Die Corona-Pandemie hat das schulische Leben komplett verändert. Nicht zuletzt fallen so zurzeit auch alle außerschulischen Veranstaltungen wie Klassenfahrten aus. | Ein Interview mit Carsten Herold.
Carsten Herold ist Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands führender Schulfahrtenveranstalter e. V. und Geschäftsführer von Herolé Klassenfahrten
Wie ist die aktuelle Situation für die Anbieter von Klassenfahrten und Betreiber außerschulischer Lernorte?
In einem Wort: dramatisch. Seit März wurden deutschlandweit über 50.000 Klassenfahrten storniert. Täglich werden es mehr. Die Corona-Krise trifft uns hart. Wir gingen als Erste in die Krise und werden wohl auch als Letzte aus ihr herausgehen. In zwei Bundesländern wurde schon veranlasst, dass Klassenfahrten sogar bis zu den Herbstferien 2020 abgesagt werden. Es ist völlig unklar, ob in diesem Jahr überhaupt noch Klassenfahrten stattfinden.
Zudem werden in fast allen Bundesländern keine Neubuchungen genehmigt. Da geht es noch nicht mal nur um den Herbst 2020, sondern auch schon um das Jahr 2021. Wir können nichts planen und wissen nicht, wie es weitergeht. Das hat verheerende Folgen für die gesamte Branche. Ich vertrete als Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands führender Schulfahrtenveranstalter – wie der Name sagt – die großen, spezialisierten Reiseveranstalter. Aber die Krise betrifft doch die gesamte Kette touristischer Leistungen: Unterkünfte, Busunternehmen, Programmanbieter wie Stadtführer bis hin zu Museen. Nach Befragungen dieser Branchen ergibt sich ein beängstigendes Bild, über die Hälfte aller Unternehmen schätzen ihre Situation als existenzbedrohend ein.
Gibt es staatliche Hilfen und Unterstützung für Ihren Bereich?
Zunächst möchte ich dazu das Positive erwähnen. Das Kurzarbeitergeld nutzen glaube ich alle Unternehmen in unserem Bereich. Zudem ist die Übernahme der Stornierungskosten durch die Bundesländer ein sehr wichtiger, großer Baustein, um das Überleben aller zu sichern. Kredite helfen nicht, da niemand weiß, ob er sie zurückzahlen kann. Es gibt je nach Bundesland hier und da nicht rückzahlbare Soforthilfen. Das ist eine lokale Glückslotterie: Während Unternehmen in Bayern oder Brandenburg bis zu 60.000 Euro bekommen, gibt es für Unternehmen in Sachsen nichts.
Eine Hilfe für die Liquidität wären auch Gutscheine gewesen, aber diese Lösung wurde mit der EU verworfen bzw. als freiwillig quasi ad absurdum geführt. Wir vom Bundesverband haben daher eine Initiative mit über 150 Organisationen, Verbänden und Unternehmen gestartet und ganz konkrete Forderungen aufgestellt. Diese haben wir in einer Petition zusammengefasst. So kann jeder Einzelne etwas dafür tun, dass Klassenfahrten auch in Zukunft möglich und vor allem auch bezahlbar sind. Dafür möchte ich jede Leserin und jeden Leser hier um ihre bzw. seine Stimme bitten.
Petition
„Für eine weltoffene Zukunft: Jugendreisen und Klassenfahrten retten!“
http://chng.it/GMqP4pDD58
Warum werden aktuell keine Buchungen von Klassenfahrten durch die Bundesländer genehmigt?
Wir können dafür zwei Gründe ausmachen: Erstens wollen die Bundesländer das Risiko für die Übernahme weiterer Stornierungskosten nicht eingehen. Hierzu ist zu sagen, dass alle Bundesländer die Stornierungskosten für Klassenfahrten übernehmen. Die Kosten sind immens und sicher belastet dies deren Etat über Gebühr. Weitere solche Kosten sind kaum im neuen Haushalt unterzubekommen. Aber: Es gibt gute Lösungen, die unsere Mitglieder im Bundesverband anbieten. Das reicht von Versicherungslösungen bis hin zu Pauschalen, um dieses Risiko zu bannen. Und auch wenn das Risiko nicht vollkommen auszuschließen ist, so ist es mit geringen Beträgen kalkulierbar. Das ist in jedem Fall aus unserer Sicht kein Grund, eine Neubuchung zu verhindern. Und es darf kein Freibrief sein, das bestehende, sehr verbraucherfreundliche Reiserecht auszuhöhlen.
Der zweite Grund ist das Nachholen des verpassten Unterrichtsstoffes. Dies ist vollkommen verständlich, aber ich denke, hier kann nach intensiven Gesprächen mit Lehrerinnen und Lehrern sowie Psychologinnen und Psychologen niemand zu einem anderen Schluss kommen, als dass wir nicht sofort zum Normalzustand übergehen können. Diese Krise betrifft uns alle: Verunsicherung, Krankheit, Tod wirken auf alle, gerade auf die Kinder und Jugendlichen. Sie haben ihre Mitschülerinnen und Mitschüler sowie Lehrerinnen und Lehrer monatelang nicht gesehen. Soziale Eckpfeiler in ihrem Universum sind weggebrochen. Wir müssen damit arbeiten.
Welche pädagogische Rolle könnten Klassenfahrten nach der Corona-Pandemie spielen?
Klassenfahrten wären ein sehr gutes Mittel, um zunächst einmal wieder die Gemeinschaft zu stärken. Ein soziales Miteinander nach Zeiten des Social Distancing. Mir geht es dabei nicht darum zu sagen, dass eine Klassenfahrt für die Aufarbeitung dessen der einzige Weg ist. Aber es ist ein Weg und ein guter. Soziale Bindung wird aufgebaut, die Bindungen werden gestärkt – und da reicht eine kleine Fahrt, die auch nicht weit weg gehen muss. Ich kann nur an alle Bildungsministerien appellieren, hier Klarheit zu schaffen, Neubuchungen von mir aus mit Auflagen wieder zuzulassen. Wir vom Bundesverband führender Schulfahrtenveranstalter stehen für Gespräche gern bereit.
Können Sie schon sagen, ab wann Schülerinnen und Schüler wieder die Chance auf das Erlebnis einer Klassenfahrt haben werden, natürlich vorausgesetzt, die Infektionszahlen bleiben in Deutschland weiterhin auf dem aktuell niedrigen Niveau?
Uns wurde auf Nachfrage an die Bundesländer zentral von der Kultusministerkonferenz geantwortet, dass Reiseplanungen für 2021 und die folgenden Jahre wieder in der üblichen Form durchgeführt werden sollen und zur bewährten Zusammenarbeit zurückgekehrt wird. Dies stimmt uns zumindest hoffnungsfroh, dass auch die Bundesländer dies nun endgültig regeln und Buchungen wieder zulassen. Und zwar ab sofort!
Das Telefoninterview führte Jörg Schmidt.
Weitere Informationen:
Bundesverband führender Schulfahrtenveranstalter e. V.
www.schulfahrtenverband.de