Insbesondere zwei neue technische Entwicklungen haben im vergangenen Jahr für Aufsehen gesorgt: ein Bluttest für Schwangere und eine revolutionäre Methode zur genetischen Veränderung von Lebewesen. Beide Verfahren könnten Eltern den Wunsch nach einem gesunden Kind erfüllen, erlauben es aber auch Kinder nach Maß zu bekommen.
Bei dem neuartigen Bluttest handelt es sich um einen sogenannten nicht invasiven Pränataltest (NIPT). Grundlage dieses Testverfahrens war die Entdeckung, dass sich im Blut von Schwangeren Bruchstücke kindlicher DNA finden lassen. Mithilfe moderner Sequenzierungsmethoden ist damit ein gezieltes Screening des Ungeborenen auf Chromosomenstörungen wie Trisomie 21 (Down-Syndrom) möglich. Entsprechende Tests sind seit 2011 in den USA und China auf dem Markt und wurden bereits ein Jahr später auch in Deutschland eingeführt. Nach verbreiteter Meinung wird die NIPT einen Paradigmenwechsel in der Pränataldiagnostik darstellen. Erste Erhebungen aus der Schweiz zeigen bereits, dass sie konventionelle Methoden wie die Fruchtwasseruntersuchung ablösen könnte. Diese birgt die Gefahr einer eingriffsbedingten Fehlgeburt. In Zukunft könnte so erst nach auffälligem Befund durch den Bluttest eine weitere Abklärung mittels eines invasiven Verfahrens erfolgen. Dafür spricht auch, dass der Bluttest noch vor der Fruchtwasseruntersuchung bereits in der neunten Schwangerschaftswoche eingesetzt werden kann und bei Chromosomenstörungen eine hohe Entdeckungsrate aufweist. Experten gehen zudem davon aus, dass der Bluttest bald in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen wird. Während schon heute in Einzelfällen die Kosten von etwa 500 Euro übernommen werden, würde die NIPT somit zum Routineangebot für Schwangere werden.
Selektion statt Diagnose
Gerade weil die NIPT risikoärmer ist und daher einen niedrigschwelligen Zugang zur vorgeburtlichen Diagnostik erlaubt, ist sie aber Gegenstand andauernder Kritik. Der Bluttest verfolgt schließlich keine klaren diagnostischen oder therapeutischen Ziele. Zwar erlaubt der Verdacht auf Chromosomenstörungen des Ungeborenen eine bessere Geburtsvorbereitung und kann mithin frühzeitig den Kontakt zu Fachärzten ermöglichen. In der Realität wird ein auffälliger Befund allerdings häufig einen Schwangerschaftsabbruch zur Folge haben: Bereits heute werden neun von zehn Schwangerschaften nach einer Diagnose auf Trisomie 21 abgebrochen und deshalb fürchten Kritiker, dass bald gar keine Kinder mehr mit dieser Genmutation geboren werden. Ähnliche Entwicklungen zeigten sich bereits in Dänemark, wo seit Einführung eines landesweiten Screenings für Schwangere im Jahre 2004 die jährliche Geburtenzahl an Kindern mit Trisomie 21 mittlerweile im niedrigen zweistelligen Bereich liegt. Behindertenverbände, aber auch kirchliche Einrichtungen stehen dem Bluttest daher ablehnend gegenüber. Auch ein Gutachten für den Behindertenbeauftragten der Bundesregierung kam zu dem Schluss, dass das neue Verfahren unzulässig ist, insbesondere da es sich hierbei um ein Instrument der gezielten Selektion von Menschen handeln würde. Ein Problem dieser Einschätzung ist allerdings, dass solche Kritik ebenso etablierte Methoden der pränatalen Diagnostik wie die Fruchtwasseruntersuchung betreffen würde. Schwerwiegender erscheinen Bedenken, dass durch die NIPT eine neue Quantität der vorgeburtlichen Diagnostik erreicht wird. Während der Bluttest gegenwärtig zur Diagnose von Trisomien und Anomalien der Geschlechtschromosome wie dem häufig unauffälligen Triple-X-Syndrom eingesetzt. wird, ist ein weiterführendes Screening auf nahezu jeden bekannten genetischen Faktor denkbar. Der weltweite Absatzmarkt für vorgeburtliche Gentests ist milliardenschwer und Experten sagen ihm eine enorme Wachstumsrate voraus. Weiterentwickelte Bluttests stellen uns dann vor neue ethische Herausforderungen: Da Blutproben gut zu versenden sind, werden jenseits des deutschen Gendiagnostikgesetzes ausländische Anbieter versuchen, ihre Tests direkt an Kinderwunschpaare zu verkaufen. Solche direct-to-consumer Tests würden dann, so Kritiker, den endgültigen Schritt zum Designerbaby bedeuten. Verfechter der neuen Bluttests betonen hingegen, dass die NIPT keine Veränderung des kindlichen Erbguts erlaubt und allenfalls durch eine Schwangerschaft „auf Probe“ eine gezielte Merkmalsauswahl ermöglicht. Ein solches Szenario wäre allerdings unrealistisch, da sich Frauen nicht leichtsinnig für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden.
