Wer gerade vor der Berufswahl steht, hat es nicht leicht, denn Arbeitsmarktprognosen variieren stark: Einerseits werden künftig viele Arbeiten von Robotern übernommen, andererseits sollen immer neue Berufe entstehen, die wir heute noch gar nicht kennen. Woran können sich Schülerinnen und Schüler orientieren? Und wie können Lehrerinnenund Lehrer sie dabei unterstützen?
Die in der Studienberatung am häufigsten gestellte Frage lautet: „In welchem Beruf kann ich denn mit diesem Studiengang arbeiten?“ Baris Ünal, Leiter der Studienberatung an der TU Berlin, antwortet immer wieder geduldig: „Das können wir heute nicht sagen. Wer vor zehn Jahren Informatik studiert hat, der wusste noch nicht, dass er später vielleicht mal Apps programmiert – denn die gab es damals noch nicht.“ Gleiches gilt natürlich auch für MINT-Ausbildungsberufe. Wohin sich alles entwickeln wird, weiß einfach niemand.
Was wir aber nach Auswertung der Faktenlage Schülerinnen und Schülern auf jeden Fall raten können: Ausbildung oder Studium sind nur erste Schritte in eine Richtung – nicht mehr und nicht weniger. Und wir können ihnen ein wenig die Sorge nehmen, dass die Arbeit ausgeht.
Arbeitslosigkeit durch Automatisierung und KI?
Woher kommt das Gerücht von der Massenarbeitslosigkeit durch automatisierte Prozesse? Schließlich haben wir das in der industriellen Revolution schon mal erlebt: Da „vernichtete“ die Dampfmaschine auch viele Fließbandjobs, gleichzeitig schuf sie aber zahlreiche neue Berufe in Verwaltung und Logistik. Der Grund für das aktuelle Schreckensszenario ist eine Zahl: Die am meisten zitierte Studie von Frey und Osborne betrachtet 42 Prozent der Jobs als „gefährdet“. Das leuchtet ein, denn Routineaufgaben lassen sich leicht automatisieren, die Buchhaltung kann künftig eine clevere Software übernehmen. Der Wert „42 Prozent“ wurde von vielen Medien aufgegriffen und immer weiter verbreitet. Nicht aufgegriffen wurde dagegen die – zugegeben deutlich vagere – Bemerkung der beiden Autoren, dass sie darüber hinaus mit der Entstehung von noch mehr neuen Jobs rechnen. Da sie hierzu keine Zahl nennen, fällt diese Ergänzung meist unter den Tisch.
133 Millionen neue Jobs weltweit
Das Weltwirtschaftsforum wollte es im vergangenen Jahr genauer wissen und befragte 300 Lenker von global agierenden Unternehmen, mit welchen Veränderungen sie rechnen und planen. Fazit dieser Studie: Weltweit würden bis 2025 rund 75 Millionen Arbeitsstellen wegfallen und rund 133 Millionen Jobs neu entstehen. Nur: Welche Job sind das denn, die neu entstehen? Hier geben die Autoren zu bedenken, dass Angaben hierzu sehr spekulativ seien. „Es wird Jobs geben, die wir uns bisher noch gar nicht vorstellen können“, sagte etwa Co-Autor und Ökonom Till Leopold der Wochenzeitung Die Zeit. „Aber viele dieser Tätigkeiten dürften sich damit beschäftigen, neue Technologien einzuführen und zu kontrollieren.“ Studien zufolge hat zum Beispiel der gesamte Bereich der App-Entwicklung EU-weit bisher mehr als zwei Millionen Stellen gebracht. Bei allem Optimismus muss man aber bedenken, dass es arbeitslos gewordene Bürokräfte oder Bankangestellte wenig trösten dürfte, wenn an anderer Stelle zuhauf Software-Architekten, User-Experience-Designer oder App-Entwickler gesucht werden. Doch auch hier macht Till Leopold Mut: „Wenn man einmal hinter die Stellenbezeichnungen schaut und sich genauer ansieht, welche einzelnen Tätigkeiten die Beschäftigten ausführen, tun sich schnell ganze neue Einsatzfelder auf.“ So habe man mit einer anderen Studie herausgefunden, dass der durchschnittliche US-Arbeitnehmer mit seinen aktuellen Ressourcen sowie einer richtigen Weiterbildung in 48 mögliche andere Jobs wechseln könne.
Mit anderen Worten: Wer sich und seine Kompetenzen gut kennt, sich proaktiv auf die Suche macht und immer wiederNeues lernt, bleibt gut vermittelbar auf dem Arbeitsmarkt. Auch wenn wir heute gar nicht so genau wissen, wohin sich die Berufe konkret entwickeln werden.
