Skip to content

Selbstreguliertes Lernen im MINT-Unterricht: ein sinnvoller Ansatz?

Beim Selbstregulierten Lernen gestalten Schülerinnen und Schüler ihre Lernprozesse aktiv und eigenverantwortlich. Sie setzen sich eigene Ziele, planen, organisieren und evaluieren ihren Lernprozess. Die Unterrichtsforschung nimmt seit langem an, dass Selbstreguliertes Lernen zu besseren Lernerfolgen führt – auch in den MINT-Fächern. Zwei aktuelle Forschungssynthesen widmen sich der Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen Selbstreguliertem Lernen und Lernerfolg gibt und wie Lehrkräfte Selbstreguliertes Lernen erfolgreich unterrichten können.

Die Schülerinnen und Schüler einer Klasse 11 sollen sich Wissen zum Thema Photosynthese aneignen. Dazu stehen ihnen Texte und Grafiken zur Verfügung. Bevor Marc mit der Aufgabe beginnt, stellt er einen Zeitplan auf und legt fest, wie er sich die relevanten Informationen aus dem Text erschließen will – vom Bündeln der Informationen in Concept Maps oder Grafiken bis hin zur Textzusammenfassung hat sein Lehrer Herr Schröder ihnen verschiedene Möglichkeiten gezeigt. Nun setzt Marc die gewählten Strategien ein und gleicht seine Fortschritte und Ergebnisse immer wieder mit den gesetzten Zielen ab. Kommt er nicht weiter, bittet er Mitschülerinnen und Mitschüler oder seinen Lehrer um Unterstützung oder recherchiert im Internet. Am Ende der Lerneinheit bekommt er von Herrn Schröder Rückmeldung zu seinem Lernfortschritt und reflektiert die Ergebnisse und den Lernprozess: Hat er seine Lernziele erreicht? Und falls nicht, hätte er sich andere Ziele setzen sollen oder wären andere Lernstrategien zielführender gewesen?

Metakognitive Strategien

Diesem stark vereinfachten Beispiel liegt ein weit verbreitetes Modell des Selbstregulierten Lernens zugrunde, das Campillo und Zimmermann 2002 entwickelt haben. Darin unterteilen sie die metakognitiven Strategien des Selbstregulierten Lernens in drei Phasen:

  • Planen,
  • Bearbeiten von Aufgaben und
  • Selbstreflexion.

Metakognitive Strategien steuern und kontrollieren den übergeordneten Lernprozess und den Einsatz von spezifischen Strategien. Diese kognitiven Strategien wiederum sind Werkzeuge, die Schülerinnen und Schüler einsetzen können, um sich den Lernstoff zu erschließen, zum Beispiel indem sie

  • die Informationen auf das Wesentliche reduzieren,
  • neu zusammenfassen oder
  • mit bereits Gelerntem verknüpfen.

Andere Modelle integrieren zudem noch sogenannte Managementstrategien. Dazu gehört:

  • mit anderen zusammen zu arbeiten oder
  • sich eine optimale Lernumgebung zu schaffen.

Wie hängen Selbstreguliertes Lernen und Lernerfolg zusammen?

Dent & Koenka (2016) untersuchen in einer Metaanalyse, welchen Zusammenhang es zwischen metakognitiven und kognitiven Strategien des Selbstreguliertem Lernens und der Lernleistung von Schülerinnen und Schülern gibt und welche Faktoren diesen Zusammenhang beeinflussen.

Sie finden heraus, dass es kleine, aber signifikante Zusammenhänge gibt – sie sind am Größten in den Naturwissenschaften und Gesellschaftswissenschaften und bei älteren Schülerinnen und Schülern von der Mittelstufe aufwärts. Das bedeutet: Lernende, die ihr Lernverhalten aktiv steuern, können mit besseren Schulleistungen rechnen. Der größte Zusammenhang im Hinblick auf metakognitive Strategien besteht zwischen Planen und Lernerfolg. Wenn Schülerinnen und Schüler also die einzelnen Lernschritte gut vorbereiten und in eine sinnvolle Reihenfolge bringen, ist zu erwarten, dass ihr Lernerfolg steigt. Bestimmte kognitive Strategien, die helfen, Informationen besser und tiefergehender zu verarbeiten – wie das Herausarbeiten zentraler Ideen eines Textes – wirken sich sehr viel positiver auf den Lernerfolg aus als oberflächliche kognitive Strategien wie Auswendiglernen. Letztere können sogar kontraproduktiv sein. Die Metaanalyse zeigt, dass es nicht nur wichtig ist, wie häufig Lernende metakognitive und kognitive Strategien einsetzen (Quantität), sondern vor allem auch, um welche Strategien es sich handelt und wie sie eingesetzt werden (Qualität).

