Ein voller Stundenplan, wenig Pausen, Reizüberflutung – der schulische Alltag bringt Hektik mit sich und fordert von Lehrerinnen und Lehrern schnelles Reagieren und Multitasking.
Wie geht es mir? Was brauche ich? – wichtige Fragen, die im Trubel des Schullebens oft untergehen. Wie kann man Momente der Selbstfürsorge schaffen und den Alltag entschleunigen, ohne daraus ein Riesenprojekt zu machen, für das ohnehin keine Zeit bleibt? Tatsächlich braucht es nicht immer große Umstrukturierungen, denn kleine, achtsame Schritte, die wirklich umgesetzt werden, haben langfristig gesehen eine große Wirkung.
Den gegenwärtigen Moment wahrnehmen
Achtsamkeit bedeutet, den gegenwärtigen Moment wahrzunehmen, ohne ihn zu bewerten. Ich grübele nicht über die Vergangenheit nach und zermartere mir auch nicht den Kopf über zukünftige Ereignisse. Stattdessen richte ich meine Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt. Ich kann wahrnehmen, wie es mir geht und was ich gerade brauche. Ich kann mich dadurch neu ausrichten; ein Stück weit die Vogelperspektive einnehmen, aus der heraus ich in der Lage bin, Situationen und Gefühle anders einzuordnen. Achtsamkeitsmomente sind wie kleine Ruheinseln im aufgewühlten Wellengang. Dass das etwas bringt, ist mittlerweile wissenschaftlich gut untersucht. Wer sich regelmäßig in Achtsamkeit übt, kann das Stresserleben und damit verbundene körperliche und psychische Symptome reduzieren. Dafür steigen emotionales Wohlbefinden und Präsenz. Grundsätzlich lässt sich Achtsamkeit bei jeder Tätigkeit durchführen. Dafür muss man also nicht mal etwas Neues in den Alltag „einbauen“, sondern lediglich das, was man ohnehin schon tut, bewusster durchführen.
Den Schulweg bewusst gehen
Der Arbeitsweg ist für viele eine automatisierte Routine. Man nimmt jeden Tag den gleichen Weg und denkt auch nicht mehr groß darüber nach. Stattdessen kreisen die Gedanken schon um den Schultag. Noch bevor man in der Schule angekommen ist, steckt man also mitten im Trubel. Der Arbeitsweg fliegt unbemerkt an einem vorbei und ehe man sich versieht, steht man vor der Klasse und unterrichtet. Um nicht in den Autopiloten zu schalten, kann man einfach mal einen anderen Weg zur Schule ausprobieren. Oder man lenkt die Aufmerksamkeit ganz bewusst auf den Weg: Was kann ich auf meinem Weg beobachten? Was sehe ich am Wegesrand? Das geht auch, wenn man mit Bus und Bahn unterwegs ist.
Sehen, hören, riechen, schmecken
Überhaupt sind unsere Sinne hervorragend geeignet, um Achtsamkeit zu üben. Ich richte meine Aufmerksamkeit darauf, was ich in diesem Moment sehe, höre, empfinde, rieche oder schmecke. Zum Beispiel kann ich meine Augen schließen und mich auf das konzentrieren, was ich um mich herum höre. Dabei geht es nicht darum, das zu bewerten („Da höre ich schon wieder diese laute Klasse 7c!“), was vielleicht zu einer emotionalen Reaktion wie Ärger führen würde, sondern darum, das Gehörte neutral zu benennen („Ich höre jemanden rufen.“). Oder ich kann auch Tätigkeiten, die mit Sinnesempfindungen einhergehen, bewusster durchführen: Wie riecht der Kaffee, den ich gerade trinke? Wie schmeckt er? Spüre ich die Wärme?
