Skip to content

Kritisches Denken unterrichten: Wie geht das?

Ist es möglich, kritisches Denken zu unterrichten? Und wenn ja, wie? Diese Fragen beschäftigen die Bildungsforschung seit Jahrzehnten. Mittlerweile existiert eine konsensfähige Definition, die Haltung und Fähigkeiten des kritischen Denkens so beschreibt, dass sie gezielt unterrichtet werden können. Zahlreiche Studien untersuchen seitdem empirisch, wie Schülerinnen und Schüler dabei unterstützt werden können, kritisches Denken zu lernen.

Die Erkenntnis, den eigenen Verstand kritisch nutzen zu können, ist eine Errungenschaft der Aufklärung. Seit den 1980er Jahren existiert eine konkrete Definition von kritischem Denken, die eine Expertenkommission der American Philosophical Association aus dem Forschungsstand heraus entwickelt hat. Demnach gehört zum kritischen Denken einerseits die grundsätzliche Bereitschaft, Dinge infrage zu stellen und ihnen auf den Grund zu gehen – also eine kritische Grundhaltung. Zum anderen braucht es spezifische kognitive Fähigkeiten, um Fragen aufwerfen zu können, eigenständig zu recherchieren, Informationen zu analysieren, zu evaluieren und schließlich zu begründbaren und zu erklärbaren Urteilen zu gelangen. Insbesondere im MINT-Bereich sind kritische Beiträge zu aktuellen Debatten und fundierte Urteile zu Themen wie dem Umgang mit den Folgen der Klimaerwärmung, Fragen der Künstlichen Intelligenz (z. B. autonomes Autofahren) usw. nur auf Grundlage solcher kognitiven Fähigkeiten möglich. Insofern ist die Förderung von kritischem Denken vor allem auch für die MINT-Fächer und die naturwissenschaftliche Grundbildung von Schülerinnen und Schülern von großer Bedeutung.

Ist es möglich, kritisches Denken  gezielt zu unterrichten?

Aufbauend auf der oben genannten und in zahlreichen Details ausgeführten Definition des kritischen Denkens gibt es mittlerweile eine Vielzahl von empirischen Forschungsergebnissen zu dieser Frage. Auf der Grundlage von über 800 einzelnen empirischen Studien kommen der Bildungsforscher Philip C. Abrami und Kollegen in einer Metaanalyse von 2015 zu dem Ergebnis, dass es grundsätzlich möglich ist, kritisches Denken im Unterricht zu fördern – und zwar mit Blick sowohl auf die kritische Grundhaltung als auch auf die spezifischen kognitiven Fähigkeiten. Dies gilt über alle Altersstufen der Schülerinnen und Schüler hinweg und sowohl für MINT- Fächer als auch für andere Fächer.

Wie kann man kritisches Denken  grundsätzlich fördern und vermitteln?

Die Autoren stellen fest, dass kritisches Denken auf verschiedene Weise im Unterricht eingebettet sein kann: (1) explizit und unabhängig von einem bestimmten Thema, (2) ausschließlich anhand eines konkreten Themas, wobei die Prinzipien des kritischen Denkens im Unterricht offengelegt und explizit angesprochen werden, (3) anhand eines konkreten Themas, ohne dass Aktivitäten des kritischen Denkens explizit offengelegt werden, und (4) als Kombination von allgemeinen Prinzipien des kritischen Denkens und der zusätzlichen Verflechtung mit einem oder mehreren Unterrichtsinhalten. Dieser letzte Ansatz stellt sich als besonders effektiv heraus, wenngleich auch mit den anderen Ansätzen positive Ergebnisse erzielt werden können.

