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Man bekommt eine andere Sicht auf die Dinge der Welt!

Der Physiker und Ex-Astronaut Ulrich Walter im Gespräch

In Ihrem neuen Buch „Im Schwarzen Loch ist der Teufel los“ gehen Sie mit dem Mars-One-Programm hart ins Gericht, deren Verantwortliche ab 2027 die Besiedlung des Mars mit Freiwilligen realisieren wollen, für die es allerdings kein Rückflug-Ticket zur Erde gäbe. Sie beziffern die Wahrscheinlichkeit einer Bruchlandung dieser Mission auf 50 Prozent.

Ulrich Walter: Ich würde die Wahrscheinlichkeit einer Bruchlandung sogar bei 70 bis 80 Prozent veranschlagen. Die Über­lebenswahrscheinlichkeit für die Crew dürfte in den ersten zwei Monaten sogar noch geringer sein. Sie liegt bestenfalls bei 20 bis 30 Prozent.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Expedition überhaupt stattfindet?

Im Augenblick tendiert sie gegen Null. Nach dem Ausstieg der niederländischen TV-Produktionsfirma Endemol haben die Verantwortlichen noch keine anderen Finanziers gefunden. Die Mars-One-Mission hat zurzeit extreme finanzielle Probleme. Die Macher von Mars One betreiben auch keine weitere Technologieentwicklung mehr. Normalerweise müssten für solche Großprojekte im Vorfeld Milliarden Dollar investiert werden. Eine kleine Firma kann solche Summen nicht stemmen. In die schwarzen Zahlen würde man erst viel später kommen, wenn während des Flugs oder auf dem Mars die Mission im Rahmen einer Big-Brother- oder Live-Reality-Show präsentiert würde.

Mit Blick auf die zu erwartende Reality-­Show befürchten Sie, dass der Voyeurismus während einer solchen Expedition noch schlimmere Züge annehmen könnte, als wir dies bereits gewohnt sind.

Ja, ich weiß nicht, wem ich jetzt bewusst auf die Füße treten soll. Was die Verantwortlichen von Mars One planen, würden andere vielleicht auch so machen, nämlich daraus Kapital zu schlagen – selbst wenn dies unethisch wäre. Aus meiner Sicht ebenso unethisch sind aber auch die Menschen, die diese Kost konsumieren. Fragwürdig wäre es vor allem dann, wenn die Zuschauer vorab wissen, dass Astro­nauten im Überlebenskampf liegen. Wenn das Scheitern der Mission Kalkül ist, halte ich es für unmoralisch, mit der Kamera die Katastrophe einzufangen.

 

Für einen im All frei schwebenden Astronauten drüfte der Overview-Effekt sogar um einige Nuancen stärker sein.

 

Aber für die Mars-One-Astronauten ist die Reise ohnehin eine ohne Rückkehr …

Ich habe mit einigen Kandidaten darüber gesprochen und musste dabei feststellen, dass sie von Mars One über die wahren Gefahren nicht aufgeklärt wurden. Als ich die Kandidaten darüber informierte, beschlich mich das Gefühl, dass es denen ohnehin egal ist, was mit ihnen passiert. Ihnen geht es offensichtlich nur darum, ins „Guiness-Buch der Rekorde“ zu kommen. Ich verstehe einfach nicht, warum auch Familienväter mit Kindern zu diesem Himmelfahrtskommando bereit sind, obwohl sie wissen, dass sie keine zwei Monate auf dem Mars überleben und vielleicht noch nicht einmal den Abstieg auf die Marsoberfläche erleben.

Die Dynamik der Chinesen und deren unbedingter propagandistisch geprägter Wille, in der Raumfahrt das Zepter der Macht zu übernehmen, ist bekannt. Trauen Sie ihnen zu, bis zum Jahr 2030 eine eigene bemannte Mars-Mission erfolgreich zu absolvieren?

