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Ionische Flüssigkeiten – nachhaltige Technologien mit geschmolzenen Salzen?

Ionische Flüssigkeiten sind eine neue Materialklasse und werden derzeit in der Wissenschaft intensiv untersucht, da sie einzigartige Eigenschaften haben, die für viele nachhaltige Technologien sehr interessant sind. Anhand anschaulicher einfacher, didaktisch reduzierter Versuche kann dieses aktuelle und spannende Forschungsfeld auch in der Schule behandelt werden.

Nachhaltigkeit ist eines der bewegenden Themen unserer Zeit. Bedingt durch die zahlreichen negativen Einflüsse des Menschen auf die Umwelt und deren Auswirkungen wie anthropogener Klimawandel, Umweltverschmutzung, Artensterben etc. ist unserer Gesellschaft mittlerweile die Notwendigkeit einer Trend wende bewusst geworden. Die Chemie ist dabei Problemverursacher und Lösungsanbieter zugleich. Sie nimmt bei der Entwicklung von neuen umwelt- und klimafreundlicheren Technologien, einhergehend mit der Erschließung nachhaltiger Energie- und Rohstoffquellen, eine zentrale Rolle ein. Dabei sind die Ansätze von Fachwissenschaftlern sehr vielseitig und zielen beispielsweise auf effizientere chemische Prozesse, auf Alternativen zu Produkten auf Mineralölbasis oder auf die Entwicklung von Funktionsmaterialien in neuen Energiespeichern (Batterien, Superkondensatoren, Wasserstoffspeicher, …) bzw. Energiewandlern (Brennstoffzelle, Farbstoffsolarzelle, …) für stationäre und mobile Energieversorgung.

Eigenschaften Ionischer Flüssigkeiten

In allen diesen Bereichen arbeitet man daran, die einzigartigen Eigenschaften einer neuen, modernen Materialklasse zu nutzen – der sogenannten Ionischen Flüssigkeiten. Bei diesen handelt es sich um organische Salze, die anders als die üblichen anorganischen Salze sehr niedrige Schmelzpunkte besitzen, teilweise unterhalb von Raumtemperatur. Ermöglicht wird dies durch große unsymmetrische Ionen mit hoher Ladungsdelokalisierung z. B. über aromatische Systeme oder über stark elektronenziehende Gruppen, siehe Abbildung. Daher reicht bereits wenig thermische Energie aus, um ausgehend von tiefen Temperaturen das Kristallgitter aufzubrechen.

Gängige Kationen und Anionen Ionischer Flüssigkeiten

 

Beeindruckend ist die immense Anzahl – geschätzt 1018 – an theoretisch möglichen Kationen-Anionen-Kombinationen, die Ionische Flüssigkeiten bilden, sowie die Möglichkeit, chemische Funktionalitäten einzubauen. Daher lassen sich Ionische Flüssigkeiten und ihr Eigenschaftsprofil auf spezielle Anwendungen gezielt maßschneidern: Man spricht von Designerfluiden.

Ionische Flüssigkeiten besitzen praktisch keinen Dampfdruck, was eine Exposition in die Umwelt und eine Kontamination von Anwendern ausschließt sowie ein Entzünden verhindert: das macht diese Salzschmelzen zu sehr sicheren Lösungsmitteln. Darüber hinaus sind Ionische Flüssigkeiten in den meisten Fällen thermisch, chemisch und elektrochemisch sehr stabil, was für eine Rückgewinnung und damit zur Einsparung von Chemikalien sehr interessant ist. Ferner verfügen sie durch ihren ionischen Aufbau über eine intrinsische Leitfähigkeit und sind somit prädestiniert für den Einsatz als Elektrolyte in elektrochemischen Bauteilen. Bemerkenswert ist auch das meist ausgeprägte Lösevermögen sowohl für polare anorganische als auch für eher unpolare organische Substanzen sowie für biologische Makromoleküle. Entsprechend werden derzeit zahlreiche Verfahren zur weiteren Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen untersucht und entwickelt. Beispiele sind Cellulose, Lignin oder Chitin, welche in molekularen Lösemitteln nahezu unlöslich sind. Viele Anwendungen Ionischer Flüssigkeiten befinden sich zwar derzeit noch im Entwicklungsstadium bis hin zu Pilotanlagen, es sind jedoch auch schon einige industrielle Einsätze bekannt. Erwähnt seien hier der BASIL-Prozess oder die Ioncell-Cellulose.

Jenseits der klassischen Grenzen

Auch wenn Ionische Flüssigkeiten in der Wissenschaft längst kein Kuriosum mehr sind, ist das Wissen um sie in der Fachdidaktik noch sehr eingeschränkt. Dabei bietet diese vielseitige Klasse an flüssigen Materialien zahlreiche spannende Möglichkeiten, z. B. um chemische Konzepte und deren Grenzen aufzuzeigen und um ohne aufwendige Sicherheitsvorrichtungen chemische Experimentiertechniken zu üben.