Außerdem gehen Abrami und Kollegen der Frage nach, welche didaktischen Mittel zur Förderung von kritischem Denken besonders geeignet sind. Sie unterscheiden zwischen dialogbasiertem Lernen – darunter fällt eine Vielzahl von Mitteln von der lehrerzentrierten Interaktion über Kleingruppenarbeit bis hin zu (formalen) Gruppendiskussionen – und Mentoring und anwendungsnaher Instruktion. Dazu zählen sie angewandtes Problemlösen, (Plan-)Spiele, Simulationen oder Rollenspiele. Die Metaanalyse zeigt, dass sowohl dialogbasiertes Lernen als auch anwendungsnahe Instruktion und Mentoring für sich genommen wirksame Methoden sind, um kritisches Denken zu fördern. Idealerweise werden sie jedoch miteinander kombiniert.

Kritisches Denken trainieren: ein Beispiel

Zvia Kabermann und Yehudit Judy Dori (2009) prüften in einer Studie, inwiefern kritisches Denken – hier verstanden als Fähigkeit, komplexe kritische Fragen zu stellen und dann zu bearbeiten – durch ein kurzes Training gefördert werden kann. Dazu erhielt im Chemieunterricht der 12. Klasse die Hälfte der ca. 900 teilnehmenden Schülerinnen und Schüler am Anfang der Unterrichtsreihe ein Training zur Konstruktion kritischer Fragen: Dafür geschulte Lehrkräfte stellten Fallbeispiele vor und leiteten eine Übungsphase zur Anwendung an. Die Förderung folgte also dem Ansatz (4) und kombinierte anwendungsnahe In struk tion und dialogbasiertes Lernen. Der andere Teil der Schülerinnen und Schüler erhielt kein zusätzliches Training, aber den gleichen Unterricht. Am Ende der Unterrichtsreihe sollten die Schülerinnen und Schüler beider Gruppen bereitgestellte Informationen kritisch hinterfragen und ihre Fragen zum Ausgangspunkt eigener Recherchen machen. In Interviews sowie mithilfe von Fragebogentests zeigte sich, dass das Training sehr effektiv war für die Fähigkeit, kritisch zu denken und komplexe, kritische Fragen zu stellen und zu bearbeiten.

Fazit für die Unterrichtspraxis

Kritisches Denken kann im Unterricht aktiv gefördert werden – nicht nur in Form von kognitivem Handwerkszeug, sondern in gewissem Maße auch als kritische Grundhaltung. Wie das im Unterricht aussehen kann, dazu gibt es gerade für den MINT-Unterricht ein breites Spektrum an Erfolg versprechenden Möglichkeiten: angefangen von (angeleiteten) Diskussionen im Klassenverband bis hin zu Rollenspielen; von expliziter Vermittlung allgemeiner Prinzipien des kritischen Denkens bis hin zu enger Verzahnung mit spezifischen fachlichen Inhalten. Kritisches Denken zu fördern, kann also auf verschiedene Weise gelingen: nämlich dann, wenn Lehrkräfte es zu einem expliziten Unterrichtsziel erklären und die Aktivitäten im Klassenzimmer entsprechend darauf ausrichten.

Dr. Andreas Hetmanek, Annika Schneeweiss

Beitrag teilen:

