Angesichts des sichtbaren Übergewichts bei Kindern und Jugendlichen ist klar, dass in unseren Breitengraden niemand verhungern muss. Nach der Arbeitsgemeinschaft „Adipositas in Kinder- und Jugendalter“ sind schon 17 Prozent der 14–17-Jährigen übergewichtig. Warum sich also über deren Nährstoffversorgung Sorgen machen? Satt sein darf nicht mit ausreichender Nährstoffversorgung gleichgestellt werden. Mangelernährt wird definiert als Defizit an einem oder mehreren Nährstoffen, ohne dass die generelle Energiezufuhr zu gering sein muss. Übergewichtige können so auch mangelernährt sein. Fachleute sprechen dann von dem „Hidden Hunger“, dem verborgenen Hunger.
Mangelsignale sind spät oder kaum wahrnehmbar
Dabei geht es vorrangig um den Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen. Nur wenige dieser Nährstoffe verursachen bei einer Unterversorgung klar abgrenzbare Symptome. Vitamin-C-Mangel zeigt sich als Skorbut, Vitamin-D-Mangel als Rachitis. Bei anderen Vitaminen und Mineralstoffen sind die wahrnehmbaren Veränderungen nicht nur geringer, sondern oft auch mit anderen Vitaminen und Mineralstoffen vergesellschaftet. So unterstützen z. B. Vitamin B1, B2, B6, Niacin, Biotin, Folsäure, Vitamin C und Magnesium psychische Funktionen. Sie tragen als Einzelstoff oder im Verbund zu einer Verminderung von Müdigkeit und Ermüdbarkeit bei.
Mangelernährung als gesellschaftspolitische Herausforderung
Was aber bedeutet das für die Entwicklung der Kinder? Ein Blick in die Entwicklungsländer zeigt, dass aufgrund einer Eisenmangelversorgung möglicherweise 40 bis 60 Prozent der Kinder dort ihre geistige Leistungsfähigkeit nicht voll entwickeln können. Und wichtig für die Gehirnfunktion ist ebenso auch Jod. Nach dem Jodmonitoring der KIGGS (Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland) liegen 80 Prozent der Kinder im Bereich zwischen mildem Jodmangel und normaler Versorgung. Die durchschnittliche Zufuhr an Jod beträgt bei Kindern und Jugendlichen nur die Hälfte der Referenzwerte.
Migrationshintergrund bedeutet auch eine unterschiedliche Ernährung. So haben nach Studien türkische, russlanddeutsche und sonstige Migrantenkinder im Vergleich zu inländischen Kindern ein signifikant erhöhtes Risiko einer vergrößerten Schilddrüse.
Ernährungswissen der Gesellschaft
Während den meisten Erwachsenen bei der Frage nach jodhaltigen Lebensmitteln immerhin noch Fisch und Jodsalz einfällt, wird es bei der Frage nach Eisen schwierig. Auf Fleisch und Rote Bete wäre vielleicht der ein oder andere noch gekommen. Aber Erdbeeren? Mit 0,6 mg/100 g Erdbeeren, etwa einer Handvoll, können diese leckeren Beeren im Frühjahr zur Deckung des Eisenbedarfs von 12–15 mg pro Tag beitragen.
Die Ergebnisse der Nationalen Verzehrsstudie II aus den Jahren 2005 bis 2007 zeigten, dass die Lebensmittelversorgung in Deutschland ausreichend, aber die Nährstoffversorgung aus verschiedensten Gründen, wie z. B. Wissensdefiziten, finanziellen Möglichkeiten oder kulturellen Hintergründen häufig unzureichend ist.
„Hidden Hunger“ ist nicht nur ein Thema der Entwicklungsländer
Das fehlende Ernährungswissen und der einseitige Fokus der Ernährungserziehung auf das Thema Übergewicht können auch bei uns zu dem Phänomen des „Hidden Hunger“ führen. Es geht dabei vor allem um bewusstes Essen – und nicht um vegan, laktosefrei oder Steinzeitdiät.
Dazu braucht es keine besonderen Programme. Wer die Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung als Checkliste für die Überprüfung seiner Lebensmittelauswahl nutzt, kann sich voll und ganz darauf konzentrieren, eine vielseitige Lebensmittelauswahl, deren Einsatzmöglichkeiten und den Spaß am gemeinsamen Kochen und Essen (wieder) zu entdecken.
Angelika Severin
Tipps
Nutzen Sie die Lebensmittelpyramide der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Sie zeigt einfache Regeln, um der Gefahr des unsichtbaren Hungers zu begegnen: www.bit.ly/2l4X0FO
Hilfestellung für den Unterricht zum Thema finden Sie hier: www.bit.ly/2mmrC5Z