Der Einsturz der Morandi-Brücke in Genua, die Eröffnung der Hongkong-Zhuhai-Macau-Brücke – in den letzten Monaten haben Brücken Schlagzeilen geschrieben. Stahlbeton macht viele dieser Brücken erst möglich, aber er hält nicht ewig.
Die meisten Brücken sind keine Sehenswürdigkeiten, aber für Millionen Menschen im wahrsten Sinne des Wortes fester Bestandteil ihres täglichen Lebens. Wir überqueren sie zumeist, ohne sie wirklich bewusst wahrzunehmen. Die 55 Kilometer lange Hongkong-Zhuhai-Macau- Brücke vergisst man hingegen nicht so schnell. Aus dem offenen Meer taucht sie auf und schlängelt sich bis zum Horizont. Aber auch bei diesem spektakulären Bauwerk, wie bei vielen „banalen“ Autobahnbrücken, verleiht Stahl dem Beton die notwendige Stärke. Und Stahl kann rosten.
Ein lang gehegter Traum
Mit der Hongkong-Zhuhai-Macau-Brücke ist im Oktober 2018 die längste Meeresbrücke der Welt eröffnet worden. Sie verkürzt die Autofahrt von Hongkong nach Macau und Zhuhai, Metropolen an den gegenüberliegenden Ufern des Pearl River Deltas, von vier auf gerade mal eine Stunde. Der erste Vorschlag zum Bau der Brücke datiert schon aus 1983, aber die Diskussion nahm erst mit Hongkongs Übergabe an die Volksrepublik China 1997 richtig Fahrt auf. Da die östliche Seite des Deltas am Anfang des Jahrtausends wirtschaftlich weiterentwickelt war als die westliche, richtete Hongkong wegen niedrigerer Löhne und mehr Raum den Blick zunehmend auf das ihm gegenüberliegende westliche Ufer des Deltas. Allerdings musste der Transport dorthin entweder mit Fähren oder über Straßen um das Delta herum bewältigt werden. So wurde schließlich 2009 der Bau der Brücke beschlossen. Die Kritiker der Brücke befürchten, dass sie die Investitionen von 16 Milliarden Dollar nicht zurückverdienen wird, wenn sich nicht genug Verkehr zwischen dem Festland und dem Stadtstaat entwickelt. Außerdem wird das Fehlen einer Schienenverbindung stark kritisiert, da Hongkongs Straßen schon heute überlastet sind. Mögliche Umweltschäden, wie die Störung des Lebensraumes der dort lebenden seltenen pinken Delfine, dürften mit dem Bau der Brücke schon eingetreten sein. Nicht zuletzt haben außerdem neun Arbeiter bei den Bauarbeiten ihr Leben verloren.
Über die See hinweg – unter der See hindurch
Auf ihren 55 Kilometern über weichen Meeresboden und durch zuweilen stürmische See kreuzt die Straßenverbindung mehrere Schifffahrtskanäle und Anflugrouten. Um die großen Containerschiffe passieren zu lassen, wird die über viele Kilometer eher unauffällige Autobahnbrücke an drei Stellen mit imposanten Schrägseilbrücken unterbrochen. Über dem 2,8 Kilometer breiten Hauptschifffahrtskanal mit zwei Fahrrinnen war eine Brücke allerdings nicht möglich, da ihre hohen Pfeiler den Flugverkehr nach Hongkong behindert hätten. Daher wurden sie auf fast sieben Kilometern untertunnelt.