Facebook
Twitter
LinkedIn
Pinterest
XING
WhatsApp
Email

Ähnliche Beiträge

Programmieren Lego
Gesponserte Inhalte
23. Januar, 2023
Wer keinerlei Erfahrung mit digitalem Unterricht hat, der möchte das Thema oft gar nicht aufgreifen. Aber mit dem handlungsorientierten Lernkonzept SPIKE TM Essential von LEGO® Education gelingt es spielend leicht, Grundschulkindern der Klassen 1 bis 4 die Grundprinzipien des Programmierens beizubringen.
Waerme
23. Januar, 2023
Mithilfe von Thermografie- oder Wärmebildkameras lässt sich die für unsere optische Wahrnehmung nicht erfassbare Infrarotstrahlung detektieren und sichtbar machen. Die von verschiedenen Gegenständen oder Lebewesen emittierte Wärmestrahlung wird durch die Programmierung der Kamera so umgerechnet, dass sogenannte Falschfarbenwärmebilder entstehen. Unterrichtliche Erfahrungen zeigen, dass Lernende diese Farbcodierung zumeist intuitiv verstehen.
Citizen Science © Gesine Born
5. Januar, 2023
Pinguine in der Antarktis zählen, Galaxietypen identifizieren oder Tiere der Serengeti bestimmen – Citizen Science bietet vielfältige Möglichkeiten zum Mitforschen für Schüler*innen.
2022_11_24_Schulmatrial EO Banner_ohne Text und Logo
Gesponserte Inhalte
1. Dezember, 2022
Das Schulmaterial der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR und Klett MINT erklärt anschaulich, wie Erdbeobachtung funktioniert und welchen Nutzen der Blick von oben für uns auf der Erde hat.
Blogbeitrag_Präparate-Hosentasche_Header
25. November, 2022
Das Mikroskopieren stellt eine für die Naturwissenschaften einzigartige Arbeitsweise dar und ist als eine Form des Untersuchens für den Biologieunterricht von besonderer Bedeutung. Beim Mikroskopieren werden die Sinne durch das Mikroskop erweitert und Objekte sowie Phänomene der Natur erfahrbar, die makroskopisch nicht untersucht werden können. Neben den systematischen Beobachtungen können aber auch weitere Fähigkeiten gefördert werden.
Wolf
14. Oktober, 2022
Seit über 20 Jahren leben wieder Wölfe in Deutschland. Die Rückkehr des Wolfes wird von Naturschutzgruppen begrüßt und von Jäger*innen sowie Nutztierhalter*innen kritisch gesehen. Zu Recht? Betrachten wir einmal die von der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) veröffentlichten Daten durch die Mathematikbrille.
MZ-02-22_Beitragsbild-3D-Druck
25. August, 2022
Es scheint ein Charakteristikum des fortschreitenden 21. Jahrhunderts zu sein, dass unser Alltag geprägt ist von globalen Krisen, die von der Menschheit nur dann gelöst werden können, wenn sie sich kollektiv intelligent verhält. Ob und wie das gelingen kann, ist mit Sicherheit auch eine Frage unseres Bildungssystems.
MZ-02-22_Blogbeitrag_Fischereispiel
8. August, 2022
Auch in der Wirtschaftswissenschaft werden Experimente mittlerweile zur Untersuchung einer Vielzahl von Fragestellungen genutzt: Die experimentelle Wirtschaftsforschung gilt als etablierte Disziplin.
MZ-02-22_Beitragsbild_Energie
29. Juli, 2022
Biomasse, Sonnenenergie, Windkraft und Wasserkraft sind die Themen der Zukunft. Grund genug, sie bereits heute auf spielerische Weise in den Unterricht einzubinden. Dieser Beitrag gibt spannende Unterrichtsideen in Form von Stationen und Experimenten.
MZ-02-22_Beiragsbild-Hecken
8. Juli, 2022
Hecken sind viel mehr als nur ein Sichtschutz für Haus und Garten. Sie sind ein wichtiger Lebensraum, in dem sich so manche tierische Überraschung versteckt, und können zudem Treibhausgasemissionen kompensieren – vorausgesetzt, es handelt sich um Naturhecken aus einheimischen Sträuchern.
MZ-01-22_Beitragsbild_Rätsel-Würfelaufkleber
8. Juni, 2022
Auf MINT Zirkel gibt es Knobel- und Rätselspaß mit Heinrich Hemme.
MZ-01-22_Beitragsbild_Geldscheine
7. Juni, 2022
Schaut man in die Geldbörsen in aller Welt, so entdeckt man viele Banknoten, die voller Mathematik, Physik und Astronomie sind. Wer nach Tadschikistan reist, wird mit großer Sicherheit auch einen 20-Somoni-Schein in seiner Geldbörse haben. Darauf ist der Universalgelehrte Avicenna abgebildet.