Das Experiment ist ein zentraler Bestandteil des Physikunterrichts – auch oder gerade im Zeitalter digitaler Medien. Denn digitale Werkzeuge, wie das Smartphone, bieten durch die integrierten Sensoren vielfältige Möglichkeiten, physikalische Versuche durchzuführen.
Durch die kompakten und einfach zu bedienenden Geräte, die fast jede Schülerin und jeder Schüler stets bei sich hat, sind Versuche quasi immer und überall möglich. Damit bieten sie einen entscheidenden Vorteil gegenüber aufwendigen physikalischen Versuchsanordnungen. Zudem sind Schülerinnen und Schüler im Umgang mit den Geräten vertraut, so dass ein direkter Bezug zu ihrem Alltag besteht und mehr Zeit beispielsweise für Auswertung und Interpretation von Versuchen und deren Ergebnissen verwendet werden kann.
Die Einsatzmöglichkeiten für Smartphones im Physikunterricht sind vielfältig. Die Nutzung der Kamera etwa zur Dokumentation von Wurfparabeln oder des Mikrofons für verschiedene Themen der Akustik sind mittlerweile gut etabliert. Doch mit dem Smartphone lassen sich viele weitere Fragestellungen untersuchen. Einige Ideen dazu möchten wir hier vorstellen.
All-in-One – die App Phyphox
Eine gute Möglichkeit, die Vielfalt der im Smartphone vorhandenen Sensoren im Unterricht zu nutzen, bietet die App Phyphox. Die an der RWTH Aachen entwickelte App liest die Messwerte folgender Sensoren aus – soweit im jeweiligen Smartphone vorhanden: Magnetometer, Gyroskop, Licht-, Druck- und Näherungssensor, Mikrofon und GPS/Standort. Die Daten können am Handybildschirm ausgelesen und direkt in Tabellenkalkulationsprogramme wie Excel exportiert werden.
Das besondere an Phyphox ist eine umfangreiche Sammlung von Experimenten, die kostenfrei genutzt werden kann. So werden (Stand Juni 2018) 35 Experimentieranleitungen angeboten, dazu gehören zehn Videoanleitungen für Messbeispiele, die vom Aufzug über das Fadenpendel bis hin zur Zentrifugalbeschleunigung reichen. Für sechs Experimente gibt es erweiterte Unterrichtsmaterialien.
Dieses Zusatzangebot unterscheidet Phyphox von den meisten anderen Apps zum Auslesen der von den Sensoren gelieferten Daten. Andere Apps bieten dafür teilweise auch weitere Funktionen. Zum Beispiel liefert die App GPS Status pro neben umfassenden Informationen zum aktuellen GPS-Empfang zusätzlich zur Helligkeitsmessung auch Angaben zur Farbtemperatur als Maß für die Spektralverteilung des Lichts. Zudem kann mit ihr die Luftfeuchtigkeit gemessen werden (natürlich nur, wenn ein solcher Sensor im Smartphone verbaut ist). Darüber hinaus verfügt sie über Kompass und Schrittzähler. Dafür fehlen GPS Status pro die für den Unterricht wichtigen Funktionen zum Aufzeichnen und Exportieren von Daten. Einen umfangreichen Vergleich des Funktionsumfangs verschiedener solcher Apps hat die Computerzeitschrift c’t in Ausgabe 9/2018 publiziert, eine kostenfrei zugängliche Kurzversion gibt es unter www.heise.de im Beitrag „Die besten Physik-Multisensor-Apps für Android und iOS“.
Phyphox im Unterricht
Die App Phyphox wurde ursprünglich für die universitäre Lehre entwickelt. Phyphox ist jedoch durch seinen großen Funktionsumfang flexibel einsetzbar und dadurch auch hervorragend für den Physikunterricht geeignet. Auf dem Lernportal LEIFIphysik findet sich eine Vielzahl von Experimenten mit Phyphox, die speziell für den Unterricht aufbereitet wurden. Neben den eigentlichen Versuchsbeschreibungen sind hier passende Aufgaben inklusive Lösungen, benötigtes Vorwissen, nützliche Tipps zur Durchführung sowie Hinweise zu den theoretischen Grundlagen frei verfügbar. Darüber hinaus sind die Versuche in verschiedenen Schwierigkeitsstufen angelegt, sodass ein differenzierter Unterricht möglich ist.
Wo befindet sich der Beschleunigungssensor im Smartphone?
Mit passenden Unterrichtseinheiten lässt sich die Nutzung von Sensoren auch mit Fragen zum technischen Aufbau eines Smartphones verbinden, wie der Physikdidaktiker Franz Boczianowski von der Humboldt-Universität zu Berlin in einem „Toolbox für den Unterricht“ (siehe unten) anschaulich erklärt. In dem Experiment wird ein Smartphone auf einem Plattenspieler ausgerichtet (siehe Abbildung) und über die App Phyphox die Radialbeschleunigung sowie die Kreisfrequenz des Plattenspielers mit Hilfe des Beschleunigungssensors und dem Gyroskop eines Smartphones mehrdimensional vermessen. Dabei wird der Frage nachgegangen, wo der Beschleunigungssensor im Smartphone überhaupt positioniert ist. Über den Zusammenhang „je größer die Beschleunigung, desto größer der Abstand zur Achse“, lässt sich herausfinden, in welchem Bereich des Smartphones sich der Beschleunigungssensor befindet. Die Schülerinnen und Schüler können so ihre eigenen Geräte vermessen und die unterschiedlichen Ergebnisse vergleichen. Eine Besonderheit dieses Experiments ist seine Authentizität, da die korrekte Lösung für verschiedene Smartphone-Typen in der Regel auch der Lehrperson nicht bekannt ist.
Dr. Jenny Meßinger-Koppelt, Dr. Jörg Maxton-Küchenmeister
Tipps für weiterführende Unterrichtsideen
www.MINTdigital.de
Das Portal gibt einen Überblick zu verschiedenen unterstützenden Apps und Lehrmaterialien für digitale Unterrichtseinheiten in den Naturwissenschaften.
www.LEIFIphysik.de
Das von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräfte vielbesuchte Lernportal für Physik bietet neben Grundlagenwissen und Aufgaben auch konkrete Versuchsbeschreibungen und Anregungen zur Nutzung des Smartphones und der App Phyphox.
www.phyphox.org
Umfangreiche Sammlung von Experimenten und Erklärvideos zur Nutzung der App Phyphox im Physikunterricht.
www.joachim-herz-stiftung.de/service/verlag
„Naturwissenschaften digital – Toolbox für den Unterricht“: 14 praktische Beispiele für den Einsatz von digitalen Werkzeugen im Chemie-, Physik- und Biologieunterricht. Kostenfreie Broschüre, erhältlich beim Verlag der Joachim Herz Stiftung, Hamburg.
Dr. Jenny Meßinger-Koppelt ist Projektmanagerin in der Joachim Herz Stiftung und zuständig für Bildungsthemen im Bereich Naturwissenschaften. Einer ihrer Schwerpunkt liegt dabei auf digitalen Medien im Unterricht.
Dr. Jörg Maxton-Küchenmeister leitet den Bereich Naturwissenschaften der Joachim Herz Stiftung. Ein wesentliches Ziel der Programmarbeit für ihn ist, naturwissenschaftliche Bildung in die Breite der Gesellschaft zu tragen.