Sehen, hören, riechen, schmecken
So wie ich meine Aufmerksamkeit nach außen richte, kann ich sie auch auf mich selbst lenken, z. B. indem ich meines eigenen Körpers und meiner Haltung gewahr werde: Wie stehe ich hier? Welche Körperhaltung nehme ich ein? In welchem Tempo bewege ich mich? Dabei kann ich meine Körperhaltung bewusst verändern: die Füße im Boden verwurzeln, die Wirbelsäule aufrichten, die Schultern nach hinten unten rollen oder Bewegungen bewusst verlangsamen. Eine andere Möglichkeit ist der sogenannte Bodyscan, bei dem ich meinen Körper von den Füßen über die Beine, den Bauch, die Schultern und Arme bis hin zur Kopfspitze „scanne“ und dabei – wieder ohne zu bewerten – nachspüre. Diese Übung ist besonders gut geeignet, wenn man abends häufig starke Verspannungen, Hunger oder Durst verspürt, denn durch den kurzen Scan bekommt man die Gelegenheit, Körperempfindungen frühzeitig zu registrieren und im zweiten Schritt für sich zu sorgen. Eine gute Zeit für einen Bodyscan im Schulalltag könnte z. B. die Wartezeit vor dem Kopierer sein oder während die Klasse gerade eine Stillarbeit durchführt.
Atmen nicht vergessen
Auch unser Atem kann ein Achtsamkeitsanker sein, denn er ist stark verknüpft mit unserem Wohlbefinden: Sind wir gestresst, atmen wir schneller und oberflächlicher. Sind wir entspannt, atmen wir ruhiger und langsamer. Wir können den Atem bewusst führen und dadurch auch unser Stresslevel senken. Eine Möglichkeit ist es, eine Hand auf den Bauch zu legen, bewusst tief in den Bauch zu atmen und somit die Hand zu bewegen. Beim Einatmen bewegt sich die Hand nach vorne, beim Ausatmen wieder zurück. Man kann den Stunden-Gong als „Achtsamkeitsglocke“ benutzen und jedes Mal tief ein- und ausatmen, wenn sie ertönt. Aber auch in schwierigen Gesprächen oder wenn man sich vom Trubel um einen herum überwältigt fühlt, ist es hilfreich, ein paar bewusste, tiefe Atemzüge zu nehmen.
„Mist, ich hab schon wieder …“
Kleine Momente der Achtsamkeit zu schaffen, ist eigentlich ganz leicht. Und doch kann es gleichzeitig schwierig sein, eine achtsame Haltung zu entwickeln. Achtsamkeit ist wie ein Muskel, der sich erst aufbauen muss. Und wie im Muskeltraining gibt es leichtere und schwierigere Übungen: In der lauten 7c ist es deutlich schwerer, achtsam zu sein, als auf dem Schulweg durch den städtischen Park. Und das ist okay. Hier ist liebevolle Geduld gefragt. Am besten fängt man mit einer leichteren „Wenn-dann“-Verknüpfung an, z. B.: „Wenn ich einen Klassenraum betrete, dann atme ich vorher einmal tief ein und aus.“ Oder: „Wenn ich Pausenaufsicht habe, gehe ich einige Schritte ganz achtsam und spüre, wie meine Füße auf dem Boden abrollen.“ Viele stellen zusätzlich fest, dass es gar nicht leicht ist, nicht zu bewerten. „Mist, ich hab schon wieder an etwas anderes gedacht!“ ist ein typischer Gedanke, den jeder kennt, der sich in Achtsamkeit übt. Stelle ich fest, dass ich innerlich abschweife oder bewerte, registriere ich das kurz und richte meine Aufmerksamkeit wieder auf meinen Achtsamkeitsanker (z. B. den Atem, meine Körperhaltung, das Pausenbrot, meine Schritte). Baut man regelmäßig kleine Achtsamkeitsanker in den Alltag ein, wird dies nach und nach leichter und allmählich in eine achtsame Grundhaltung übergehen.
Natalie Waschke, Köln