Die Reaktionen in der Presse und den sozialen Medien auf die „Jenaer Erklärung“, die das „Konzept der Rasse“ sowie den Rassismus hinterfragt, verdeutlichen den aktuellen Diskurs und zeigen die vorhandene Widersprüchlichkeit zwischen dem Verhalten diverser gesellschaftlicher Gruppen und dem wissenschaftlichen Kenntnisstand auf.
Deutlich wird dabei auch die wissenschaftsfeindliche Flexibilität der Ideologie des Rassismus in seiner beharrlichen Negation moralischer Werte. Auch in der Schule kommen Lehrkräfte nicht umhin, das aktuelle Problem, dass Heranwachsende zunehmend mit antidemokratischen und menschenverachtenden Ansichten in der analogen sowie digitalen Welt konfrontiert werden, wahrzunehmen und zu thematisieren. Schließlich sind Lehrpläne in Ziel- und Kompetenzvorstellungen von demokratischen Werten geprägt und postulieren ein antirassistisches Weltbild. Da diesen administrativen Vorgaben jedoch zumeist fassbare inhaltliche Angebote für die Auseinandersetzung im Unterricht fehlen, setzt sich dieser Beitrag mit Überlegungen zum Rassebegriff sowie der „Jenaer Erklärung“ auseinander und liefert Ideen für die konkrete Umsetzung im (Biologie-)Unterricht.
Die „Jenaer Erklärung“, die das „Konzept der Rasse“ sowie den Rassismus in den Wissenschaften und der Öffentlichkeit kritisch und aktuell hinterfragt, wurde am 10. September 2019 in Jena vom Institut für Zoologie und Evolutionsforschung der Friedrich-Schiller-Universität erstmals vorgestellt. Die Kernaussage des Papiers ist, dass es für die Verwendung des Begriffs der Rasse im Zusammenhang mit menschlichen Gruppen keine biologische Begründung gibt und es diese tatsächlich auch nie gegeben hat. „Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung“ (aus der Jenaer Erklärung 2019).
„Rasse“ – wenn Begriffsbildung in die Irre führt
Eine Rasse ist eine phänotypisch und/oder geografisch abgegrenzte subspezifische Gruppe, zusammengesetzt aus Individuen, die eine geografisch oder ökologisch definierte Region bewohnen. So oder so ähnlich haben wir es einmal im Biologiestudium gelernt. Aus heutiger Sicht soll das nun falsch sein. Warum? Der „Rasse“-Begriff kommt zwar dem „menschlichen“ Wunsch nach Kategorisierung entgegen, doch spiegelt er nicht die uns umgebende Wirklichkeit der Organismenwelt wider. Gefährlich wird es dabei, wenn Kategorisierung auch noch mit einer Hierarchisierung verbunden wird. Sklaverei, Apartheid sowie Rassenhygiene, Rassenkunde und Eugenik zeigten die fatalen Auswirkungen derartigen biopolitischen, rassischen Denkens und Handelns.
Dass sich Menschen neben dem genetischen Fingerabdruck auch phänotypisch unterscheiden, ist unstrittig. Menschen sind sogar eine der variantenreichsten Spezies auf der Erde. Diese individuellen Unterschiede sind eine Triebfeder evolutionärer Prozesse, denn Variation führt durch Selektion zu Anpassung in Raum (Speziation) und Zeit (Transformation). Sichtbar wird dies beispielsweise bei der Haut-, Haar- und Augenfarbe oder bei Stoffwechselanpassungen wie der Lactoseoder Alkohol-Toleranz. Nun könnte man leichthin sagen, dass sich ein Schwede, dessen Vorfahren seit Jahrhunderten in Schweden lebten, problemlos von einem Ghanaer, für den jeweils dasselbe gilt, unterscheidet. Doch reicht das tatsächlich aus, um ganze Menschengruppen (wie geschehen) in Negride, Europide oder Mongolide zu klassifizieren bzw. zu kategorisieren?
Obwohl es scheinbar leicht ist, zwischen Menschen aus verschiedenen Teilen der Erde Unterschiede am äußeren Erscheinungsbild zu erkennen, sind die zugrunde liegenden genetischen Variationen selbst viel weniger ausgeprägt. Die Wahrnehmung von morphologisch-phänotypischen (äußeren) Unterschieden kann uns irrtümlicherweise dazu verleiten, von diesen auf die Herkunft und damit einhergehende genetische (innere) Unterschiede zu schließen. Hier ist also Vorsicht geboten. Dass dann ein gemeinsames Kind nicht so einfach zuzuordnen ist, zeigt auch die Haltlosigkeit derartiger Denkmuster. Ferner kann man in unserer globalen Welt nur noch begrenzt von (isolierten) geografischen Verbreitungsgebieten sprechen. Anders als bei der biologischen Art, die klar definiert ist, ist die oben genannte Definition wissenschaftlich nicht haltbar. Jegliche Versuche in diese Richtung scheiterten.
Ein Gedankenexperiment als Unterrichtsanregung
Dennoch, dass über 100 Jahre alte „Konzept der Rasse“ hat sich in den Köpfen verankert und scheinbar als soziales Konstrukt im Alltag bewährt. Erfolg versprechender Unterricht muss folgerichtig daran anknüpfen, es kontrastieren und als Chance nutzen. Die Vorstellung, es gäbe Rassen, gilt es aufzunehmen, um sie zu revidieren und zu dekonstruieren. Hierbei kann ein Gedankenexperiment helfen. Stellen Sie sich folgendes Szenarium mit Ihren Schülerinnen und Schülern vor: Alle Menschen unserer Erde stellen sich in einer Reihe nebeneinander auf und erhalten die Aufgabe, sich nach ihrer Hautfarbe zu ordnen. Zugegeben, das wird ein wenig dauern und auch nicht wirklich umsetzbar sein. Aber wir befinden uns in einem Gedankenexperiment und da ist alles möglich. Ganz links soll der Mensch mit der dunkelsten Hautfarbe und ganz rechts der mit der hellsten stehen. Nun erhalten Sie alle die Aufgabe, eine klare Trennung zwischen dunkelhäutig und hellhäutig festzulegen. Glauben Sie, dass Ihnen das gelingen wird? Jede Trennung, die Sie vornehmen, wird willkürlich sein, da der Übergang fließend ist. Nur schwarz und weiß gibt es nicht.
Nehmen wir ein anderes Merkmal, egal, welches wir auch zurate ziehen: Körpergröße, Haarfarbe usw., die fehlende genaue Abgrenzbarkeit widerlegt stets das Prinzip der Kategorisierung. Scharfe Grenzen existieren schlichtweg nicht, sondern sind reine menschliche Konstrukte. Das ist auch der Grund, warum man sich für Populationen mit dem Begriff der Metapopulation behilft. In letzter Konsequenz bedeutet das aber auch, dass nicht nur Rassen, sondern auch Gruppen, Populationen, Völker nicht real sind. Real sind Gradienten.
Dr. Karl Porges,
apl. Prof. Dr. Uwe Hoßfeld,
Prof. Dr. Johannes Krause
Download:
Literatur zum Thema: www.mint-zirkel.de/2020/11/jenaer-erklaerung-im-unterricht
Jenaer Erklärung: www.t1p.de/jenaer-erklaerung