Ein Geoinformatiker der HFT Stuttgart entwickelt eine digitale COVID-19 Übersicht mit Echtzeitdaten der Fallzahlen – nur dank Standardisierungen können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler so schnell reagieren.
Sie klingen irgendwie nach Bürokratie und Kompromissen: Standards und Normierungen. Innovationen sind doch was anderes, spannender, am Spitzenfeld der Forschung! Da muss man kreativ sein, im Bereich der Informatik gerne einfach mal ausprobieren, einen Hackathon zu allen möglichen Themen machen! Vielleicht ist es jetzt eine gute Zeit, um aufzuzeigen, was wir an den Standards haben. Wie wichtig es ist, Grundlagen zu lernen und sich auf Grundlegendes zu verständigen. Gerade in einer globalisierten Informationswelt, in der doch eigentlich alles verfügbar ist. Aber nutzbar wird die Datenflut eben erst durch Standardisierung.
Schnell mal eine Übersicht zu COVID-19? Ja, geht – dank Standards!
Wer hätte gedacht, dass uns ein Virus deutschland-, europa- und weltweit beschäftigt, beängstigt und teilweise auch lahmlegt? Glücklicherweise arbeiten viele Menschen und Fachleute daran, diese Pandemie zu bekämpfen. Hilfe bekommen sie dabei auch von Geoinformationssystemen
(GIS), die über die aktuelle Verbreitung des Coronavirus mittels einer Kartendarstellung informieren. Viele haben diese während der aktuellen Corona-Krisenzeit bestimmt auch schon „unbewusst“ im privaten Bereich genutzt.
Der Geoinformatiker Joe Thunyathep Santhanavanich, Forscher an der Hochschule für Technik Stuttgart (HFT), hat eine innovative digitale Übersicht entwickelt, bei der die mit dem Coronavirus zusammenhängenden Infektionen und Todesfälle von Menschen in Deutschland, innerhalb der Bundesländer, europaweit und weltweit miteinander verglichen werden können. Zu dem Zeitpunkt, zu dem er seine Anwendung entwickelte, gab es noch keine andere digitale Falldarstellung,
die die Zahlen speziell von Stuttgart oder den einzelnen Bundesländern
von Deutschland integrierte.
Unterschiedliche Quellen aus dem Internet of Things integrieren
Santhanavanichs „COVID-19 Dashboard“ integriert verschiedene Quellen der Johns Hopkins Universität, des Robert Koch-Institutes und des ESRI Covid Hub, eines Unternehmens für Geoinformationssysteme, sowie von Worldometer. In einer Machbarkeitsstudie hatte Santhanavanich seine App zuvor getestet und analysiert, ob sich das Projekt auch realisieren lässt. Um dies zu prüfen, hat er die Programmierschnittstelle SensorThings API verwendet. Dabei handelt es sich um ein Open-Source-Framework, das durch das Open Geospatial Consortium (OGC) entwickelt wurde. Erst durch den Einsatz der Programmierschnittstelle (API, Application Programming Interface) wurde eine Darstellung des zeitlichen Verlaufs mit geografischem Bezug möglich. Die Schnittstelle soll künftig auch in das Projekt API4INSPIRE aufgenommen werden, das Schnittstellen für die Richtlinie INSPIRE (INfrastructure for SPatial InfoRmation in the Europe Community) auflistet. INSPIRE ist ein Vorhaben für eine gemeinsame Geodateninfrastruktur in Europa.
Die Daten werden im Datenaustauschformat JSON vom Server abgerufen und können leicht in andere Anwendungen zur Analyse und Visualisierung integriert werden, was bereits von anderen Web-Entwicklern und Forschern genutzt wird. Die Anwendung wurde auch auf der Website des OGC veröffentlicht. Der Einsatz einer standardisierten Schnittstelle reduziert den Entwicklungsaufwand von zugreifenden Apps und ermöglicht, die Daten in allen europäischen Ländern über die gleiche Programmierschnittstelle abzurufen.
Was leisten die zusammengeführten Daten?
Durch die Computer-Anwendung ist es möglich, den zeitlichen Verlauf der Infektionen und Todesfälle insbesondere auch in Deutschland in den einzelnen Bundesländern zu verfolgen. Durch die Daten können zudem Voraussagen über die künftige Entwicklung gemacht werden und sie ermöglichen zum Beispiel präventives Handeln.
Der Vorteil und Nutzen von Santhanavanichs neuer digitaler Echtzeitdarstellung: Sie zeigt die Statistik der neuen Corona-Infektionsfälle in jedem Bundesland in Deutschland und jeder Landeshauptstadt sowie weltweit in allen Ländern mit ihren Hauptstädten. „Die Übersicht ist auch dazu geeignet, schnell die Fälle miteinander zu vergleichen. Besonders nützlich finde ich die Möglichkeit, den historischen, also zeitlichen Verlauf der Verbreitung der Fälle zu verfolgen. Diese Statistik ist meiner Ansicht nach wirklich bedeutsam, um die wirkliche Situation zu zeigen und zu beurteilen“, so der Geoinformatiker.
Was aber leider auch die besten technischen Standards zur Integration von Daten aus unterschiedlichsten Quellen nicht ausgleichen können, sind unbekannte Variablen bei der Erfassung der Daten selbst. Wenn es jetzt doch noch weltweit standardisierte Erfassungen der Fallzahlen gäbe …
Dr. Anja Ernst, Joe Santhanavanich
Weitere Informationen:
COVID-19 Dashboard www.covid19dashboard.org
Demonstration des Dashboards www.youtube.com/watch?v=IXg1nZBEWFQ
Über den Autor:
Joe Santhanavanich forscht an der HFT Stuttgart im Bereich „Technologien für räumliche Daten und Simulationen“. Dabei arbeitet er daran, wie geografische, räumliche Daten mit Ortsbezug mit anderen Daten verarbeitet und visuell dargestellt werden können. Die Übersicht hatte er im März 2020 zunächst privat für sich entwickelt, um seine besorgte Familie in Thailand zu beruhigen.