Selbstreguliertes Lernen unterrichten – wie geht das?

Welche Erkenntnisse können Lehrkräfte daraus für ihren Unterricht ziehen? Wie können sie Schülerinnen und Schüler bestmöglich zum Selbstregulierten Lernen anleiten? Damit befasst sich eine weitere Metaanalyse von Donker und Kollegen (2014). Die Autoren nehmen an, dass sich Interventionen, die das Selbstregulierte Lernen fördern, indirekt immer auch positiv auf den Lernerfolg auswirken. Um das zu überprüfen, untersuchen sie empirisch, wie sich die Instruktion von kognitiven, metakognitiven und Management-Strategien auf die Lernleistung auswirkt.

Die Ergebnisse der Metaanalyse sind vielversprechend für Lehrkräfte – denn sie zeigen nicht nur, dass sich Selbstreguliertes Lernen positiv auf den Lernerfolg auswirkt, sondern auch, dass es möglich ist, Selbstreguliertes Lernen zu unterrichten. Am größten ist der Effekt im Bereich Schreibkompetenzen, gefolgt von Naturwissenschaften und Mathematik. Die Analyse zeigt zudem, dass alle Lernenden unabhängig von sozioökonomischen Hintergrund, Alter, Migrationshintergrund oder Leistungsprofil vom Unterrichten des Selbstregulierten Lernens profitieren. Da sich einerseits alle getesteten Strategien als wirksam erweisen, sich aber andererseits bestimmte Strategien je nach Kontextbedingung besser eignen, sollten Lehrkräfte ihren Schülerinnen und Schülern sowohl eine Vielzahl an Strategien als auch metakognitives Wissen über Selbstreguliertes Lernen vermitteln. Denn dann können sie selbst entscheiden, welche Strategien wann für sie geeignet sind.

Selbstreguliertes Lernen modellhaft unterrichten

Eine Einzelstudie aus der Metaanalyse illustriert, wie Selbstreguliertes Lernen konkret unterrichtet werden kann: Darin wandten Lehrkräfte Strategien modellhaft an und erklärten ihren Schülerinnen und Schülern anschließend, wann, wie und warum sie die Strategien jeweils einsetzten. Auf diese Weise vermittelten sie zusätzlich metakognitives Wissen über Selbstreguliertes Lernen. Wenn Lehrpersonen ihren Schülerinnen und Schülern außerdem noch individuelles Feedback zum Selbstregulierten Lernen geben – zum Beispiel Informationen über persönliche Lernstile, Stärken und Schwächen – können Lernende neben allgemeinem metakognitivem Wissen auch ihr persönliches Wissen über das eigene Lernverhalten erweitern.

Fazit

Letztlich empfiehlt es sich, so früh wie möglich mit der Instruktion von Selbstreguliertem Lernen zu beginnen. Denn durch einen frühen Start und mit einer langfristigen, breit angelegten Anleitung zum Selbstregulierten Lernen profitieren Lernende am meisten.

Dr. Anne Wiesbeck, Annika Schneeweiss


Weitere Informationen

Das Clearing House Unterricht wurde 2015 an der TU München gegründet und wird im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung vom Ministerium für Bildung und Forschung gefördert. Ziel des Projekts ist es, die aktuell beste und verfügbare wissenschaftliche Evidenz zu Themen des MINT-Unterrichts für die Lehrerbildung aufzubereiten.

Links

Kurzreviews zum Selbstregulierten Lernen

Selbstreguliertes Lernen und Lernerfolg bei SchülerInnen: Gibt es einen Zusammenhang?

Selbstreguliertes Lernen unterrichten: Eine Möglichkeit, den Lernerfolg zu fördern?

Die Kurzreviews enthalten jeweils einen tabellarischen Überblick über alle getesteten Strategien und deren Wirksamkeit.

