Auch in der Wirtschaftswissenschaft werden Experimente mittlerweile zur Untersuchung einer Vielzahl von Fragestellungen genutzt: Die experimentelle Wirtschaftsforschung gilt als etablierte Disziplin.
Ein Beitrag von Prof. Dr. Michael Weyland, StR Dr. Marco Rehm und OStR Gregor Pallast
Erstmals eingesetzt wurden ökonomische Experimente allerdings zu Lehrzwecken, und zwar von Edward Chamberlin, der 1948 die ersten dokumentierten Marktexperimente für seine Studierenden entwickelte. Seither wurden zahlreiche Experimente zu Lehrzwecken entwickelt oder aus der experimentellen Forschung adaptiert. Der folgende Beitrag stellt eine praxisnahe Orientierungshilfe für Lehrkräfte dar, die ökonomische Experimente im Unterricht erproben möchten. Ökonomische Experimente dienen nicht nur als handlungsorientierte, ganzheitliche und motivierende Unterrichtsmethode, sondern auch als Mittel zur kognitiven Aktivierung der Lernenden. Es sollten daher bevorzugt Experimente ausgewählt werden, die
- über einen hohen Anregungsgehalt verfügen und eine Vernetzung des neu Gelernten mit vorhandenem Wissen und Können ermöglichen;
- es ermöglichen, didaktisch fruchtbare (Schein-)Widersprüche, Dilemmata, Kooperationsprobleme und Interessenkonflikte zu simulieren;
- Handlungsspielräume eröffnen, innerhalb derer Problemlösekompetenzen trainiert und strategische Handlungsoptionen erprobt werden können.
Experimente für den täglichen Unterricht
Für die tägliche Unterrichtspraxis empfehlen wir einfach und variabel einsetzbare, motivierende und zugleich kognitiv aktivierende Experimente. Im Sinne des Prinzips der Wissenschaftsorientierung sollten gezielt solche Experimente ausgewählt werden, mit denen zudem
- fundamentale Ideen ökonomischen Denkens trainiert werden können, etwa das Knappheitsprinzip oder die Struktur sozialer Dilemmata;
- das Wesen des Wettbewerbs als Auswahl- und „Entdeckungsverfahren“ erfahrbar wird;
- das Wesen ökonomischer Experimente als übergreifende Forschungsmethode der empirischen Sozialwissenschaften zu Lernzwecken verdeutlicht werden kann.
Ein Beispiel: Das Fischereispiel
Wir möchten unsere theoretischen Ausführungen anhand eines weitverbreiteten Experiments konkretisieren: Das Fischereispiel zählt zu den wirtschaftsethischen Simulationsspielen, liegt in unterschiedlichen didaktischen Varianten vor und wurde mithilfe experimenteller Untersuchungsdesigns außerordentlich positiv evaluiert. Es beginnt damit, dass sich alle Schüler*innen in der Mitte des Raumes im Kreis aufstellen, die Lehrkraft die „Fische“ (Bonbons) in den „Ozean“ (durch Schüler*innen gebildete Kreisfläche) wirft und die Spielregeln erläutert. Typischerweise „fischen“ die Schüler*innen bereits in der ersten Runde den „Ozean“ leer – Resultat ist also der Kollaps der Fischbestände. Nun erfolgt die Diskussion möglicher Lösungsansätze für das Dilemma, deren Effektivität und Effizienz erneut experimentell überprüft und gemeinsam systematisiert werden (s. Download). Die Vorschläge werden in weiteren Runden des Experiments jeweils praktisch erprobt und gemeinsam im Hinblick auf die Produktivität der Fischer*innen, die Kontrollkosten für die Einhaltung der Regeln sowie die Auswirkungen auf den Fischbestand bewertet.
Spielregeln: Das Fischereispiel
- Der freie Raum ist der Ozean, in dem Fische schwimmen.
- Die Fische werden durch Bonbons symbolisiert (pro Schüler*in: zwei Fische). Die Bonbons haben keine*n Besitzer*in, bis jemand sie aufhebt.
