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Draußen lernt es sich besser!

Naturwissenschaften dort lernen, wo Natur ist …

In Schottland und den skandinavischen Ländern findet MINT-Unterricht regelmäßig außerhalb des Schulgebäudes statt. Neueste Forschungsergebnisse begründen, weshalb das eine gute Idee ist und auch in Deutschland umgesetzt werden kann.

Draußen zu unterrichten ist nicht neu. Im Gegenteil: Gerade in den Naturwissenschaften wurde die Beobachtung der Natur schon immer auch in Unterrichtskonzepte eingebunden. Denn was liegt näher? Entsprechend gibt es für die Geographie und die Biologie jeweils eigene universitäre Forschungs- und Ausbildungsbereiche, die sich mit der „Exkursionsdidaktik“ befassen. Exkursionen haben ihren Sitz im Schulleben in der Regel zum Schuljahresende, gerne nach Notenschluss, anstelle eines Wandertags oder einer Klassenfahrt. Sie gelten als aufwändig, sind manchmal teuer, und Lernzielsicherung und -kontrolle sind hierbei auch nicht gerade trivial.

Draußenschule international

In nordeuropäischen Staaten, in Nordamerika, in Australien und Neuseeland lässt sich jedoch eine regelrechte Outdoor-Bewegung an den Schulen feststellen. Liegt in den letztgenannten Ländern der Fokus auf Abenteuerprogrammen, die vor allem die soziale und persönliche Entwicklung der Schülerinnen und Schüler im Blick haben, so finden sich in Schottland und den skandinavischen Ländern seit Mitte der 1990er Jahre vermehrt lehrplanbezogene Konzepte des Draußenunterrichts.

In Schottland gibt es die wohl am weitesten entwickelte „Schooling Policy“ für Draußenunterricht in Europa. Im Zuge des Rio-Gipfels 1992 wurde „Sustainability Learning“ als fächerübergreifendes Schulfach eingeführt und nach und nach Strukturen geschaffen, dies an den Schulen umzusetzen. Dem „Outdoor-Teaching“ kommt hierbei eine wichtige Rolle zu. Lehrkräfte werden explizit aufgefordert, regelmäßig die spezifischen natürlichen und kulturellen Gegebenheiten im Nahbereich der Schulen in den Unterricht einzubeziehen. Es finden sich entsprechende Aus- und Weiterbildungsprogramme, und auch lokale Vereine, Stiftungen, Museen, Betriebe, etc. haben sich mit den Schulen vernetzt. Auch wenn heute noch vieles nicht zufriedenstellend umgesetzt ist, und die Ausführung wie immer stark vom Engagement der Lehrkräfte und der Kultur der Schulen abhängt, so gibt es doch staatliche Unterstützung und einen Masterplan, über alle Jahrgangsstufen hinweg.

In Norwegen hat vor allem Arne Jordet in den 1990er Jahren eine Draußenschule-Didaktik entwickelt. Das besondere hierbei sind die Regelmäßigkeit und Selbstverständlichkeit, mit der der Unterricht, auch bei Wind und Wetter, im „nærmiljø“ („Nahbereich“) des Klassenzimmers durchgeführt wird. Das nationale Förderprogramm „Den naturlige skolesekken“ („Der natürliche Schulranzen“) griff die Idee auf. Seither haben sich viele Schulen dieser Idee verschrieben und suchen lokale Natur- und Kulturräume regelmäßig als „Lernarenen“ auf. Etwa zeitgleich hat in Dänemark der Kopenhagener Sportwissenschaftler Erik Mygind begonnen, die Idee der „Draußenschule“ zu propagieren. Während Jordet hauptsächlich konzeptionell an der Draußenschule gearbeitet hat, hat Mygind die ersten empirischen Forschungsergebnisse präsentiert, zunächst zum Aktivitätsverhalten der Kinder in Draußenklassen im Verhältnis zu „normalen“ Unterricht – mit und ohne Schulsport. Mit einer Modellschule wurden dann von 1999–2002 weitere Lernbereiche erforscht – u. a. Sprachentwicklung, zur Wahrnehmung von Naturphänomenen im Draußenunterricht oder zu unterschiedlichen Raumkonzeptionen der Kinder im Drinnen und Draußen. Heute findet in Dänemark an etwa jeder fünften Schule zehn bis 20 Prozent des Unterrichts außerhalb des Klassenzimmers statt. In einem Forschungsprojekt von 2013–2018, an dem 16 Schulen mit mehr als 850 Schülerinnen und Schülern teilnahmen, konnten erstmals die Wirkungen von regelmäßiger Draußenschule auf das Lern-, Sozial- und Aktivitätsverhalten der Kinder in einem größeren Maßstab untersucht werden. Folgende Ergebnisse aus bisherigen Fallstudien wurden bestätigt:

