Plastik ist ein Material mit vielseitigen Einsatzmöglichkeiten und aus unserem Alltag kaum noch wegzudenken. Ebenso wenig ist aber zu übersehen, dass vor allem Wegwerfartikel Probleme machen, denn Plastikmüll findet sich nicht nur in Stadt und Land, sondern auch in Flüssen und Meeren. Bevor die Müllteile allmählich zerfallen oder sinken, können sie in den Ozeanen zirkulieren und dauerhaft riesige Plastikwirbel bilden. Es entsteht eine regelrechte Plastiksuppe im oberen Wasserbereich, in der sich spezialisierte Lebewesen ansiedeln. Sie sind hier Gefahren ausgesetzt, finden aber auch neuen Lebensraum. Mit einer schwimmenden Unterlage können gebietsfremde Arten in entfernte Meeresteile gelangen oder an fremden Küsten angespült werden. Die ökologischen Folgen einer solchen Einwanderung sind noch weitgehend unklar.
Ein Beitrag von Dr. Inge Kronberg
Jährlich landen nach Angaben des Umweltbundesamtes etwa 10 Millionen Tonnen Plastikmüll in den Weltmeeren; inzwischen hat sich eine Menge von 100 bis 150 Millionen Tonnen dort angesammelt. Es handelt sich um Kunststoffe vor allem aus Polyethylenterephthalat (PET für Trinkflaschen und Lebensmittelverpackungen) und Polystyrol (Handelsname Styropor) sowie um sogenannte Geisternetze aus Fischerei und Aquakultur. Meerestiere verfangen sich darin und verenden. Sie fressen Plastikteile mit oder anstelle ihrer Nahrung, diese füllen oder verstopfen den Darmkanal, haben aber keinen Nährwert und lassen Meerestiere bei vollem Magen verhungern. Anhaftende chemische Verbindungen
können in die Körperzellen gelangen und werden über die Nahrungskette weitergegeben. Das gibt schon seit Jahren Anlass zur Besorgnis. Eine weitere, bisher weniger beachtete, ökologische Wirkung von Plastik ist dessen Transport in den Ozeanen. Denn dieser ermöglicht die Migration und Ausbreitung der darauf und dazwischen lebenden Meeresorganismen an entlegene Küsten.
Das Neuston
Die Ozeanoberfläche liegt wie eine besonnte, wellige Haut zwischen Luft und Wasser. Sie verbindet die Lebenswelten aller Meerestiefen mit den Küstenregionen und deren Flussmündungen, Korallenriffen und Wattenmeeren. Seevögel und Fische suchen hier nach Nahrung, Meeressäuger wie die Wale schnappen hier nach Luft. Es gibt Lebewesen, die daran angepasst sind, direkt auf der Wasseroberfläche oder dicht darunter zu schwimmen. Segeleinrichtungen (Segelqualle) oder Schaum (Veilchenschnecke) verhindern das Absinken, Wind und Strömung sorgen für den Transport. In Abgrenzung vom Plankton bezeichnet man diese Lebensgemeinschaft als Neuston. Dazu gehören auch große schwimmende Tange, die in einem Strömungswirbel des Atlantiks die Sargassosee bilden. Viele Tierarten finden in diesem küstenfreien Lebensraum Nahrung, Deckung oder Brutplatz. Die Sargassosee ist das weitgehend unerforschte Laichgebiet des Europäischen Aales. Ansonsten ist eine feste natürliche Unterlage auf offener See Mangelware, sie besteht allenfalls kurzzeitig aus Astholz, losgerissenen Algen oder porösem Bimsstein. Darauf siedeln festsitzende Arten wie Seepocken, Moostierchen, Korallen, Miesmuscheln oder Austern. Sie sind spezialisiert auf das „Ocean Rafting“, das Wellenreiten auf einem natürlichen Surfbrett. Im Unterricht bietet sich ein Vergleich mit dem Neuston in Seen an, bestehend zum Beispiel aus Wasserläufern oder Mückenlarven.
Die Surfunterlage
Plastikmüll eignet sich ebenfalls als Surfunterlage. Während Styropor wegen kleiner Lufteinschlüsse an der Meeresoberfläche schwimmt, verdanken PET-Flaschen ihre Schwimmfähigkeit größeren luftgefüllten Kammern mit Kleinstaquarien im Inneren. Diese Unterlagen zerfallen wesentlich langsamer als natürliche Stoffe, werden also auch weiter und länger transportiert. Geisternetze sind (bestimmungsgemäß) besonders haltbar im Meerwasser und haben eine raue Oberfläche, die sich für die Anheftung gut eignet. Strömungen und Wind transportieren oberflächlichen Plastikmüll oft über 1.000 Kilometer weit. Durch gegenläufige Oberflächenströmungen in den Subtropen konzentrieren sich solche schwimmenden Substanzen in fünf riesigen ozeanischen Wirbeln. Dabei hat der Wirbel im Nordpazifik (zwischen Hawaii und Kalifornien) vermutlich die größte Konzentration von schwimmendem Plastik in allen Meeren, er bildet einen großen pazifischen Müllteppich. Bei starken Stürmen landet Plastikmüll dann in Mengen als Strandanwurf an den Küsten. Im Unterricht lässt sich die Wirbelbildung mit Styroporteilchen in einem Glas mit Wasser simulieren: Sobald man das Wasser kreisförmig rührt, sammeln sich die Teilchen im Bereich mit der geringsten Oberflächenbewegung.