Beitrag teilen:

Facebook
Twitter
LinkedIn
Pinterest
XING
WhatsApp
Email

Ähnliche Beiträge

Programmieren Lego
Gesponserte Inhalte
23. Januar, 2023
Wer keinerlei Erfahrung mit digitalem Unterricht hat, der möchte das Thema oft gar nicht aufgreifen. Aber mit dem handlungsorientierten Lernkonzept SPIKE TM Essential von LEGO® Education gelingt es spielend leicht, Grundschulkindern der Klassen 1 bis 4 die Grundprinzipien des Programmierens beizubringen.
Waerme
23. Januar, 2023
Mithilfe von Thermografie- oder Wärmebildkameras lässt sich die für unsere optische Wahrnehmung nicht erfassbare Infrarotstrahlung detektieren und sichtbar machen. Die von verschiedenen Gegenständen oder Lebewesen emittierte Wärmestrahlung wird durch die Programmierung der Kamera so umgerechnet, dass sogenannte Falschfarbenwärmebilder entstehen. Unterrichtliche Erfahrungen zeigen, dass Lernende diese Farbcodierung zumeist intuitiv verstehen.
Citizen Science © Gesine Born
5. Januar, 2023
Pinguine in der Antarktis zählen, Galaxietypen identifizieren oder Tiere der Serengeti bestimmen – Citizen Science bietet vielfältige Möglichkeiten zum Mitforschen für Schüler*innen.
2022_11_24_Schulmatrial EO Banner_ohne Text und Logo
Gesponserte Inhalte
1. Dezember, 2022
Das Schulmaterial der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR und Klett MINT erklärt anschaulich, wie Erdbeobachtung funktioniert und welchen Nutzen der Blick von oben für uns auf der Erde hat.
Blogbeitrag_Präparate-Hosentasche_Header
25. November, 2022
Das Mikroskopieren stellt eine für die Naturwissenschaften einzigartige Arbeitsweise dar und ist als eine Form des Untersuchens für den Biologieunterricht von besonderer Bedeutung. Beim Mikroskopieren werden die Sinne durch das Mikroskop erweitert und Objekte sowie Phänomene der Natur erfahrbar, die makroskopisch nicht untersucht werden können. Neben den systematischen Beobachtungen können aber auch weitere Fähigkeiten gefördert werden.
Wolf
14. Oktober, 2022
Seit über 20 Jahren leben wieder Wölfe in Deutschland. Die Rückkehr des Wolfes wird von Naturschutzgruppen begrüßt und von Jäger*innen sowie Nutztierhalter*innen kritisch gesehen. Zu Recht? Betrachten wir einmal die von der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) veröffentlichten Daten durch die Mathematikbrille.
MZ-02-22_Beitragsbild-3D-Druck
25. August, 2022
Es scheint ein Charakteristikum des fortschreitenden 21. Jahrhunderts zu sein, dass unser Alltag geprägt ist von globalen Krisen, die von der Menschheit nur dann gelöst werden können, wenn sie sich kollektiv intelligent verhält. Ob und wie das gelingen kann, ist mit Sicherheit auch eine Frage unseres Bildungssystems.
MZ-02-22_Blogbeitrag_Fischereispiel
8. August, 2022
Auch in der Wirtschaftswissenschaft werden Experimente mittlerweile zur Untersuchung einer Vielzahl von Fragestellungen genutzt: Die experimentelle Wirtschaftsforschung gilt als etablierte Disziplin.
MZ-02-22_Beitragsbild_Energie
29. Juli, 2022
Biomasse, Sonnenenergie, Windkraft und Wasserkraft sind die Themen der Zukunft. Grund genug, sie bereits heute auf spielerische Weise in den Unterricht einzubinden. Dieser Beitrag gibt spannende Unterrichtsideen in Form von Stationen und Experimenten.
MZ-02-22_Beiragsbild-Hecken
8. Juli, 2022
Hecken sind viel mehr als nur ein Sichtschutz für Haus und Garten. Sie sind ein wichtiger Lebensraum, in dem sich so manche tierische Überraschung versteckt, und können zudem Treibhausgasemissionen kompensieren – vorausgesetzt, es handelt sich um Naturhecken aus einheimischen Sträuchern.
MZ-01-22_Beitragsbild_Rätsel-Würfelaufkleber
8. Juni, 2022
Auf MINT Zirkel gibt es Knobel- und Rätselspaß mit Heinrich Hemme.
MZ-01-22_Beitragsbild_Geldscheine
7. Juni, 2022
Schaut man in die Geldbörsen in aller Welt, so entdeckt man viele Banknoten, die voller Mathematik, Physik und Astronomie sind. Wer nach Tadschikistan reist, wird mit großer Sicherheit auch einen 20-Somoni-Schein in seiner Geldbörse haben. Darauf ist der Universalgelehrte Avicenna abgebildet.