  • Kinder lernen lieber draußen und entwickeln eine höhere intrinsische Motivation, auch für Fächer, die nicht draußen unterrichtet werden.
  • Regelmäßiger Draußenunterricht fördert die Lesekompetenz.
  • Beim Draußenunterricht bewegen sich vor allem die Jungs deutlich mehr als drinnen, selbst als an Unterrichtstagen mit Sportunterricht.

Draußenschule in Deutschland

Zu ähnlichen Ergebnissen kam ich mit meiner Forschergruppe in verschiedenen Projekten in Deutschland. An einem Privatgymnasium in Heidelberg findet seit einigen Jahren in den fünften Klassen des G-9-Zuges an einem Schultag pro Woche der Unterricht komplett im Freien statt. Auch hier konnten wir ein gesteigertes Aktivitätsverhalten der Kinder im Freien gegenüber der Kontrollgruppe feststellen, und haben zudem gezeigt, dass besonders leichte physische Aktivität im Freien, im Gegensatz zum Bewegen auf dem Pausenhof, zu einem Abbau des Stresshormons Cortisol beiträgt. Zudem wird der Unterricht im Wald von den Schülerinnen und Schülern als deutlich praxisrelevanter eingestuft, was sich vor allem durch den höheren Aktivierungsgrad und die höhere wahrgenommene Autonomie-Unterstützung der Kinder erklären lässt.

Umsetzungsstrategien

Die Verbreitung von regelmäßiger Draußenschule ist in Deutschland nicht erforscht. Außer dem Projekt an dem Heidelberger Privatgymnasium weiß ich noch von drei Grundschulen, die aus einem Schulwander-Projekt der Universität Mainz (2014–2016) hervorgegangen sind, sowie einer weiteren Grundschule. Ich bin mir aber sicher, dass es viele weitere engagierte Lehrkräfte in Deutschland in allen Schularten gibt, die regelmäßig mit ihren Klassen im Unterricht nach Draußen gehen.

Forschungsergebnisse zu den Rahmenbedingungen für Draußenschule in Deutschland zeigen, dass die strukturellen Unterschiede zu Dänemark und Schottland nicht sehr groß sind. Es ist eher eine Frage der Schulkultur, ob sich einzelne Lehrkräfte entsprechend engagieren (können) und dabei Unterstützung vom Kollegium und der Schulleitung bekommen.

Dass auch an staatlichen Gymnasium Möglichkeiten bestehen, solche Unterrichtskonzepte jenseits von freiwilligen AGs in den Schulalltag zu integrieren, zeigt sich bespielhaft am Schyren-Gymnasium Pfaffenhofen/Ilm. Dort haben Lehrkräfte mit Unterstützung meines Teams und weiterer Kollegen der TU München mit ihren Schülerinnen und Schülern biologische und soziale Indikatoren des Klimawandels in den Alpen und in Jotunheimen/Norwegen erforscht. Innerhalb von 18 Monaten sind die Elft- und Zwöfltklässler fächerübergreifend ihren Forschungsprojekten nachgegangen.

Solche Projekte fordern außergewöhnlichen Einsatz, von Lehrkräften wie Schülerinnen und Schülern gleichermaßen. Und dabei benötigen sie die Unterstützung durch Forschungseinrichtungen. Ich habe persönlich die Erfahrung gemacht, dass sich der Einsatz lohnt. Denn so wird eine gemeinsame Bildungszukunft gestaltet.

Assoc. Prof. Dr. Ulrich Dettweiler

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