Im Januar und Februar 2016 strandeten 30 Pottwale an der Nordseeküste von Großbritannien, Niederlande, Frankreich, Deutschland und Dänemark, 13 davon allein in Schleswig-Holstein. Die Kadaver wurden geborgen und von Tiermedizinern und Biologen untersucht. Es waren junge Bullen, die sich in der Nordsee auf ihrem Weg von der Arktis zum Äquator verirrt hatten und starben.
Eine Beschreibung von Pottwalen liest sich wie eine Rekordliste: Pottwale sind die größten bezahnten Tiere auf der Erde. Angesichts einer Länge von 20 Meter und 40–60 Tonnen Gewicht, verbietet es sich bei den Bullen von „Männchen“ zu sprechen. Pottwalkühe erreichen immerhin 12 Meter und 15 Tonnen. Das Pottwal-Gehirn ist mit acht Kilogramm das schwerste der Welt, das Auge ist dagegen nicht größer als das einer Kuh.
Der namensgebende topfartige Kopf der Tiere („Pott“) verdankt seine eckige Form einer den Schädelknochen aufliegenden Melone mit drei bis vier Tonnen Walrat (Spermazeti). Dieses flüssige Gemisch aus Triglyceriden und Wachsen erhärtet bei Abkühlung und ähnelt Samenflüssigkeit, daher der englische Name „sperm whale“ für Pottwal. Es bildet eine akustische Linse zur Schallbündelung bei der Echoortung. Der Unterkiefer trägt 30–60 Zähne von je etwa einem Kilogramm Gewicht, im Oberkiefer brechen die Zähne nicht durch und bleiben funktionslos.
Pottwale können ein bis zwei Stunden unter Wasser bleiben, dabei speichern sie Sauerstoff im Muskelgewebe. In bis zu 3000 Meter Tiefe jagen sie nach Fischen, Tintenfischen und Riesenkalmaren, ihr Tagesbedarf liegt vermutlich bei mehr als einer Tonne Nahrung. Zur Orientierung setzen sie ein Sonarsystem ein, dabei erzeugen sie pro Sekunde etwa sechs Ultraschallklicks und werten deren Echo aus.
Pottwalkühe werden mit acht bis elf Jahren geschlechtsreif, sie tragen gut 15 Monate. Eine Kuh bekommt nur etwa alle fünf Jahre ein Kalb. Es wird im Herbst geboren und etwa zwei Jahre gesäugt. Pottwalkühe und Kälber bleiben in warmen Meeren mit Oberflächentemperaturen über 15° C in Schulen zusammen. Die Bullen werden mit etwa zehn Jahren geschlechtsreif, aber erst im Alter von 25–30 Jahren berechtigt ihr sozialer Status sie zur Paarung. Im Sommer gehen Gruppen von etwa 20 Jungbullen auf Wanderschaft bis in die Polargebiete, im Vorfrühling kehren sie zurück. Jahresringe der Zähne zeigen, dass ein Pottwal 60 Jahre alt werden kann. Im Alter verfärbt er sich allmählich von grau nach weiß und ähnelt so „Moby Dick“ aus Herman Melvilles Roman (1851).
Bedrohung und Schutzstatus
Die Jagd auf Pottwale begann Anfang des 18. Jahrhunderts und reichte bis ins 20. Jahrhundert. Gleich mehrere wertvolle Naturstoffe weckten die Begehrlichkeiten der Walfänger und ihrer Auftraggeber:
- Walrat aus dem „Pott“ diente als Material für rauchfreie Kerzen und als feines Maschinenöl;
- Tran aus der bis zu 35 Zentimeter dicken Speckschicht (Blubber) nutzte man als Lampenöl;
- Ambra wurde in der Kosmetikindustrie zu Parfüm verarbeitet. Die gummiartigen, süßlich duftenden Klumpen entstehen aus unverdaulichen Hornresten im Darm;
- Elfenbein (Zähne) war begehrt im Kunsthandwerk.