Die Surfer
Ob Krabbenpanzer, Schiffsrumpf oder Plastikmüll: Festsitzende (sessile) Tiere nutzen solche Unterlagen zur indirekten Fortbewegung. Eine Seepocke gelangt per „Krabbenexpress“ bei Ebbe schnell wieder ins rettende Wasser, per PET-Flasche oder Schiff kann die Reise noch weiter gehen. Biofilme aus Algen und Bakterien sind die Ersten für diese als „Fouling“ bezeichnete Besiedlung, sie machen die Unterlage für weitere Arten besiedelbar und starten eine ökologische Abfolge von Lebensgemeinschaften (Sukzession). Wer sich schon einmal beim Surfen versucht hat, weiß, dass es gar nicht so einfach ist, sich auf einem glatten, schwimmenden Brett zu halten. Das gilt für tierische Surfer nicht anders. Unterlagen, die kentern und dadurch ihre Oberfläche abwechselnd Wasser und Luft aussetzen, stellen besondere Anforderungen an Atmung und Austrocknungsschutz. Anpassungsvorteile haben festsitzende Tiere, die sich wie Seepocken,
Korallen, Moostierchen, Austern oder Miesmuscheln auf der Unterlage dauerhaft festkleben können oder die sich wie Schnecken, Krebse oder Fische zeitweise anheften oder anklammern. Sogar Landtiere wie Insekten, Spinnen, Reptilien oder Säugetiere können so auf entlegene Inseln surfen. Eigentlich auf Meeresküsten angepasste Arten leben unter Umständen jahrelang auf offener See. Über die Surfdauer entscheidet ihre Fähigkeit, sich zu ernähren und zu vermehren, ohne die Unterlage zu verlassen. Von Vorteil ist also eine filtrierende oder weidende Ernährungsweise sowie eine ungeschlechtliche Vermehrung und eine direkte Entwicklung ohne planktonische Larven. Dann lässt es sich als Surfer lange aushalten. Die Neuankömmlinge im nordpazifischen Plastikwirbel haben sich nachweislich 37 wirbellose Küstenarten neu angesiedelt, die überwiegend aus dem Westpazifik stammen. Noch ist nicht klar, wie lange solche gemischten Gemeinschaften von Küstenarten und Neuston-Arten
bestehen bleiben und wie sie ökologisch zu bewerten sind. Die meisten Erkenntnisse über die Besiedlung von Plastikmüll stammen vom
Strandanwurf und betreffen größere festsitzende Tiere. Wer dagegen schon während der „Seefahrt“ den Müll begleitete, ist noch weitgehend unbekannt. Einen Hinweis geben allenfalls anhaftende Eier, wie die Eikapseln von Haien und Rochen. Der verheerende Tsunami von 2011 transportierte Hunderte japanische Küstenarten 6.000 Kilometer weit bis an die amerikanischen und hawaiischen Pazifikküsten. Im Winter 2013/2014 fanden sich nach stärkeren Stürmen mehrere Muschel und Schneckenarten im Strandanwurf der Britischen Inseln, die eigentlich in der Karibik zu Hause sind. Ob die Zuwanderer die Artenvielfalt angesichts des veränderten Klimas auffrischen oder ob sie mit heimischen Arten konkurrieren und vorhandene Lebensgemeinschaften zum Nachteil verändern, ist noch weitgehend unklar. Untersuchungen von neu eingebürgerten Arten an Land zeigen, dass von 1.000 neuen Arten eine Art invasiv wird, also Probleme macht.
Was tun?
Viele Jugendliche sind hoch motiviert, etwas zum Schutz der Umwelt zu tun, und können sich im Rahmen schulischer, regionaler und internationaler Projekte engagieren (s. Downloadkasten). Gut gemeinte „Ocean Cleanup“-Aktionen, bei denen der Plastikmüll aus den Ozeanen gefischt wird, führen aber zu einem Wertekonflikt: Mit dem Müll vernichtet man gleichzeitig die darin lebenden Organismen; der Nutzen dieser Aktion kann also geringer sein als der Schaden. Für so einen ökologischen Eingriff wäre eine Umweltverträglichkeitsprüfung angemessen, die
allerdings in internationalen Gewässern schwer zu verwirklichen ist. Sinnvoller ist es, zu verhindern, dass Müll überhaupt in die Meere gelangt, das heißt Plastik zu vermeiden, wiederzuverwenden, zu recyceln und zu beseitigen. Meeresschutz startet also schon zu Hause, an Land und in den Flüssen. Müllentsorgung im Rahmen des Schiffsverkehrs muss rechtlich unterbunden werden, der Strandanwurf sollte auf Neobionten kontrolliert werden (Monitoring). Im Rahmen des Unterrichts lassen sich weitere Möglichkeiten recherchieren, diskutieren und abwägen.
Eine Linksammlung mit Infos für den Unterricht sowie Aktionen und Initiativen finden Sie hier:
Dr. Inge Kronberg
Dr. Inge Kronberg ist promovierte Biologin, Fachautorin und Wissenschaftsjournalistin. Sie schreibt in Lehrbüchern und Fachzeitschriften über aktuelle Themen aus der Ökologie, Genetik und Evolutionsbiologie. Im Schulbereich ist sie als Autorin von Natura Oberstufe, Markl Biologie und verschiedenen Unterrichtsheften tätig.