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Ausbildung 4.0: Ohne Digitalisierung geht es nicht

Die Digitalisierung verändert unsere gesamte Arbeitswelt. Auf den schnellen Wandel muss sich auch die betriebliche Ausbildung einstellen. Ein Blick auf die deutschen Autobauer zeigt, wie die Zukunft aussehen könnte.

Wohl kaum ein Industriezweig verändert sich derzeit so stark wie die Automobilbranche. Vor dem Hintergrund aktueller Umweltskandale wächst der Bedarf nach zukunftsfähiger Elektromobilität. Doch nicht nur das Produkt hat sich verändert, sondern auch die Produktion. Im Mittelpunkt der vierten industriellen Revolution stehen hochvernetzte Fabriken im ständigen Austausch mit Maschinen und Waren. Die Produktion wird flexibler, schneller und effizienter. An die Stelle der Massenfertigung treten individualisierte Güter und kleine Stückzahlen. Dies bringt eine erhebliche Zunahme der Dynamik in der Arbeitswelt mit sich. Die Fachkräfte von morgen darauf vorzubereiten, ist eine große Herausforderung für die Unternehmen.

Auf der Suche nach neuen Wegen

Diese Erkenntnis habe sich inzwischen bei den allermeisten Ausbildungsbetrieben durchgesetzt, berichtet Torben Padur, Leiter des Arbeitsbereichs „Gewerblich-­technische Berufe“ beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). „Gerade die Industrie sucht deshalb nach neuen Wegen um bestehende Ausbildungsberufe beispielsweise durch Zusatzqualifikationen zu Themen wie Additive Fertigung oder Datensicherheit zukunftsfähig zu machen“, erklärt er. Der Trend ist deutlich: Die heutigen Auszubildenden brauchen eher zusätzliches Wissen, als dass Inhalte durch Digitalisierung überflüssig werden. So zeigte eine Studie des BIBB in Kooperation mit dem Autobauer Volkswagen, dass klassische Industrieberufe wie Elektroniker für Automatisierungstechnik oder Mechatroniker die hohen Anforderungen der Industrie 4.0 nur noch bedingt erfüllen. Die Konsequenz: Die Ausbildungsinhalte müssen sich weiterentwickeln. Im VW-Werk Hannover wurden zum Beispiel neue IT-Ausbildungsmodule für alle Industrieberufe geschaffen – zu smarter Sensorik, virtueller Inbetriebnahme oder zentralen Anlagenüberwachung. Audi ging einen anderen Weg. Der Autobauer holte seine Fachinformatiker für System­inte­gration aus den Büros in die Produktion. Die Ausbildung wurde um eine Qualifikation zur Elektrofachkraft ergänzt.

Neue Aufgaben erfordern neue Kompetenzen

Ursache dafür ist ein grundlegender Wandel der Aufgaben. Maschinen übernehmen monotone und zunehmend mehr auch komplexere Tätigkeiten in der Produktion. Bis 2018 wird die Zahl der Industrieroboter weltweit auf 1,3 Millionen anwachsen. Der Mensch wird zu ihrem Dirigenten. Er koordiniert den Einsatz von Robotern und smarten Fabrikstraßen, wertet Echtzeitdaten aus der Produktion aus und kümmert sich um IT-Probleme. Kompetenzen wie Prozessmanagement und IT-­Kennt­nisse gewinnen an Bedeutung. Die Grenzen zwischen den Arbeitsbereichen verschwimmen weiter und die Ausbildungsgänge werden immer interdisziplinärer. Und dies gilt längst nicht nur für klassische Industrie-Berufe. Viele Tischler-­Auszubildende arbeitet heute ganz selbstverständlich mit per Computer steuerbaren Holzsägen und 3D-Druckern. Ähnlich sieht es auch bei Maler und Lackie­rern aus. Sie nutzen digitale Anwendungen, um Farben zu mischen und Großprojekte zu planen und zu kalkulieren.

