Die „Flurschule“ oder „Industrieschule“ prägt noch heute unsere Grundrisse im Bildungsbau. Dieses letztlich 200 Jahre alte Konzept stammt allerdings aus der Zeit der Industrialisierung: Gleichförmige Tätigkeiten an gleichförmigen Arbeitsplätzen verlangten nach gleichförmigen Arbeitskräften, die eine entsprechend organisierte Schule „produzieren“ und „liefern“ sollte.
Ein Beitrag von Dr. Dierk Suhr
Unsere Lebens- und Arbeitswelt hat sich in den letzten 200 Jahren jedoch grundlegend verändert und wird sich auch zukünftig (vermutlich noch viel schneller) verändern. Heute muss es in Schulen daher um die Vermittlung von Zukunftskompetenzen für eine (Arbeits-)Welt gehen, die wir noch gar nicht kennen. Die Vermittlung dieser „21st Century Skills“ stellt Pädagogik und Didaktik vor große Herausforderungen – und sie verlangt nach entsprechenden Raumkonzepten, die derartige neue pädagogische und didaktische Konzepte überhaupt erst ermöglichen. Nicht umsonst bezeichnete der bekannte italienische Pädagoge Loris Malaguzzi den Raum als „dritten Pädagogen“
Von „do it yourself“ zum Makerspace
Die „Maker“-Bewegung als solche ist bereits einige Jahrzehnte alt und hat sich ursprünglich aus der Do-it-yourself-Bewegung, also dem Heimwerken, entwickelt. Erst in den letzten Jahren werden Konzepte wie „Lernwerkstätten“ und „Makerspaces“ als Bereich eigener Theorie und Praxis er erkannt, grundlegend beforscht und anfangs vor allem in Hochschulen, Bibliotheken oder Schülerforschungszentren eingerichtet. Inzwischen wird der Makerspace aber auch zunehmend in Schulen eingesetzt – und bietet hier unter anderem eine Chance für allgemeine Technikbildung. Heute wird viel über fehlende Technikbegeisterung geklagt, der Fachkräftemangel ist allgegenwärtig spürbar.
Nicht jedes Mädchen muss Raumfahrtingenieurin werden, nicht jeder Junge Maschinenbauer; aber technische Allgemeinbildung ist heute – auch jenseits der Berufsorientierung – wichtiger denn je. Da Technik am Gymnasium aber praktisch nicht erlebbar ist, bieten Konzepte wie der Makerspace hier Möglichkeiten, mit denen Jungs und Mädchen Technik erleben und technische Allgemeinbildung erwerben können – und sich „nebenbei“ vielleicht auch für technische Ausbildungsberufe und Studiengänge begeistern lassen.
Artes liberales und artes mechanicae
Rund die Hälfte der Schüler*innen geht heute aufs Gymnasium. Dort erleben sie, dass Technik offenbar irrelevant ist – die kommt als Fach am Gymnasium nämlich nicht vor, da unser Bildungskanon sich immer noch an der Antike orientiert: Der gebildete Hellene widmete sich seinerzeit den sieben freien Künsten, den artes liberales, während die artes mechanicae, die dem Broterwerb dienten, dem Handwerker vorbehalten waren, der auf Griechisch bánausos heißt. Diesen Bildungskanon der Antike erleben wir heute noch an unseren Gymnasien.
Wenn also nun in Fächerverbünden wie dem baden-württembergischen NwT- Unterricht oder in anderen fachübergreifenden MINT-Konstrukten Technikunterricht ermöglicht werden soll, der diesen Namen tatsächlich verdient, dann sind dafür auch entsprechende Räume nötig. Makerspaces mit flexibler Ausstattung – beispielsweise mit mobilen, robusten Arbeitstischen, mobilen Stühlen und einer flexiblen Deckenversorgung für Strom, Druckluft und die Absaugung von Holzspänen oder Lötrauch – bieten hier die Möglichkeit, auch ohne klassische Werkräume, ohne großen Werkzeug- und Maschinenpark Technik erlebbar zu machen. Mit Interesse fördernden, modernen Themen wie Video- und Audioproduktionen, Coding, Robotik oder 3-D-Druck kann Technik in ihrer Mehrperspektivität fachübergreifend dargestellt und das „T“ in „MINT“ realistisch in den Gymnasialunterricht integriert werden. Das ist die große Chance, die Makerspaces in Kombination mit MINT-Fächerverbünden für eine allgemeine Technikbildung bieten.
Mehrperspektivische Technikbildung
Making ist dabei weit mehr als „technisches Basteln“; es geht vielmehr darum, weltgestaltend kreativ zu werden, dabei Gestaltungsmöglichkeiten kennenzulernen oder gar zu entwickeln sowie zeitgemäß auch analoge und digitale Vorgehensweisen zu verknüpfen – eben jene mehrperspektivischen Facetten allgemeiner Technikbildung zu erleben, die im gymnasialen Fächerkanon bisher kaum vorgesehen sind. Während die erkenntnisorientierten Naturwissenschaften nach kausalen Zusammenhängen, allgemein gültigen Gesetzen und Naturkonstanten suchen, entwirft Technik Lösungsvorschläge für menschliche Probleme und Bedürfnisse, aus denen dann unter Berücksichtigung gesellschaftlicher, ökonomischer und ökologischer Werte und Normen eine Alternative gewählt werden kann.
Die „Natur der Naturwissenschaften“ (auch „Nature of Science“ oder kurz „NOS“) zu verstehen, gilt heute als ein wichtiges Ziel naturwissenschaftlichen Unterrichts. Die Welt zu gestalten, ist allerdings die Domäne der Technik – mit ihr verändern und formen wir die Welt, die wir mit den Naturwissenschaften erforschen. Diese Basis allgemeiner Technikbildung zu vermitteln, ist – neben aller Berufsorientierung – wichtiges Ziel allen „Makens“.
Dr. Direk Suhr
Dr. Direk Suhr
Naturwissenschaftler und Technik-didaktiker. Er beschäftigt sich seit mehr als 25 Jahren mit Gelingensbedingungen naturwissenschaftlicher und technischer Bildung. Bei Hohenloher betrachtet er als Leiter Kommunikation & Pädagogik Lernräume, Labore und Makerspaces aus der pädagogisch-didaktischen Perspektive.