Als eine Art Bindeglied zwischen der Anorganischen und Organischen Chemie vereinen sie die Eigenschaften von Salzschmelzen (vernachlässigbarer Dampfdruck, elektrische Leitfähigkeit) mit den Eigenschaften von organischen Lö se mit teln (niedrige Schmelzpunkte, geringe Reaktivität, Lösevermögen für viele Stoffe) und von Polymerschmelzen (erhöhte Viskosität und häufig Glasbildung). Ent sprechend eignen sie sich auch gut als Modelsysteme zum Aufzeigen von Struk tur- Eigen schaftsbezie hungen. Beispiele hierfür sind die Konsequenzen von ionischen Bindungen (Dampfdruck, Leitfähigkeit), der Einfluss von Symmetrie und Ladungsverteilung (symmetrische, lokalisierte Ladung vs. unsymmetrische Ionen mit Ladungsdelokalisierung) oder die Mischbarkeit bzw. Löslichkeit von und mit anderen Stoffen („like dissolves like“).

Energiewende mit Ionischen  Flüssigkeiten

Schülerversuche rund um das Thema Ionische Flüssigkeiten schlagen eine Brücke zwischen der aktuellen Fachwissenschaft und der Schule. Im Bereich der Energiewende gibt es viele Ansätze, die vorteilhaften Eigenschaften von Ionischen Flüssigkeiten für elektrochemische Bauteile zu nutzen. Dazu haben wir einige einfache Versuche zu den Themenkomplexen Li-Ionen-Batterie, Superkondensatoren und Grätzel-Zellen entwickelt, siehe Infokasten „Zum Weiterlesen“. Die detailliert beschriebenen Versuche können variabel an die zeitlichen und finanziellen Rahmenbedingungen angepasst werden und sind mit umfangreichem Hintergrundwissen versehen. Die einführenden Versuche können auf vielseitigste Weise, z. B. im Rahmen eines Schülerlabors, einer Chemie- AG oder eines Jugend forscht- Projekts erweitert werden.

Nachwachsende Rohstoffquellen  durch neue Lösemittel einfach nutzen

Aufgrund von weltweit knapper werdenden Ressourcen ist die vermehrte Nutzung von nachwachsenden Rohstoffquellen ein Haupt ziel der Nachhaltigen Entwicklung. Besonders im Fokus der Forschung stehen dabei Lignin und Cellulose. Diese Hauptbestandteile von verholzten Pflanzen stehen nicht in Konkurrenz zu Nahrungsmitteln und können sowohl zur Herstellung von Plattform-Chemikalien als auch von neuen, biologisch abbaubaren Materialien dienen.

Erschwert wird ihre Nutzung und Verarbeitung jedoch durch ihre sehr schlechte Löslichkeit in den allermeisten Lösemitteln. Wir zeigen, dass spezielle Ionische Flüssigkeiten diese biologischen Makromoleküle jedoch sehr gut lösen können, was zahlreiche spannende Möglichkeiten zur Herstellung von Kleidungsstoffen, Polymeren oder Aromastoffen bietet, welche die Lernenden in einfachen Versuchen selbst erproben können.

Dr. Daniel Rauber, Prof. Dr. Dr. h.c. Rolf Hempelmann


Literaturtipp zum Thema:

Versuche zu  Ionischen Flüssigkeiten in der Nachhaltigen Chemie 

Ein fachwissenschaftlicher Überblick,  eine didaktische Einführung und  detaillierte Versuchsanleitungen und  Hintergrundinformationen zu Experimenten mit Ionischen Flüssigkeiten  aus den Bereichen energierelevante  Elektrochemie, nachwachsende Rohstoffe und Prozesschemie sind in dem  Buch „Nachhaltige Chemie mit Ionischen Flüssigkeiten in Experimenten  für Schule und Schülerlabor“ zu finden  (ISBN 978-3-946709-04-6, 184 Seiten).

Herausgeber und Bezugsquelle:  LernortLabor – Bundesverband der  Schülerlabore

Kontakt: [email protected]

Schutzgebühr: 5 €


Über die Autoren:

Dr. Daniel Rauber ist Chemiker und arbeitet am Transferzentrum für Nachhaltige  Elektrochemie (Universität  des Saarlandes und KIST Europe). Ionische Flüssigkeiten  sind sein Forschungsthema.  Neue fachwissenschaftliche Erkenntnisse  transferiert er in Form didaktisch aufgearbeiteter Versuche von der Forschung über  das Schülerlabor in die Schule. privat

Prof. Dr. Dr. h.c. Rolf Hempelmann leitet das Transferzentrum und forscht im  Hinblick auf Nachhaltige Chemie an den Funktionsmaterialien von Batterien und  Brennstoffzellen. Er engagiert sich für MINT-Nachhaltigkeitsbildung, hat  das Chemie- Schüler labor NanoBioLab aufgebaut und ist Gründungsvorsitzender des  Bundesverbands der Schülerlabore.

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