Mix aus digitalem und praktischem Lernen

Mit den Aufgaben verändern sich auch die Ausbildungsinhalte und die Formen des Lernens. Bei Volkswagen setzt man z. B. auf eine gesunde Mischung aus bewährten Inhalten und Zusatzqualifikationen. Auch heute beginnt die Industrie-Ausbildung noch mit Werkstoffkunde und Handarbeit. Die Auszubildenden sollen so erfahren, wie ein Auto entsteht. „Um zu wissen, wie Metalle reagieren oder eine CNC-­Maschine bestimmte Formen herstellen oder eben nicht fertigen kann, brauche ich ein Grundverständnis von Mechanik und Werkstoffen“, erklärt Chris­toph Görtz, Leiter der Berufsausbildung im Wolfsburger VW-Werk. Neu sind die Wege der Vermittlung. So wird das Schweißen der Autoteile zuerst virtuell mit digitalem Schweißgerät und Datenhelm geprobt. Sitzt das Grundprinzip, nehmen die Lehrlinge ein echtes Schweißgerät in die Hand. Mit diesem Mix aus digitalem und praktischem Lernen habe man gute Erfahrungen gemacht, berichtet Dr. Christoph Lerche, Leiter der Volkswagen Akademie in Braunschweig. Die Auszubildenden hätten dann zum Beispiel viel mehr Zutrauen, wenn sie das erste Mal mit Metall-­Aktivgas schweißen.

Eigenverantwortlichkeit als Schlüssel

Ein wichtiger Aspekt ist das eigenverantwortliche Lernen. Dafür wurden in den letzten Jahren bei VW immer mehr crossmediale Lehrinhalte geschaffen, die die Auszubildenden alleine oder in Gruppen bearbeiten können – unabhängig von Zeit und Ort. Abgestimmt sind alle Inhalte mit den Lehrplänen der Berufsschulen. Die Berufsschullehrkräfte können zudem in allen VW-Werken hospitieren. Eine Einheit über Batterie-Technik für Hybrid- und Elektrofahrzeuge besteht z. B. aus eBooks mit kurzen Tests zum Überprüfen des eigenen Wissens und der Möglichkeit, Batteriezellen virtuell zusammenzusetzen. Parallel dazu werden in der Lern­werk­statt Schaltkreise geprüft und Bauteile ins Auto eingebaut. Die Auszubildenden produzieren zudem selbst kurze Erklärvideos zu Ausbildungsinhalten. Der Vorteil: Die Beschäftigung mit der Materie ist so viel intensiver. „Wir wollen den Auszubildenden die Möglichkeit geben, ihre Kompetenzen selbstständig und flexibel zu erweitern. Lebenslange Lernen wird in Zeiten der Industrie 4.0 schließlich immer wichtiger“, sagt Görtz.

Flexible Inhalte in der Ausbildung

Die Flexibilität der Inhalte ist auch in der Ausbildung gefragt. Schließlich lässt es sich nur schwer voraussagen, wie sich die Berufe durch die vernetzte Produktion verändern werden. Auch zwischen den Betrieben gibt es große Unterschiede. Haben sich die großen Unternehmen der Automobilindustrie oder des Maschinen­baus schon auf den Weg gemacht, beginnen kleinere und mittelständische Betriebe dagegen erst, sich mit den Anforderungen der Digitalisierung zu beschäftigen. Ihnen fehlt es oft an qualifizierten Ausbildern und einer nötigen Ausstattung für die digitale Bildung. Und auch die Lehrpläne an den Berufsschulen entwickeln sich nur langsam weiter, sie hinken den Anforderungen hinterher. „Diese unterschiedlichen Voraussetzungen machen das eigene Engagement der Betriebe umso wichtiger. Wir haben Unternehmen, die ihre Ausbildungen weiterentwickeln müssen und Betriebe, die genau die heutigen Inhalte des Mechatronikers noch brauchen“, erläutert Torben Padur. Deshalb seien Zusatzqualifikationen derzeit der gangbarste Weg. Gleichzeitig glaubt der BIBB-Experte auch an eine grundsätzliche Weiterentwicklung. „Es werden in den nächsten Jahren immer mehr Berufe grundlegend überarbeitet. Die aktuellen Bestrebungen der metallverarbeitenden Industrie und der Chemie-­Branche sind dafür beste Beispiele.“ Auch das Entstehen von völlig neuen Berufen ist nicht ausgeschlossen.

Birk Grüling

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