Skip to content

Viren statt Antibiotika

Das zunehmende Auftreten von multiresistenten Mikroorganismen verringert immer mehr die Anzahl an Reserveantibiotika. Die Phagentherapie als Anwendung von Viren, die spezifisch Bakterien angreifen können, ist Gegenstand aktueller Forschung zur Entwicklung neuer Therapiemethode gegen multiresistente Keime.

Der Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen ist ein Jahrzehnte altes Problem. Der unbedachte Einsatz von Antibiotika in der Krankenversorgung führt immer schneller zur Resistenz-Entwicklungen. So dauert es nur noch wenige Jahre, bis sich nach Einführung von neuen Wirkstoffen Resistenzen in pathogenen Mikro­organismen gegen diese Medikamente bilden. Dieser Kampf ist für Patienten nur aussichtsreich, solange genügend Ersatzpräparate existieren. Jedoch schrumpft die Anzahl jährlich. Das liegt u. a. daran, dass kaum mehr neue Anti­bio­tika entwickelt werden. Doch die steigende Anzahl an antimikrobiellen Resistenzen erhöht nun den Druck, global mehr in die Forschung und Entwicklung neuer Antibiotika zu investieren.

Viren gegen Bakterien – die Phagentherapie

Neben neuartigen Antibiotika wird aber auch an alternativen Therapiemethoden geforscht. Dabei erlebt eine fast vergessene Form ihre Renaissance: die Phagen­therapie. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts erkannte Ernest Hanbury Hankin, dass Wasser aus indischen Flüssen antibakterielle Wirkung hat, da durch das Trinken dieses Wassers Epidemien verhindert werden konnte. Diese „schützende Substanz“ ließ sich nicht filtern, durch Abkochen verlor das Wasser seine protektive Wirkung. Mit der Entdeckung der Bakteriophagen 1915 durch Frederick Twort und 1917 durch Felix d’Herelle wurde das Rätsel um die unbekannte schützende Substanz gelöst. Bakteriophagen sind Viren, die 100-fach größere Bakterien als Wirte haben. Charakteristisch für sie ist das polyedrische Kapsid, in der das doppelsträngige DNA- bzw. RNA-Genom eingebettet ist. Der lange Proteinschwanzteil hat am Ende Rezeptoren, mit dem sich das Virus an Oberflächenmolekülen des Wirts anheftet. Der Replikationszyklus zur Vermehrung beginnt mit der Anheftung der Phage an der Bakterien-Außenschicht. Durch Injektion wird nun das Phagen-­Genom in die Wirtszelle eingespritzt und es kommt anschließend zur Transkription und Translation des viralen Genoms. Nach der Virus-Assemblierung werden die Bak­terio­pha­gen durch Lyse freigesetzt, wobei das Bakterium zerstört wird. Dies stellt den zentralen Mechanismus der Phagentherapie dar (siehe Abbildung).

Vorzüge der Phagentherapie

Ein wesentlicher Vorteil von Bakteriophagen ist die hohe Spezifität. So greifen sie nur ganz spezifische bakterielle Wirtszellen an und töten diese in der Lyse durch Zellmembranporenbildung und Zellwand-Hydrolyse ab. Aus diesem Grund üben Phagen keine Effekte auf andere Zellen in ihrer Umgebung aus. Auch ist nach heutigem Forschungsstand nicht bekannt, dass aus gereinigten Phagen-­Präparaten direkt Endotoxine freigesetzt werden. Eine weitere positive Eigenschaft ist ihre Selbstregulation. Solange lebensfähige metabolisch aktive Wirtszellen vorhanden sind, werden diese infiziert. Es werden weitere Viren repliziert, bis keine Bakterien mehr vorhanden sind. So wird im Gegensatz zu vielen Antibiotika nicht nur das Wachstum von mikrobiellen Keimen gehemmt, sondern sie werden gleich aus dem Organismus eliminiert.

