Seit einigen Jahrzehnten beschäftigt sich die Umwelt- bzw. Nachhaltigkeitsbewusstseinsforschung mit der Frage, welche Merkmale eine Person besitzen muss, damit ein nachhaltigkeitsförderliches Verhalten wahrscheinlicher wird.
Zunächst dachte man, dass Faktenwissen über ökologische Zusammenhänge, Natur und Umwelt sowie positive Einstellungen ausreichend sein sollten, um ein nachhaltigkeitsförderliches Verhalten wahrscheinlich zu machen. Die gefundenen Zusammenhänge waren aber ziemlich enttäuschend. Eine intensive Suche nach weiteren einflussnehmenden Personenmerkmalen setzte ein. Und man fand eine Vielzahl an Faktoren. Man stellte fest, dass verschiedene Wissensformen (z. B. „deklaratives und konzeptuelles Wissen“, „Handlungswissen“) in übereinstimmender Weise zusammenwirken müssen, damit Wissen das Verhalten beeinflusst. Weitere Einflüsse gehen dann aus von Merkmalen wie Verantwortungsattributionen, Wirksamkeitserwartungen, Bewusstheit von Handlungskonsequenzen, wahrgenommene soziale Normen und Alltagsroutinen. Zudem fand man zahlreiche außerhalb der Person liegende Faktoren, die das Auftreten von nachhaltigkeitsförderlichen Verhalten erhöhen oder verringern, z. B. Verhaltensangebote wie günstige öffentliche Verkehrsmittel.
Rahmenmodell für Ziele der BNE
Welche Schlüsse kann man daraus für die BNE ableiten? Auf jeden Fall den, dass es nicht ausreichen wird, Fachwissen in einem Unterrichtsfach zu vermitteln, um dadurch nachhaltigkeitsförderliches Verhalten in der Breite zu fördern. Notwendig ist vielmehr die wirksame Förderung einer Vielzahl an Personenmerkmalen in möglichst allen MINT-Fächern und darüber hinaus. Hierfür ist zunächst zu bestimmen, welche Personenmerkmale im fächerübergreifenden Unterricht und welche im fachspezifischen Unterricht gefördert werden und Ziele der schulischen BNE sein sollen. Ein Vorschlag, wie die vielen anzustrebenden BNE-Ziele geordnet werden können, wurde mit dem Rahmenmodell für BNE-Ziele vorgelegt. In ihm wird als übergeordnetes Ziel der BNE die Nachhaltigkeitskompetenz empfohlen. Das Rahmenmodell unterscheidet drei Ebenen von Nachhaltigkeitskompetenz: eine basale fächerübergreifende, eine basale fachspezifische und eine elaborierte. Die beiden erstgenannten Ebenen nehmen die schulische, die dritte Ebene nimmt die universitäre BNE in den Blick. Auf jeder Ebene werden vier Dimensionen unterschieden: eine kognitive Zieldimension (für verschiedene Wissensformen), eine affektiv-motivationale Zieldimension (für motivationale Orientierungen, Einstellungen und Werthaltungen), eine verhaltensbezogene Zieldimension (für nachhaltigkeitsförderliche Verhaltensbereitschaften in verschiedenen Lebensbereichen) sowie eine Dimension mit Teilkompetenzen (z. B. Systemkompetenz). In diesem Rahmenmodell können nun die verschiedenen Fächer ihre fachspezifischen Ziele verorten, gleichzeitig können aber auch die fächerübergreifend anzustrebenden BNE-Ziele festgelegt werden.
Förderung der Ziele
Sind die Ziele der BNE bestimmt, kann nun nach den Mitteln für die wirksame Förderung dieser Ziele gefragt werden. Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang die Lehr-/Lernverfahren, die im Unterricht eingesetzt werden sollen. Sichtet man die BNE-Literatur, findet man häufig die Aussage, die BNE benötige neue, moderne, alternative und innovative Verfahren und Methoden, um ihre Ziele erreichen zu können. Evidenzbasierte Belege für diese Behauptung werden jedoch kaum vorgebracht. In dieser Situation hilft ein Blick auf die Befunde der empirischen Bildungsforschung. Will man Wissen und Problemlösefähigkeiten wirkungsvoll fördern, orientiert man sich an den folgenden bewährten Prinzipien zur Gestaltung von Lernsituationen: – Ausgangspunkt für das Lernen sollte möglichst ein reales Problem sein. – Die Aktivierung des Vorwissens ist fundamental. – Neues Wissen bzw. neue Problemlösungen sollten bei Novizen (Personen, die in einem Wissensbereich noch wenig Kenntnisse besitzen) präsentiert werden (= direkte Instruktion). – Selbstständige Phasen des Lernens und Problemlösens sind wichtig, sollten aber durch Rückmeldungen und Hilfestellungen unterstützt werden. – Die Reflexion des eigenen Lernprozesses ist bedeutsam für die Förderung des selbst gesteuerten Lernens. – Übungen und die Entwicklung von Routinen fördern eine effektive Bearbeitung von Problemlösungen. Einstellungen, Werthaltungen und motivationale Orientierungen sind relativ stabil und entziehen sich einer einfachen Beeinflussung. „Relativ wirksame“ Mittel sind die Erzeugung kognitiver Konflikte (z. B. im Rahmen von Diskussionen in Kleingruppen), das Lernen am Modell, kooperatives Lernen, das Treffen gemeinsamer nachhaltigkeitsrelevanter Entscheidungen für die Schule (z. B. in Schüler-Parlamenten), Wertklärung, Projekte und Praktika in nachhaltigkeitsbedeutsamen Kontexten. Zur Förderung von Verhaltensbereitschaften können Verfahren aus der Volitionspsychologie empfohlen werden, z. B. die Bewusstmachung und Problematisierung der handlungsleitenden subjektiven Theorien, die Vorsatzbildung, die Anregung zur Selbstverpflichtung, die Visualisierung von Handlungsergebnissen, der Einsatz von Remindern (s. z. B. Rieß 2010).
Prof. Dr. Werner Rieß, PH Freiburg
zum Weiterlesen:
- Rieß, W., Mischo, C., & Waltner, E.-M. (2018). Ziele einer Bildung für nachhaltige Entwicklung in Schule und Hochschule – Auf dem Weg zu empirisch überprüfbaren Kompetenzen. GAIA, 27(3), S. 298–305.
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Rieß, W. (2010). Bildung für nachhaltige Entwicklung – theoretische Analysen und empirische Studien. Münster: Waxmann.