Zum Glück für die Pottwale kam im späten 19. Jahrhundert das Petroleum als Beleuchtungsmittel auf, „Tranfunzeln“ hatten ausgedient. Das läutete das Ende des historischen Walfangs ein. Seit dem Moratorium für den kommerziellen Walfang (1986) ist der Fang von Pottwalen und allen weiteren Großwalarten untersagt. Über das Washingtoner Artenschutzübereinkommen CITES ist die Art mit einem Handelsverbot belegt, d. h. Körperteile oder Walprodukte dürfen weder gekauft noch verkauft werden. Der Pottwal-Bestand wird derzeit auf 500.000 bis 1,5 Mio. Tiere geschätzt. Pottwale werden von der Weltnaturschutzunion IUCN als gefährdet eingestuft, denn auch ohne Walfang sind sie bedroht: Plastikmüll wird irrtümlich als Nahrung verschlungen und führt zu Erkrankungen, Lärm durch Meeresindustrie, Militär und Schifffahrt stört die Navigation, Kollisionen mit Schiffen hinterlassen Verletzungen, Tiefseekabel können die Wale wie Fangstricke am Meeresboden festhalten und ertrinken lassen.
Sterbende Wale stranden – strandende Wale sterben
Walstrandungen wurden schon vor etwa 2400 Jahren (Aristoteles) urkundlich erwähnt. Seit dem 16. Jahrhundert sind mehr als 200 Funde an der Nordseeküste dokumentiert, davon 21 im Jahre 1723 in der Elbmündung. Mit dem weltweiten Bestand an Pottwalen ging auch die Anzahl der Funde zurück. Bei Walstrandungen handelt sich zum Teil um sterbende Tiere, die entkräftet in Stillwasserbereiche abgetrieben werden oder diese gezielt aufsuchen und dort verenden. Oft stranden aber auch äußerlich gesunde Wale. Sie haben sich offenbar „verschwommen“. Für diese Desorientierung können innere Ursachen wie Gehörschäden verantwortlich sein oder äußere Ursachen wie störender Lärm oder heftige Unwetter. Auch eine Fehlleitung durch veränderte magnetische Feldlinien nach starken Sonneneruptionen wird diskutiert. Manchmal folgen die Wale ihren Beutetieren oder erkrankten Artgenossen in flaches Wasser. Hier empfangen sie nur noch ein irritierendes Echo auf ihre Ultraschallklicks und ihr Navigationssystem versagt. Einmal gestrandet, drückt das eigene Körpergewicht Lungen, Herz und Blutgefäße zusammen und führt zum Tod durch Herz-Kreislaufversagen.
Die Untersuchungsergebnisse der in Schleswig-Holstein angelandeten Pottwale wurden Ende März vorgestellt und im August 2016 wissenschaftlich publiziert. Die Lärmbelastung der Nordsee hat zwar zugenommen, unterschied sich in diesem Winter aber nicht wesentlich von vergangenen Jahren. Bei den 13 toten Pottwalen handelte es sich um junge Bullen, sie waren 10 bis 15 Jahre alt und 12 bis 18 Tonnen schwer. Es gab keine Anzeichen von Krankheiten, Verletzungen oder Schäden am Gehörsystem, der Parasitenbefall war altersgemäß. In ihren Mägen fanden sich zahllose Hornkiefer von Kalmaren, offenbar Überbleibsel ihrer letzten größeren Mahlzeit in den Nordmeeren. Die gestrandeten Pottwale hatten wohl durchaus Hunger, sind aber nicht verhungert. Erschreckend waren die Anteile von Plastikmüll im Verdauungskanal, darunter große Stücke wie ein 13 Meter langes Netz. Sie hätten die Tiere mit Sicherheit in ihrem weiteren Leben beeinträchtigt, haben aber nicht zum Tode geführt. Die Todesursache war Herz-Kreislaufversagen in der Flachwasserfalle – die Ursachen für ihren Irrweg in die Nordsee bleiben ein Geheimnis.
Dr. Inge Kronberg
Weitere Informationen
Offizielles Untersuchungsergebnis
World Register of Marine Species
Pottwalstrandung im Wattenmeer
Marc-Oliver Rehrmann: Als die Norddeutschen auf Walfang gingen.
Sonderausstellung „Wale im Wattenmeer“