Informatik ist überall, nur nicht im Unterricht – obwohl die Kultusministerkonferenz das Gegenteil empfiehlt. Immerhin surft jedes zweite Kind zwischen sechs und 13 Jahren allein im Netz. Wieso Lehrkräfte nicht auf die Politik warten müssen und schon heute tollen Informatikunterricht ohne Computer machen können, lesen Sie hier.
Ein Beitrag von Yvonne Thiele
Morgens weckt uns das Smartphone und auf dem Weg zur Arbeit begleiten uns digitale Werbeanzeigen. Informatik ist allgegenwärtig, wenn auch oft versteckt. Wer nicht überzeugt ist, sollte sich ein Klassenzimmer vorstellen: Wo versteckt sich Informatik? Auf keinen Fall in den Stühlen. Tatsächlich wurden die aber maschinell und softwaregestützt gefertigt. Auch die Kreide kommt vom Fließband. Aber der Baum vorm Fenster ist zu 100 Prozent Natur, oder? Fehlanzeige: Das Architekturbüro hat eine Software verwendet, mit der alles vom Baum bis zur Parkbank geplant wurde. Smartphone und Internetzugang sind in fast allen Haushalten mit Kindern zu finden. Laut der KIM-Studie (Kindheit, Internet, Medien) des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest aus dem Jahr 2022 nutzen etwa 70 Prozent der Kinder das Internet und jedes zweite Kind surft allein im Netz. Wie viel sie dabei von Informatik verstehen, ist schwer zu sagen. Wissen sie, wie Oma ins Tablet passt oder warum Papas Smartphone alles weiß? Ein Computer ist für die Kinder wie eine Blackbox – etwas geht rein, etwas anderes kommt raus und dazwischen stehen Fragezeichen. Wäre nicht die Schule der richtige Ort, um diese Fragezeichen zu erforschen? Damit Kinder lernen, verantwortungsvoll und kritisch mit informatischen Systemen umzugehen?
404 – Informatikunterricht in Deutschland
Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) sieht das so. Gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz (KMK) hat sie vor zwei Jahren verpflichtenden Informatikunterricht ab der Grundschule empfohlen. Und dafür ist es höchste Zeit, zieht man einen internationalen Vergleich. Seit 2014 haben beispielsweise Kinder in Großbritannien ab der ersten Klasse das Fach „Computing“. In Ländern wie Estland, Japan oder Australien steht Programmieren für Grundschulkinder ebenfalls auf dem Lehrplan. Insgesamt 28 europäische Länder bieten Informatik als Pflichtfach an, neun davon sogar ab der Grundschule. Und in Deutschland? Hier kann es vorkommen, dass Kinder die Schule ohne informatische Grundkenntnisse verlassen, wie eine Studie des Stifterverbandes und der Heinz Nixdorf Stiftung zeigt. Wir sehen – wie so oft – ein gemischtes Bild: Je nach Bundesland reicht der Informatikunterricht „von fest verankert bis kaum vorhanden“, so das Urteil des Informatik-Monitors 2022/2023, das sich im aktuellen Schuljahr bestätigt. Das informatische Angebot bleibt hinter den Empfehlungen zurück. Dabei könnten Schulen helfen, früh die digitale Kluft (engl. Digital Gap) zu überbrücken. Gemeint ist der Zugang zu Technologie und die Fähigkeit, sie zu nutzen. Überspitzt gefragt: Beherrsche ich die Technologie oder beherrscht sie mich? Insbesondere Kinder, die im Elternhaus keinen Umgang mit informatischen Systemen erleben, könnten davon im Unterricht profitieren.
Stecker raus für alltäglichen Informatikunterricht?
Mit dem DigitalPakt Schule unterstützt der Bund die Länder und Gemeinden dabei, digitale Bildungsinfrastruktur aufzubauen. Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt: Die Bildschirmzeit von Kindern nimmt zu. Das hat Folgen, die von Bewegungsmangel bis Übergewicht reichen. Fachleute betrachten diese Entwicklung mit Sorge. Denn in einer Welt, in der Medien vorwiegend im Sitzen konsumiert werden, haben Heranwachsende das Nachsehen. Heißt das Stecker raus und doch kein Informatikunterricht? Zum Glück schließt das eine das andere nicht aus. Beispiele finden sich zuhauf im Alltag: Wenn wir einer Person den Weg beschreiben, folgen wir ähnlichen Mustern wie beim Programmieren. Wenn wir ein Geheimnis haben, denken wir an Datenschutz. Deshalb braucht Informatikunterricht mit jungen Kindern noch keinen Computer. Sie lernen auch so, wie Maschinen ticken. Beispielsweise, indem sie sich gegenseitig als Roboter „programmieren“ und mit konkreten Anweisungen das Klassenzimmer durchqueren. Oder indem sie Bilder nach Pixeln malen. Sogar sportlich können Kinder informatische Konzepte wie ein Sortiernetzwerk kennenlernen.
Lehrkräfte entlasten durch fächerübergreifende Einbindung
Informatik passt in jedes Fach – von Mathe bis Sport. Lehrkräfte könnten im Unterricht zu digitaler Teilhabe und kompetentem Umgang mit informatischen Systemen beitragen. Aber Hand aufs Herz: Wer denkt, Informatik macht Spaß? Berichte von Lehrkräften zeigen, dass Erwachsene Berührungsängste mit informatischer Bildung haben.
Zum Nachlesen
KIM-Studie 2022:
Studie „Informatik für alle!“ des Stifterverbandes und der Heinz Nixdorf Stiftung:
Informatik-Monitor 2023/2024:
Die Jüngeren lassen sich hingegen nicht von Begriffen abschrecken. Sie entschlüsseln begeistert Codes und finden es urkomisch, wenn „programmierte“ Schüler:innen in der falschen Ecke des Klassenzimmers landen. Fach- und Lehrkräfte berichten in den Fortbildungen für frühe informatische Bildung der Stiftung Kinder forschen, dass viele kleine Dinge schon mit informatischer Bildung zu tun hätten. Und dass die Kinder Spaß hätten, ohne zu merken, dass sie mit Informatik in Berührung gekommen sind. Nur wie soll man loslegen, wenn das alles neu ist? Weiterbildungen wären ein guter Anfang, doch angesichts der Bildungssituation ist das leichter gesagt als getan. Entlastende Angebote müssen her.
Bildungsangebot „Informatik als Abenteuer“
Eine Hilfe können kostenfreie Materialien sein, die Lehrkräfte selbst ausdrucken und im Unterricht nutzen. Ein Beispiel für die Klassenstufe drei und vier ist das Bildungsangebot „Informatik als Abenteuer“ der Stiftung Kinder forschen (s. Kasten). Hier forschen Lehrkräfte mit ihren Klassen in
ein bis drei Schulstunden an verschiedenen informatischen Themen – vom Binärcode bis zum Pixel. Zu den Materialien gehören Leitfäden zur Unterrichtsbegleitung, praktische Impulse und Aufgaben. So lernen Kinder einen kompetenten Umgang mit Informatik, den sie hoffentlich auch im Hinterkopf haben, wenn sie nächstes Mal allein am Computer sind.
Kostenfreie Unterrichtsmaterialien
Alle Materialien des Bildungsangebots „Informatik als Abenteuer“ der Stiftung Kinder forschen können Sie hier kostenfrei herunterladen: