom-Methode und in der anderen im regulären Modus. Beide Klassen wurden projektbasiert unterrichtet: Die Schülerinnen und Schüler arbeiteten gemeinsam an offenen Aufgabenstellungen. Dabei mussten sie ihre Aufgaben selbst planen und umsetzen. Für die Flipped-Classroom-Gruppe erstellte die Lehrkraft Lehrvideos zu den Inhalten, mit deren Hilfe sich die Schülerinnen und Schüler zu Hause vorbereiteten. Die Zeit im Präsenzunterricht nutzte die Klasse dann nahezu ausschließlich für die gemeinsame Arbeit. In der anderen Klasse hingegen wurden die Inhalte durch Lehrervorträge im Präsenzunterricht erarbeitet. In der übrigen Unterrichtszeit arbeiteten die Schülerinnen und Schüler ebenfalls gemeinsam an Aufgaben und setzten die Arbeit zu Hause fort. Die Lernzeit, die Lerninhalte und auch der projektbasierte Unterrichtsmodus waren also in beiden Untersuchungsgruppen gleich.
Mithilfe eines Multiple-Choice-Tests wurde die Leistung beider Klassen vor und nach der Unterrichtssequenz gemessen. Beide Gruppen erzielten nach der Unterrichtseinheit höhere Leistungen als zuvor, allerdings war der Lernzuwachs in der Flipped-Classroom-Gruppe größer.
Schülerinnen und Schüler profitieren
Die Ergebnisse dieser exemplarischen Studie decken sich mit denen der gesamten Metaanalyse: Insgesamt profitieren Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe von Unterricht nach dem Flipped-Classroom-Prinzip. Dies gilt generell für alle untersuchten Fächer, Zeiträume und unabhängig davon, wann ein Quiz eingesetzt wurde. Ob Flipped Classroom jedoch zum Beispiel in Mathematik wirksamer ist als in anderen Fächern und in welcher Größenordnung, dazu erlauben die bisherigen Studien noch keine eindeutigen Aussagen.
Fazit für die Unterrichtspraxis
Flipped Classroom setzt bei einem gemeinsamen Anliegen von Lehrkräften und Lernenden an: mehr Zeit zu haben, um Inhalte im Unterricht zu vertiefen, zu diskutieren und gemeinsam (Anwendungs-)Aufgaben zu bearbeiten, bei denen die Lehrkraft einzelne Schülerinnen und Schüler oder Arbeitsgruppen gezielter und persönlicher unterstützen kann. Weiteren Aufwind erhält diese Möglichkeit durch die technischen Entwicklungen, die das Erstellen und den Einsatz von videobasiertem Lernmaterial enorm erleichtern.
Die Metaanalyse enthält erste empirische Hinweise, dass sich Unterricht nach dem Flipped-Classroom-Ansatz bei Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe auszahlt und eine wirksame Alternative bzw. Ergänzung zu regulären Unterrichtsarrangements
darstellt. Die eher geringe Anzahl und die unterschiedliche Qualität
der vorhandenen Studien zeigt aber auch, dass die Forschung in diesem Bereich noch eher am Anfang steht. Mögliche Gestaltungoptionen oder Einsatzszenarien von Flipped Classroom sollten in künftigen Studien genauer untersucht werden.
Dr. Maximilian Knogler,
Annika Schneeweiss