Probleme

Der Vorteil der hohen Wirtspezifität hat aber auch seine Schattenseiten. So können nur durch ganz bestimmte Phagen entsprechende bakterielle Keime als Wirte zerstört werden, was die Behandlung mancher Erregergruppen ausschließt. Aus diesem Grund wird heutzutage oft für eine schnelle Behandlung einer Infektion ein ganzer Cocktail an verschiedenen Phagen verabreicht. Eine andere Methode ist die Isolation des Erregers und die anschließende Testung eines kompletten Phagen-Sets darauf. Aus diesen kann dann das spezifische Virus gegen das pathogene Bakterium ausgewählt werden. Alternativ hierzu kann auch über zufällige bzw. induzierte Mutation des viralen Genoms und anschließender Selektion oder anderseits durch genetische Mutation eine erweiterte Wirtspezifität erreicht werden.
In der Praxis stellt sich bei der Phagen­therapie derzeit noch ein weiteres Pro­blem: die recht schnelle Eliminierung durch das körpereigne Filterungssystem. In Tiermodellen konnte aber schon gezeigt werden, dass sich langzeit-zirkulierende Phagen entwickeln lassen, wodurch die antiviralen Wirkungen weiter verbessert wurden. Eine weitere Problematik ist die Möglichkeit der Resistenzbildung. In einer Bakterienpopulation kommt es immer wieder vor, dass einige Wirtszellen nicht von Viren infiziert werden oder nach der Infektion keine neuen Viruspartikel entstehen. Dadurch bilden sich unter gleichbleibendem Selektionsdruck resistente Klone. Jedoch haben einige Phagen Anti-Resistenz-Mechanismen entwickelt, die sich coevolutiv mit den Wirtsorganismen weiterentwickeln. Aus diesem Grund würde eine Kombinationstherapie von Bak­terio­pha­gen mit klassischen Antibiotika eine effiziente Methode sein, um die Bildung von Resistenzen zu vermeiden.

Fazit

Die Phagentherapie könnte zukünftig zu einer eleganten Alternative zur Bekämpfung von multiresistenten Keimen werden. Jedoch bedarf es, besonders auch im Hinblick auf eine Zulassung als reguläres Arzneimittel, noch weiterer Forschung, da bisher großangelegte Studien noch fehlen. Wir können gespannt sein, wie sich diese altbekannte Therapiemethode in der Zukunft entwickeln wird.

Michael To Vinh


Deutsches Jungforschernetzwerk

Das Deutsche Jungforschernetzwerk – juFORUM e. V. ist ein Verein, der den produktiven Austausch zwischen wissenschaftlich interessierten jungen Menschen fördert.

Literatur

Kloß, F., Gerbach S. (2018): Hürden und Aussichten neuer antimikrobieller Konzepte in der Forschung und Entwicklung. Bundesgesundheitsblatt 2018, 61:595-605

Loessner, M. J. (2000): Therapeutische Bakteriophagen: Eine Alternative zu Antibiotika? Biospektrum 2000, 6/2000

Trun N., Trempy J. (2003): Bacteriophage. In: Fundamental Bacterial Genetics. ISBN: 0-632-04448-9

Leiner P. (2017): Weist die Phagentherapie den Weg?

Beitrag teilen:

Facebook
Twitter
LinkedIn
Pinterest
XING
WhatsApp
Email

Ähnliche Beiträge

Weite Moorlandschaft
22. April, 2025
Frans Martens, ein Bursche aus dem Nachbardorf des Moorprofessors Hans Joosten in den Niederlanden, radelte eines schönen Tages ein bisschen durch die Gegend, da fiel er plötzlich ohnmächtig mit seinem Fahrrad um. Der Pups eines nebenliegenden Moores hatte ihn umgehauen.
Illustration von Neutronensternen
18. März, 2025
Mit Gravitationswellen lassen sich die verborgenen Seiten des Alls belauschen. Die meisten bislang entdeckten Quellen sind kollidierende Schwarze Löcher.
Erschöpfte Frau greift sich an die Stirn
3. März, 2025
Lampenfieber vor einer Präsentation, Prüfungsangst oder einfach ein stressiger Schultag – Stress gehört für viele Schüler:innen leider zum Schulalltag, ebenso wie für Lehrkräfte. Doch zu viel davon kann die Konzentration und das Wohlbefinden beeinträchtigen. Genau hier kommt der Vagusnerv ins Spiel: Wie kein anderer Nerv hat der längste Nerv unseres Körpers, der Vagusnerv, und das damit verbundene parasympathische Nervensystem, in den letzten Jahren höchstes Interesse bei gesundheitsorientierten Menschen gewonnen. Kein Wunder, ist er doch DAS zentrale Kommunikationsorgan zwischen dem Gehirn und den Körperorganen. Das Beste: Er lässt sich aktivieren.
Zeppelin in der Abendsonne
25. Februar, 2025
Von Radaröfen haben Sie nie gehört? Auch Hydrobergbau ist Ihnen kein Begriff, ebenso wenig wie die Kohlenstaub-Lokomotive? Selbst beim Itera-Plastikfahrrad oder beim Elektropflug glimmt kein Erinnerungsfunke auf? Kein Grund zur Sorge: Fast niemand erinnert sich mehr an diese Dinge, denn es sind „gescheiterte Innovationen“, deren Existenz über kurz oder lang von der Welt vergessen wurde. In Erinnerung sind bestenfalls die angesichts verlorener Subventionsmillionen spektakuläreren Fälle, etwa die zumindest vorerst gefloppte Magnetschwebebahn Transrapid oder der 2002 wohl endgültig gescheiterte Frachtzeppelin Cargolifter, in dessen Halle sich heute immerhin vom Urlaub in den Tropen träumen lässt.
Forscherin mit Handschuhen bearbeitet eine grüne Salatpflanze im Labor mit einer Pinzette
20. Februar, 2025
Die Klimakrise verschärft sich rasant und stellt schon jetzt weltweit Menschen vor existenzielle Probleme, auch im Hinblick auf Landwirtschaft und Ernährung. Die Landwirtschaft leidet unter den Folgen der Klimakrise und muss sich an die neuen Extremwettersituationen anpassen. Zudem erhöhen das massive Artensterben und andere ökologische Folgen menschlichen Handelns zunehmend den Druck, bisherige ökonomische und soziale Praktiken zu hinterfragen und zu verändern. Ein aktuell kontrovers diskutierter Ansatz ist die Neue Gentechnik (NGT).
viele Euro-Münzen auf einem Haufen
20. Februar, 2025
Der reichste Mann der Welt ist der Entenhausener Erpel Dagobert Duck. Auch der zweit-reichste Mann ist ein Erpel. Er heißt Mac Moneysac und lebt in Simililand in Südafrika. Erst auf Platz drei kommt mit dem Amerikaner Elon Musk ein Mensch. Doch wie reich Dagobert Duck ist, darüber gibt es unterschiedliche, zum Teil stark widersprüchliche Angaben, und da er, genau wie Donald Trump, seine Steuererklärungen nicht veröffentlicht, wird man die genaue Größe seines Vermögens wohl auch nie erfahren. Der am häufigsten genannte und wahrscheinlichste Wert ist 30 Fantastillionen Taler. Aber wie groß ist die Zahl Fantastillion?
Schüler und Schülerin sitzen an einem Tisch im Klassenzimmer, während ihnen die Lehrerin etwas erklärt
