Eigentlich geht es um schnelle Auffassungsgabe beim Kartenspielen. Aber hinter dem Kartenspiel „Set“/„Trifix“ steckt allerlei Geometrie in mehrdimensionalen Räumen.
Ein paar Karten werden vor den Spielern ausgelegt, und es gilt, Gemeinsamkeiten unter ihnen zu finden – möglichst schnell, denn der erste, der einen Treffer landet, darf die zugehörigen Karten abräumen, und gewonnen hat, wer am Ende die meisten Karten auf seinem Stapel hat. Das geht richtig lebhaft zu!
Set oder Trifix – Spielanleitung
Dieses Spiel gibt es in verschiedenen Varianten. In den USA kennt man es unter dem Namen Set, die Teilnehmer des Wettbewerbs „Känguru der Mathematik“ bekamen 2011 eine Version namens Trifix geschenkt. 81 Karten zeigen jeweils ein einfaches Bild. Dieses hat vier verschiedene Merkmale, die jedes in drei Ausprägungen auftreten können. In der hier gezeigten Version sind das
– Form: Dreieck, Viereck oder Fünfeck;
– Farbe: rot, grün oder blau;
– Anzahl: ein, zwei oder drei Stück;
– Einfärbung: vollfarbig, leer oder blass.
Jede Kombination von Ausprägungen kommt genau einmal vor. Es kommt nun darauf an, „Sets“ zu finden. Ein Set besteht aus drei Karten, die in jedem Merkmal entweder alle gleich oder alle verschieden sind. Wo sich die drei Karten eines Sets unterscheiden, müssen alle Ausprägungen des entsprechenden Merkmals auch vorkommen. Rot, rot und grün ergibt nie ein Set, einerlei wie die Figuren sonst aussehen. Aus dem gut gemischten Stapel werden zwölf Karten ausgelegt (Abb. 1). Wer ein Set gefunden hat, ruft „Set“ und darf die drei Karten einsammeln – wer zuerst schreit, kommt zuerst. Daraufhin werden die drei Lücken mit Karten aus dem Vorrat aufgefüllt, und weiter geht das Spiel in derselben Weise, bis der Vorrat vom Stapel erschöpft ist. Wenn die Spieler, wie in der offiziellen Spielregel vorgesehen, ihre Entdeckungen durch Ausrufen kundtun, hindert einen der Lärm nicht nur am Nachdenken; relativ häufig ist auch die Priorität unklar. Nach meiner Erfahrung geht es deutlich konfliktarmer zu, wenn der Entdecker eines Sets je einen Finger auf die drei Karten legt und die Bestätigung der Mitspieler abwartet, bevor er sie abräumt. Wer ein Weilchen gespielt hat, merkt bald, dass es zu zwei beliebigen Karten stets genau eine dritte gibt, die diese zu einem Set ergänzt. „Zwei Punkte bestimmen stets eindeutig eine Gerade“, sagt ein Satz der elementaren Geometrie, und siehe da: Man kann die Karten des Spiels als Punkte und die Sets als Geraden auffassen. Allerdings ist die zugehörige Geometrie etwas gewöhnungsbedürftig.
Vierdimensionaler Torus über endlichem Körper
Wir geben den drei Ausprägungen jedes Merkmals die Nummern 0, 1 und 2 und können daraufhin jede Karte durch vier Zahlen beschreiben. Wenn wir uns beim Nummerieren an die oben angegebene Reihenfolge halten, wäre z. B. (2, 0, 2, 1) zu verstehen als „Fünfecke, rot, drei Stück, leer“. Diese Zahlen interpretieren wir nun als Koordinaten – aber da es vier sind, liegen unsere Punkte in einem vierdimensionalen Raum. Dass der Raum nicht besonders ausgedehnt ist – jede Gerade besteht nur aus drei Punkten –, hilft dem Vorstellungsvermögen nicht unbedingt. Zu allem Überf luss ist jede der vier Dimensionen zum Kreis aufgewickelt. Der ganze Raum ist also ein diskreter vierdimensionaler Torus oder auch ein vierdimensionaler Vektorraum über dem Körper der natürlichen Zahlen modulo 3. Das lässt sich noch einigermaßen veranschaulichen, wenn man sich auf zwei der vier Dimensionen beschränkt, algebraisch gesprochen: den zweidimensionalen Unterraum, der durch die Bedingungen „ein Stück“ und „vollfarbig“ definiert ist (Abb. 2). Immerhin lässt sich der gewöhnliche Viererwürfel in die dritte Dimension herunterprojizieren und damit der Vorstellung zugänglich machen (Spektrum der
Wissenschaft 11/2004, S. 101). Das gibt zumindest einen gewissen Eindruck von der Struktur des Spiels (Abb. 3). Erstaunlicherweise kann man selbst in einem derart exotischen Raum herkömmliche geometrische Begriffe verwenden. So gibt es Ebenen. Die einfachsten sehen aus wie die in Abbildung 2: Zwei der Koordinaten sind festgelegt, für die beiden anderen gibt es noch genau neun Möglichkeiten. Aber Ebenen dürfen auch schräg liegen. Allgemein nehme man zwei Geraden – sprich Sets –, die einen Punkt gemeinsam haben. Diese fünf Punkte definieren eine Ebene, ganz wie zu Hause im euklidischen Raum. Es genügen auch schon drei Punkte, die nicht auf einer Geraden liegen. Zwei Ebenen können eine ganze Gerade gemeinsam haben oder parallel zueinander liegen, wie im gewöhnlichen Raum. Zusätzlich kann es vorkommen, dass sie sich in einem einzigen Punkt treffen – oder gar nicht, ohne parallel zu sein. In vier Dimensionen gibt es genügend Platz für zueinander windschiefe Ebenen.
Erweiterung des Spiels
Eine Gruppe amerikanischer Mathematiklehrer hat das Konzept der Ebene für eine interessante Erweiterung des Spiels genutzt. Man suche ein Ensemble von vier Karten, die in einer Ebene liegen, aber keine vollständige Gerade enthalten, oder – noch etwas schwieriger – ein Ensemble aus neun Karten, das kein Set enthält, aber jedesmal in drei Sets zerfällt, wenn man nur eines der vier Merkmale isoliert betrachtet. Schließlich verhilft das Rechnen modulo 3 zu einer verblüffend einfachen Erkenntnis: Drei Punkte in dem vierdimensionalen Vektorraum bilden genau dann ein Set, wenn ihre Summe gleich dem Nullvektor ist. In der Tat: In jeder Koordinate finden sich entweder drei gleiche Summanden, was ein Vielfaches von 3 ergibt, oder die Summanden 0, 1 und 2, die zusammen 3 ergeben. In jedem Fall ist das Ergebnis gleich 0 modulo 3. Ein anderes Kartenspiel namens „Dobble“ besteht aus 55 Karten, deren jede acht verschiedene Symbole trägt. Die Aufgabe besteht darin, als erster auf zwei ausgelegten Karten dasjenige Symbol zu identifizieren, das auf beiden Karten vorkommt. Wie kann es sein, dass es stets genau ein solches Symbol gibt? Wieder hilft eine geometrische Analogie: Jede Karte ist eine Gerade, jedes Symbol ein Punkt. Die Einzelheiten sind nicht einfach (siehe Download) – aber es geht.
Dr. Christoph Pöppe
Dr. Christoph Pöppe, Jahrgang 1953, hat Mathematik und Physik studiert. Von 1989 bis 2018 war er (der einzige)
Redakteur für Mathematik und verwandte Gebiete bei der Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“.
Download: Trifix-Spielkarten hier
Dobble und die projektiven Ebenen hier