MINT-Berufe mit Zukunft:
Roboter-Programmier*in: In der Fabrik von morgen sind alle Maschinen miteinander und mit dem Internet vernetzt, intelligente Roboter übernehmen Routineaufgaben, die ganze Fertigung wird automatisiert. Diese Anlagen müssen entsprechend eingestellt, überwacht und gewartet werden (kombiniert große Maschinen mit Programmierung).
UX-Designer*in: Die Abkürzung UX steht für „User Experience“ und bringt es auf den Punkt – es geht darum, Kunden über die richtigen Dienste noch zufriedener zu machen. UX-Designer entwickeln neue Apps, Webseiten, Online-Services oder Internet-of-Things-Anwendungen, die Nutzern das Leben erleichtern und damit deren Treue sichern (kombiniert Design und Technik).
E-Commerce-Manager*in: E-Commerce zählt zu den wachstumsstärksten Branchen, entsprechende Managerinnen und Manager zu den gefragtesten Berufen. Sie kümmern sich um gesetzliche Rahmenbedingungen von Onlineshops, die Auswahl und Einrichtung eines Shopsystems, die richtige Handelspositionierung etc. (kombiniert Wirtschaft und IT).
Software-Architekt*in: Statt Häusern bauen hier Informatikerinnen und Informatiker ganze IT-Infrastrukturen, die einen reibungslosen Austausch von Daten und Diensten zwischen vielen Beteiligten ermöglichen. Dabei verbinden die Software-Architektinnen und -Architekten sowohl verschiedene Unternehmensbereiche als auch Kunden und Zulieferer (kombiniert Struktur, Big Data und Programmierung).
Was bedeutet das für Schülerinnen und Schüler heute?
Jede Schülerin und jeder Schüler sollte für seine Berufswahl erst einmal herausfinden, welche Tätigkeiten und Themen sie bzw. ihn wirklich interessieren. Und die Schule sollte bereits vermitteln: MINT-Fächer sind für viele der neuen Jobs eine gute Basis! Fachkräfte in MINT-Berufen arbeiten häufiger in unbefristeten Arbeitsverhältnissen als der Bundesdurchschnitt. Dazu sind sie öfter in leitenden Funktionen zu finden und verdienen sehr gut. Weil sie ohnehin ständig technisch auf dem neuesten Stand sein müssen, ist für sie die Anforderung „lebenslanges Lernen“ keine besondere Herausforderung mehr
(Quelle: MINT-Frühjahrsreport 2019).
Systematische Berufswahl in fünf Schritten:
Sie wollen Ihre Klasse in ein oder zwei Unterrichtseinheiten mit einer systematischen Berufswahl vertraut machen?
So geht’s:
1. Persönlichkeit erfassen: Welche Stärken und Interessen machen mich aus?
2. Ziel definieren: Wie viel Abwechslung, Geld, Status etc. soll mein Beruf bringen?
3. Ideen entwickeln: Welche Berufe würden meine Stärken, aber auch meine Wünsche abdecken?
4. Testen: Stimmt meine Vorstellung vom Beruf mit der Realität überein (Interviews führen!)?
5. Transfer: Bewerben!
Ihre Schülerinnen und Schüler sind immer noch unsicher? Dieses Fünf-Schritte-Programm können sie beliebig oft wiederholen – und werden jedes Mal weiter kommen. Oder sie kommen zum ähnlich aufgebauten Fraunhofer Studienwahlkurs „Talent Take Off – Einsteigen“ für die Jahrgangsstufen 10–13, der zweimal im Jahr in Berlin stattfindet. Die nächsten Termine: 06.–11.04.2020 und 12.–17.10.2020. www.fraunhofer.de/einsteigen
Ines Bruckschen
Über die Autorin:
Ines Bruckschen ist Wissenschaftsjournalistin mit dem Schwerpunkt Berufs- und Studienorientierung. Sie veröffentlicht regelmäßig in verschiedenen Hochschulmagazinen, um die Entwicklung der Arbeitswelt und die damit verbundenen Chancen zu zeigen.
Weitere Informationen:
Der Job-Futuromat des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt u. a. an, welche Berufe zu wie viel Prozent von Robotern übernommen werden können: https://job-futuromat.iab.de
Inhaltlich und handwerklich toll gemachtes Workbook, um Menschen auf ihrer Suche nach dem richtigen Beruf zu begleiten (mit jeder Menge Methoden und Übungen): www.workliferomance.de/design-your-life-buch
Studie des Weltwirtschaftsforums: „The Future of Jobs Report 2018“: www.weforum.org/reports/the-future-of-jobs-report-2018