Vor zehn Jahren gründete ein französischer Tech-Milliardär die Programmierschule 42 – ohne Lehrkräfte, Noten und Stundenpläne: 42 Heilbronn. Mittlerweile gibt es 15.000 Studierende weltweit. Ein Besuch an einem deutschen Standort.
Ein Beitrag von Thomas Bornheim
Der 29-jährigen Alisja Frasch wurde schon in ihrer Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin klar, dass es mehr Digitalisierung braucht, um die Arbeit des Pflegepersonals zu erleichtern. Der Krankenhaus-Report, der über Entwicklungen im Krankenhaussektor berichtet, bestätigte das bereits 2019. Dort heißt es, dass „digitalen Techniken das Potenzial zugesprochen wird, die Situation in der Krankenhauspflege verbessern zu können“.
Zu 100 Prozent praktische Programmierausbildung
Nachdem sie einen Bachelor in Pflege absolviert hat, lernt Frasch seit Juni 2021 in der Programmierschule 42 Heilbronn programmieren. Ihr Fernziel: Programme entwickeln zur Dokumentation auf den Stationen in der ambulanten Pflege. „Ich wollte nicht noch weiter studieren. Das hier ist etwas ganz anderes“, sagt sie, während sie sich in einem der Computerräume für bis zu 300 Studierende mit der Programmiersprache C++ beschäftigt. Frasch ist eine von 50 Studentinnen am Standort Heilbronn, der im Juni 2021 eröffnet wurde und aktuell 250 Studierende zählt. Weltweit gibt es fast 50 Standorte in mehr als 25 Ländern mit nach eigenen Angaben rund 15.000 Studierenden. Die erste 42-Programmierschule wurde 2013 vom französischen Telekommunikationsmilliardär Xavier Niel gegründet, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Es gibt keine Noten, keine Professoren und keine Stundenpläne. Die Studierenden brauchen nicht einmal ein Abitur. Einen offiziellen Abschluss gibt es auch nicht. Das Ziel ist es, die Studierenden in eine Anstellung zu führen oder ein Start-up gründen zu lassen. Die taz nannte die Gründungsschule in Paris „ein neues Zentrum der digitalen Elite“.
Von regionalen Unternehmen finanziert
„42 schafft eine Alternative zum Status quo, der in Deutschland herrscht“, sagt Steve Killian. Am Heilbronner Zentrum kümmert er sich als Community Manager darum, dass es den Studierenden gut geht. Killian kritisiert die konservative Arbeitskultur mit festen Arbeitszeiten und Anwesenheitspflicht. „Wenn du in der normalen Arbeitswelt effizient bist, wirst du bestraft und bekommst mehr Arbeit.“ Unsere Arbeitskultur sei in der Industrialisierung entstanden, sagt Killian. „Wir stehen aber nicht mehr alle am Fließband.“ Nur weil man länger arbeite, produziere man nicht zwangsweise mehr. Die Menschen müssten heute verstärkt selbst entscheiden, wann und wie sie am besten arbeiten könnten
Thomas Bornheim, 47 Jahre alt, ist der Geschäftsführer von 42 Heilbronn. Bevor er nach Heilbronn kam, hat er 14 Jahre bei Google gearbeitet – die Hälfte der Zeit im Silicon Valley. Als Analyst und Inhouse Consultant hat er etwa Handlungsempfehlungen erarbeitet und sich darum gekümmert, dass Teams alles haben, um zum Erfolg zu kommen. Seine Arbeit jetzt sieht er ähnlich. Es gehe darum, eine Organisation aufzubauen, die sich zu 100 Prozent auf die Studierenden konzentriert und hört, was sie brauchen. Dazu gehören auch Räume für Filmabende, Super-Mario-Kart-Rennen und Sommerpartys.
Die Ausbildung an der Schule ist kostenfrei. Finanziert wird alles durch Spenden von Unternehmen, die sich im Gegenzug erhoffen, Fachkräfte zu bekommen. Der Mangel verschärft sich immer mehr.
Laut Branchenverband Bitkom fehlten im vergangenen November in Deutschland 137.000 IT-Fachkräfte. Bornheim pflegt eine Partnerschaft mit rund 50 Unternehmenspartnern in der Region Heilbronn. Ein wichtiger ist die Dieter Schwarz Stiftung. Zur SchwarzGruppe, einem der größten Arbeitgeber der Region, gehören unter anderem Lidl und Kaufland. Dort werden viele Programmierer*innen benötigt. „Von unseren derzeit 26 Studierenden in Praktika sind sechs in der Schwarz-Gruppe beziehungsweise in Unternehmen, die der Gruppe nahestehen“, sagt Bornheim. Dort schätzt man „das innovative Lernkonzept des Peer Learning, das eine Mentalität des ‚Thinking outside the box‘ fördert“, so Mario-Steffen Köhler von der Schwarz-Unternehmenskommunikation.
Kollaboratives Lernen
Eine klassische Bewerbung gibt es bei 42 nicht. Interessent*innen registrieren sich lediglich und lösen zwei Logikspiele in rund zwei Stunden. Wenn das gut läuft, folgt ein einstündiges Onlinemeeting und schließlich ein vierwöchiges Bootcamp. Dort erlernen die Aspirant*innen Grundlagen des Programmierens. 80 Prozent der Studierenden würden noch während ihrer Ausbildung von Unternehmen abgeworben. Viele seien nur ein Jahr hier, sagt Tom Krüger, 21-jähriger Student am Campus 42 Heilbronn. Jeder kann arbeiten, wann er will. Die Schule ist 24 Stunden am Tag an sieben Tagen die Woche geöffnet. Aber für jedes der 16 Projekte in der Grundausbildung, in denen es etwa um 3-D-Objekte, Betriebssysteme oder Computerviren gehe, gibt es ein Zeitlimit – wie im Film „In Time“, bei dem Menschen durch Arbeit Lebenszeit gewinnen.
Durch abgeschlossene Projekte erhalten 42-Studierende Zeit auf ihre Uhr. Wer keine Zeit mehr hat, muss gehen. „Meine Zeit war teilweise einstellig, aber ich stresse mich damit nicht“, sagt Krüger. „Man muss sich selbst motivieren.“ Und man müsse im Team arbeiten können. Es gibt keine Lehrkräfte, aber Menschen aus aller Welt. Man ist auf Hilfe von anderen angewiesen und andere auf einen selbst. Das ist die Idee der Schule: kollaboratives Lernen. Tom Krüger sagt: „Allein kommst du nicht durch.“