Nach allem was ich erlebt, gesehen und gelesen habe, bin ich davon sehr beeindruckt, dass die Chinesen nicht viel um den heißen Brei reden, sondern konsequent handeln. Sie machen es einfach! Sie kündigen nichts großspurig an, um zu beeindrucken. Nein, sie schreiten einfach zur Tat. Das imponiert mir. Ich glaube schon, dass China in den 2020er-Jahren mit Taikonauten zum Mond fliegen und dort langfristig Fuß fassen wird. Aber sie werden es alleine machen – ohne die Amerikaner.

Seit 2001 behaupten die Mondverschwörungstheoretiker („Moon-Hoax“) verstärkt, dass die sechs bemannten Mondmissionen von der NASA vorgetäuscht wurden. Nachdem der Lunar Reconnaissance Orbiter (LRO) 2009 jedoch sehr beeindruckende Bilder zur Erde gefunkt hat, auf denen man die Landestellen diverser Apollo-­Missionen sieht, ist es um diese spürbar ruhiger geworden.

Es gibt allerdings immer noch eine Hardcore-Fraktion. Aber insgesamt gesehen ist es tatsächlich ruhiger geworden. Früher kamen die Menschen in Scharen zu mir und fragten mich nach Vorträgen, ob die Apollo-Missionen gefälscht waren. Es verging kaum ein Tag, an dem nicht das Telefon klingelte und eine Anfrage wegen der Moon-Hoax-Debatte kam. Aber das Ganze war damals ein klassischer Hype, so wie es immer wieder viele Moden gibt. Denken Sie an die Diskussion um die NSA und die Abhöraffäre betreffend Angela Merkel! Das war Ende 2013 ein großer Hype. Heute hingegen redet keiner mehr darüber. Aber wie jede konspirative Verschwörungstheorie hat dieser Hype Züge eines Mems und wird erst dann begraben, wenn wir wieder auf dem Mond landen und die damaligen Apollo-Landeplätze besuchen.

Wäre es jetzt nicht zeitgemäß, den Mächtigen der Welt die Chance zu offerieren, an Bord der Internationalen Raumstation ISS eine Konferenz abzuhalten und mit Blick auf den Planeten zu lernen, dass die Erde keine Grenzen kennt und der Homo sapiens evolutionsbiologisch gesehen dort nur einer ihrer Gäste ist.

(lacht) Das wäre tatsächlich eine gute Idee, es wäre an der Zeit. Aber es wäre doch recht teuer!

Wir müssten einmal den 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten nach oben befördern! Er würde dies sogar aus eigener Tasche finanzieren können.

(lacht) Natürlich wirkt der Overview-­Effekt nachhaltig und er ist ein wichtiger Teil unserer Raumfahrt, da er einen Perspektivenwechsel ermöglicht. Man bekommt eine andere Sicht auf die Dinge der Welt. Was ich aber nicht mag, ist, dass er immer wieder glorifiziert wird. Es ist ja nicht so, dass der Overview-Effekt der Weisheit letzter Schluss und das einzig Wahre der Raumfahrt sei.

Bis heute waren nur 541 Menschen im All. Sie dürfen sich daher zu einer ungewöhnlichen Minderheit zählen, die eine Erfahrung durchlebt hat, die einzigartig ist. Eingedenk Ihrer orbitalen Erfahrung wäre meine Frage: Was ist Ihre Botschaft, was geben Sie uns mit auf dem Weg?

Wir leben in einem Zeitraum der Menschheitsgeschichte, die vor etwa 200.000 Jahre begann. Der Weg bis heute, der Kampf unserer Vorfahren war unglaublich hart. Wir haben erst seit wenigen Jahrhunderten das Privileg, wissenschaftlich denken und handeln zu können. Erst vor wenigen Jahrzehnten haben wir einen Intelligenz- und Organisationsgrad erreicht, der es uns ermöglicht, Dinge zu erkennen und zu tun, die nachhaltig sind. Und ich halte es für ein extrem hohes Privileg, dass ich mich zu den wenigen Menschen in der gesamten Menschheitsgeschichte zählen darf, die als Raumfahrer diese einmalige Erfahrung machen durften. Mein Weg ins All war viel unwahrscheinlicher als ein Lottotreffer. Er ist durch nichts bezahlbar. Es war pures Glück.

Das Interview führte Dr. Harald Zaun.

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