CRISPR – die gentechnische Revolution<
Anders als die NIPT hat eine ebenso junge technische Entwicklung tatsächlich das Potenzial, im wörtlichen Sinn in die DNA unserer Nachkommen einzugreifen. Das Verfahren trägt den Namen CRISPR, ist kaum vier Jahre alt und erlaubt die gezielte Manipulation der Erbanlagen. Dabei wirkt CRISPR wie eine Schere, mit deren Hilfe sich Gene schneiden und verändern lassen. Wenig Zweifel besteht daran, dass CRISPR die biotechnologische Forschung nachhaltig verändern wird. Während das Verfahren die Fantasien beflügelt und manche Forscher bereits die Wiedererweckung von Mammuts oder die Ausrottung von Malaria durch gentechnisch veränderte Anopheles- Mücken planen, schwingen ethische Bedenken ob der Geschwindigkeit der gegenwärtigen Entwicklungen mit. CRISPR wurde erfolgreich an verschiedenen Lebewesen angewandt und seit der Geburt der ersten genetisch manipulierten Affenbabys schien es nur eine Frage der Zeit, wann die ersten Versuche auf den Menschen zielen. Im April 2015 wurde dieses Tabu offiziell gebrochen, als ein chinesisches Forschungsteam ihre Ergebnisse zum Einsatz von CRISPR an einem menschlichen Embryo publizierte. Dadurch wurde erstmals öffentlich, dass das menschliche Erbgut eines Embryos durch CRISPR direkt im Reagenzglas manipuliert wurde, mit dem Ziel eine vererbbare Blutkrankheit „auszuschalten“. Bewusst entschied sich das Forscherteam zwar für die Anwendung an nicht lebensfähigen Embryonen, ihre Studie löste dennoch eine heftige Welle der Kritik aus. Noch kurz vor Veröffentlichung der Forschungsergebnisse warnten zudem renommierte Wissenschaftler, darunter auch zwei Nobelpreisträger, in den Fachzeitschriften Science und Nature vor dem leichtsinnigen Einsatz von CRISPR. Die genetische Manipulation eines Embryos betrifft nämlich nicht nur dessen Körperzellen, sondern könnte an alle Nachkommen vererbt werden. Mit einer solchen Veränderung der Keimbahn verbinden sich allerdings zahlreiche bioethische Bedenken und Sicherheitsrisiken.
Notwendigkeit eines ethischen Diskurses
Im Dezember 2015 organisierten schließlich US-amerikanische, britische und chinesische Wissenschaftsgesellschaften ein internationales Gipfeltreffen, um über die ethischen Fragen der Veränderung des menschlichen Erbguts zu verhandeln. Hier wurde bestätigt, dass Eingriffe in die Keimbahn gegenwärtig nicht zu verantworten seien. Was von Kommentatoren mitunter als Moratorium für die genetische Veränderung der menschlichen Erbanlagen gedeutet wurde, zeigt sich aber vielmehr als eine forschungsethische Mahnung. So wird an der prinzipiellen Zulässigkeit der Veränderung von menschlichen Körperzellen kein Zweifel gelassen. Auch dürfte die Modifikation von Embryonen sowie der Keimbahn vorbehaltlich gegenwärtiger Sicherheitsbedenken stattfinden, zumindest solange das ungeborene Leben nicht ausgetragen wird und die Forschung von einem gesellschaftlichen Diskurs begleitet wird. Wie der Harvardprofessor und Teilnehmer des Gipfeltreffens George Church betonte, sei ein prinzipielles Verbot der Genmanipulation des Menschen mitsamt der Keimbahn schlicht sinnlos. Die gegenwärtige Zulassungspraxis berücksichtigt bereits mögliche Sicherheitsbedenken und ein Verbot von CRISPR würde die Forschung nur in illegale Sphären treiben. Die nicht invasiven Pränataltests haben zwar technisch gesehen wenig mit der Veränderung des Erbgutes durch die CRISPRMethode zu tun. Beide Entwicklungen machen allerdings eine Tendenz deutlich: den wachsenden Zugriff auf menschliche Erbanlagen durch Biotechnologien. Schwere Erbkrankheiten können so verhindert werden, zugleich eröffnen sich aber auch Handlungsspielräume für Ziele, die eindeutig nicht mehr medizinisch sind. Deutlich wird dabei, dass die technischen Entwicklungen die deutsche Debatte weit abgehängt haben. Hierzulande wurde die politische Auseinandersetzung über die längste Zeit hinweg vom Streit über den moralischen Status des Embryos bestimmt. Mehr als zwei Jahrzehnte an Verhandlungen über die Schutzrechte des frühsten menschlichen Lebens zeigen allerdings, dass diese Frage in einer pluralistischen Gesellschaft keine allgemeinverbindliche Antwort erlaubt. Dies muss weder als moralischer Verfall bedauert werden, noch stellt es das Ende der Auseinandersetzung dar. Vielmehr gilt es nun, die entscheidenden ethischen Herausforderungen auszuloten. Hierzu gehört ebenso die Frage nach dem rechtmäßigen Umfang der reproduktiven Selbstbestimmung von Paaren wie der Schutz von und die Solidarität mit denjenigen, die durch die aufkommende Entwicklung eine Abwertung ihrer Person befürchten.
Robert Ranisch