- Nach dem Startsignal haben alle eine Minute Zeit, um Fische zu fangen. Vor der zweiten Runde regenerieren sich die nicht gefangenen Fische, der doppelte Bonbonbestand am Ende der ersten Runde ist also Anfangsbestand der Runde zwei.
Fachlicher Hintergrund
Das Thema „Tragödie der Gemeingüter“ lässt sich inhaltlich beispielsweise an die Einführung des vollkommenen Marktmodells und die Analyse unterschiedlicher Marktformen anbinden. Nachdem die Schüler*innen erfahren haben, dass eigennutzorientiertes Handeln im freien Spiel der Marktkräfte unter den Bedingungen vollkommener Konkurrenz wie durch eine „unsichtbare Hand“ zu einem paretooptimalen Marktgleichgewicht führt, sollen sie nun die besonderen Eigenschaften einer Güterart kennenlernen, bei denen rationale Entscheidungen zu gesellschaftlich und individuell unerwünschten Ergebnissen führen können. Auf diese Weise erfahren die Lernenden anhand ihres eigenen Verhaltens im Experiment, dass kollektive Eigentumsrechte zur „Nichtausschließbarkeit vom Konsum“ führen, wodurch bei gleichzeitiger „Rivalität im Konsum“ das Problem einer Übernutzung und damit eine ineffiziente Ressourcenallokation entstehen kann.
Können die Lernenden den Zusammenbruch der Ressource Fisch verhindern? © pakhnyushchyy – Freepik
Kern der Erkenntnis
Die Erkenntnis besteht also darin, dass unter bestimmten Voraussetzungen durchaus rationales menschliches Verhalten nicht zu einer effizienten Ressourcenallokation, sondern zum Dilemma der Ressourcenübernutzung führen kann. Aus kollektiver Sicht der Nutzer*innen des Gutes wäre es wünschenswert, dass sich alle Beteiligten zurückhaltend des Gutes bedienen, um die Ressource nicht auszuschöpfen. Aus individueller Sicht lohnt es
sich hingegen für jede einzelne Person, so viel wie möglich zu konsumieren („soziales Dilemma“). In der Summe führt dies meist zum Zusammenbruch der Ressource. Falls ein Teil der Akteur*innen diesem Problem durch ein angemesseneres Nutzungsniveau begegnet, können die anderen ihren individuellen Gewinn auf einem höheren Niveau maximieren („Trittbrettfahrer*innen“). Da niemand individuelle Verluste aufgrund des Trittbrettfahrens anderer hinnehmen will, ändert sich – ohne regelgebundene Kooperation – an dem tragischen Ergebnis nichts: Die individualistische Nutzenmaximierung führt somit nicht zum größten Gesamtnutzen.
Download
Ein umfangreiches Arbeitsblatt zum Fischereispiel mit Spielregeln und -vorschlägen finden Sie hier:
Fazit
Gelingt die Moderation durch die Lehrkraft, erleben die Lernenden nicht nur, dass sie die Ressource Fisch ausrotten, sondern sie können auch diskutieren, wie eine nachhaltige Nutzung aussehen könnte, und verschiedene Lösungsansätze wie eine kürzere Fangsaison (nur 10 Sekunden Zeit zum Aufheben der Fische), kleinere Netze (Aufheben mit einer Hand) oder Fangquoten (Vergabe von Eigentumsrechten an zum Beispiel je einem Bonbon je Schüler*in und Spielrunde) gleich erproben.
Prof. Dr. Michael Weyland
Leiter des Instituts für Ökonomische Bildung (iföb.de) an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg
StR Dr. Marco Rehm
Geschäftsführer des Zentrums für ökonomische Bildung (ZöBiS) an der Universität Siegen
OStR Gregor Pallast
abgeordneter Lehrer am Zentrum für ökonomische Bildung (ZöBiS) an der Universität Siegen