11. Februar, 2025
Die Auseinandersetzung mit politischer Neutralität in Schulen und die Verantwortung von Lehrkräften in gesellschaftlichen Krisensituationen sind von zentraler Bedeutung für die Weiterentwicklung und den Schutz einer demokratischen und menschenfreundlichen Gesellschaft. Der Beutelsbacher Konsens bietet seit Jahrzehnten Orientierung für die politische Bildung in der Schule, auch über den Politikunterricht hinaus. Er betont die Notwendigkeit, kontroverse Themen im Unterricht kontrovers zu behandeln, ohne die Schüler:innen dabei zu indoktrinieren.
Mädchen löst eine Matheaufgabe
22. Januar, 2025
Trotz vielfältiger Maßnahmen in den Bereichen Gendersensibilisierung, Geschlechtergerechtigkeit und Chancengleichheit sind Frauen in Deutschland in MINT-Berufen im Schnitt immer noch unterrepräsentiert. Zwar gibt es mittlerweile Fachgebiete mit paritätischer Verteilung (etwa Biologie, Medizin), aber auch viele Fachgebiete mit weiterhin extrem niedrigen Frauenanteilen (beispielsweise Physik, Ingenieurswissenschaften). Das zeigt, wie wichtig es ist, eine gendersensible MINT-Bildung zu fördern, die Mädchen und junge Frauen gezielt ermutigt, sich in bisher männerdominierten Bereichen auszuprobieren und langfristig Fuß zu fassen.
Bild eines Schülers mit VR-Brille
16. Januar, 2025
Kann die Zukunft uns verzaubern? Oft blicken wir mit gemischten Gefühlen auf das, was vor uns liegt. Doch Trend- und Zukunftsforscher wie Matthias Horx ermutigen uns, die Möglichkeiten von morgen nicht nur als mitunter Angst einflößende Herausforderung, sondern auch als vielversprechende Chance zu sehen. Sein Buch Der Zauber der Zukunft lädt dazu ein, sich mit einem positiven Blick auf Veränderungen einzulassen – ein Gedanke, der gerade für Lehrkräfte spannend ist. Doch wie können wir diese Perspektive auch in die Klassenzimmer bringen?
Mit dem DESI-Instrument in Arizona wird gegenwärtig eine dreidimensionale Karte der Position und Bewegung vieler Millionen Galaxien erstellt
27. November, 2024
Der Erkenntnisfortschritt der modernen Kosmologie verlief in den letzten zwei, drei Jahrzehnten rasant. Und doch sind die Konsequenzen äußerst kurios. Noch tappt die Wissenschaft vom Universum buchstäblich im Dunkeln, denn der Hauptbestandteil des Alls ist rätselhaft.
Strahlend heller Sonnenschein am klaren blauen Himmel mit ein paar zarten, dünnen Wolken im Hintergrund.
25. November, 2024
Wie fängt man Sonnenlicht am besten ein? Das ist nicht nur bei der Aufstellung von Photovoltaikanlagen wichtig, sondern auch für die Sonnenenergiewandler der Pflanzen, also bei ihren Blättern und deren Verzweigung und Ausrichtung. Es ist nicht vorteilhaft, wenn sie sich gegenseitig im Wege stehen und beschatten. Die Blattstellung folgt einem geometrischen Muster, das, mathematisch betrachtet, mit Spiralen, Selbstähnlichkeit, Fibonacci-Zahlen und dem Goldenen Winkel zu tun hat.
Mehrere Hände, die in einem Klassenzimmer vor einer Tafel mit mathematischen Formeln in die Luft gehoben sind
15. November, 2024
Bildungsdiskussionen in Deutschland sind immer auf Messers Schneide: Auf der einen Seite müssen wir darüber sprechen, was wir eigentlich erreichen wollen. Auf der anderen Seite soll es nicht in langwierige Diskussionen über abstrakte Begriffe abdriften. Was vonnöten ist, ist ein Kern, der die Diskussion bestimmt. Dieser liegt darin, warum wir noch Schulen haben. Sie sind Orte des Lernens – oder sollten es sein. Wir brauchen einen Gegenentwurf zu dem traditionellen Schulverständnis.