Mit vereinten Kräften: Stahl und Beton
Wenn ein Balken eine gleichmäßige Streckenlast trägt, wie zum Beispiel eine Brücke einen Stau, dann beugt er sich ein kleines bisschen durch. Hierdurch entstehen an der Unterseite des Balkens Zugkräfte. Da ähnlich wie bei Stein die Druckfestigkeit von Beton zehnmal größer als seine Zugfestigkeit ist, sind Balken aus Stein und Beton dadurch schnell überlastet. Dies kann zu Rissen oder Schlimmerem führen. Stein und unverstärkter Beton eignen sich daher besser für Säulen als für Überspannungen. Erst als man im wahrsten Sinne des Wortes „den Bogen raus hatte“, konnte man mit Stein auch größere Abstände überbrücken. Bögen und Kuppeln leiten die Zuglast, die aus Eigengewicht und anderen Belastungen an der Unterseite von Balken entsteht, als Drucklast in die tragenden Wände um. Vor ungefähr 120 Jahren wurde Stahlbeton erfunden. Im Gegensatz zu Beton hat Stahl eine sehr hohe Zugfestigkeit. Beim Stahlbeton wird der Beton durch Stahlstäbe, die sogenannte Bewehrung, verstärkt. Auf der Baustelle sieht es dann so aus, als betoniere man Stahlkäfige ein. Im Stahlbeton nimmt der Beton die Druck-, der Stahl hingegen die Zugspannung auf. Spannbeton geht noch einen Schritt weiter. Hier setzen innere oder äußere Spannelemente den Beton zusätzlich unter Druck. Bevor also eine Zugspannung im Beton auftritt, muss dann erst die durch die Spannelemente erzeugte Druckspannung abgebaut werden. So ermöglichen die Spannelemente schlankere Konstruktionen und größere Überspannungen wie zum Beispiel bei der Hongkong-Zhuhai- Macau- Brücke.
Die Kräfte richtig kombinieren
Es ist wichtig, die Spannkabel richtig im Durchschnitt der Betonelemente zu platzieren. Wenn ein Balken belastet wird, entstehen im oberen Teil Druck- und im unteren Teil Zugkräfte. Idealerweise hebt die Vorspannung die Zugkräfte im unteren Teil auf, ohne die Druckkräfte im oberen Teil unnötig zu erhöhen. Ist das Vorspannkabel in einem Balken mittig angebracht, können an der Unterseite überbleibende Zugspannungen zu Rissen im Beton führen. Wird das Vorspannkabel unterhalb der Mittellinie des Balkens angebracht, wölbt sich der Balken unbelastet ein wenig nach oben und es entsteht an der Unterseite Druckspannung. Im belasteten Zustand kompensiert diese dann die Zugspannung im unteren Teil des Balkens. In den Balkenbrücken der Hongkong-Zhuhai- Macau-Verbindung wirken inwendige Spannkabel den Zugkräften entgegen, die durch das Eigengewicht der Brücke entstehen. Ausserdem zieht das Eigengewicht das Brückenelement rechts und links von dem Pfeiler, auf dem es liegt, nach unten. So entsteht über dem Pfeiler an der Oberseite des Brückenelements Zugspannung, die den Beton dort übermäßig beanspruchen würde. Daher wird sogenannte Kragarmvorspannung in der Oberseite des Brückenelements angebracht. Zusätzlich wurden Spannelemente an der Außenseite der Brücke angebracht, um die anderen Belastungen wie die vom Straßenverkehr aufzufangen. Diese Kontinuitäts- und Feldvorspannungen verstärken die Brücke zwischen den Pfeilern, wo Zugspannung an der Unterseite der Brücke entsteht, weil sie sich unter der Belastung kaum merklich durchbeugt. Der Vorteil von außen angebrachten Spannkabeln ist, dass sie relativ einfach inspiziert und ausgetauscht werden können. Allerdings sind sie auch ungeschützter gegen Witterung, Brand, etc.
Risiken
Risse im Beton, die zum Beispiel auf Grund zu hoher Belastungen, schlechter oder sich verschlechternder Betonqualität oder Vibrationen auftreten, können ernste Folgen haben. Durch sie kann Wasser zum Stahl vordringen und die Bewehrung rosten. Der Beton kann auch abbröckeln, so dass die Bewehrung sichtbar wird und ganz ohne Schutz ist. Die Ursache des Brückeneinsturzes in Genua ist noch nicht festgestellt. Aber Materialermüdung und -überbelastung haben mit großer Wahrscheinlichkeit zumindest dazu beigetragen. Regelmäßige Kontrolle und gewissenhafte Wartung machen solche Unglücke allerdings äußerst unwahrscheinlich.
Dr. Frauke Hoss