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Die Schwerkraftfalle in der Milchstraße – erster Blick auf den Schatten unseres Schwarzen Lochs

Die Zentren fast aller Galaxien beherbergen ein finsteres Herz: ein supermassereiches Schwarzes Loch mit der Masse zwischen einer Million und 100 Milliarden Sonnen. Das gilt auch für die Milchstraße. Die Schwerkraftfalle in ihrem Mittelpunkt heißt Sagittarius A*, benannt nach der gleichnamigen Radioquelle im Sternbild Schütze, gut 26.000 Lichtjahre entfernt. Das Schwarze Loch hat vier Millionen Sonnenmassen und wurde nun erstmals so direkt abgebildet, wie das beim prinzipiell Unsichtbaren möglich ist: als dunkler Schatten auf dem leuchtenden Gas und Plasma in der unmittelbaren Umgebung.

Ein Beitrag von Rüdiger  Vaas 

Dass sich ein solcher Schatten im Prinzip mit weltweit verteilten und als Interferometer verbundenen Radioteleskopen messen lässt, wurde um das Jahr 2000 berechnet. Daraufhin wurde in jahrelanger Arbeit das Event Horizon Telescope (EHT) konzipiert. Dieser weltumspannende Ver-bund von acht Radioobservatorien, jeweils paarweise zusammengeschaltet, arbeitet wie eine erdgroße Antenne. Das EHT-Team umfasst inzwischen mehr als 300 Personen aus 20 Ländern.

Unmengen an Daten wurden ausgewertet

Fünf Tage Anfang April 2017 hat das EHT Sagittarius  A* bei 1,3  Millimeter Wellen-länge ins Visier genommen. An denselben Tagen wurde auch immer wieder das Zentrum der Aktiven Galaxie M87 im Stern-bild Jungfrau observiert. Sie ist rund 55 Millionen Lichtjahre entfernt und beherbergt ein supermassereiches Schwarzes Loch, das so schwer ist wie circa 6,5 Milliarden Sonnen. Da Sagittarius A* etwa 1.500-mal kleiner, aber auch 2.000-mal weiter entfernt ist als M87*, erscheinen die beiden Objekte von uns aus betrachtet ähnlich groß. Allerdings ist die Krümmung der Raumzeit am Rand von Sagittarius A* eine Million Mal so stark wie bei M87*. Es wurden rund 3,5 Petabyte an Daten generiert, die auf Festplatten gesammelt zur Auswertung ans Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn und ans Haystack Observatory des Massachusetts Institute of Technology in Westford geschickt wurden. Hätte man die Datenmassen auf Papier ausgedruckt, würde der Stapel bis zum Mond reichen.

Die zentralen Regionen der Milchstraße (rechts) und der Aktiven Galaxie M87 (links) im Vergleich:  Zur Veranschaulichung der Größenverhältnisse sind im jeweils gleichen Maßstab die Umlaufbahnen von Merkur und Pluto eingezeichnet sowie die gegenwärtige Position der Raumsonde Voyager 1  (23,4 Milliarden Kilometer von der Sonne entfernt); die breiten Kreise markieren die Ereignishorizonte der supermassereichen Schwarzen Löcher M87* und Sagittarius A*, die kleiner sind als ihre Schatten.

Den Anfang machten Bilder von M87*

Nach langwierigen Auswertungen veröffentlichte das EHT-Team am 10. April 2019 Bilder des Schattens von M87* in dem leuchtenden Ring. Die Datenanalyse von Sagittarius A* dauerte länger als bei M87* und war noch aufwendiger, weil sie durch das viele turbulente inter-stellare Gas und Plasma im Vorder-grund erschwert wurde. Außerdem

ist das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße viel leichter. Daher rotiert das beinahe lichtschnelle Gas in einer wesentlich kürzeren Zeit um den Schwerkraftschlund – nicht innerhalb von Tagen, sondern innerhalb von etwa 30 Minuten. Das sorgt für eine zusätzliche Unschärfe. Es wurden viele Millionen synthetische Bilder unter verschiedenen Bedingungen simuliert und mit den Mess-daten verglichen, um eine bestmögliche Übereinstimmung zu erzielen.

Es sieht unscharf aus, ist aber eines der schärfsten Bilder in der Astronomie überhaupt: eine im Computer rekonstruierte Abbildung der unmittelbaren Umgebung von Sagittarius A* im galaktischen Zentrum der Milchstraße, aufgenommen vom Event Horizon Telescope

Leuchtender Ring im Zentrum der Milchstraße

Am 12. Mai 2022 stellte das EHT-Team die Ergebnisse von Sagittarius A* zeitgleich weltweit auf sieben Pressekonferenzen vor sowie in sechs Artikeln in der Fachzeit-schrift Astrophysical Journal Letters.

Der helle Ring stammt von dünn verteiltem Plasma um das zentrale Schwarze Loch, das einen Schatten auf die leuchten-de Materie wirft (s. Abbildung). Der mittlere Durchmesser des leuchtenden Rings im Mittelpunkt der Milchstraße beträgt 51,8 plus/minus 2,3 Mikrobogensekunden – dieser Winkel ist so winzig wie ein Donut, den man von der Erde aus auf dem Mond messen würde. Die Breite des Rings gibt das EHT-Team mit 29,6 plus/minus 3,6 Mikro-bogensekunden an und den Durchmesser des Schattens im Zentrum mit 48,7 plus/minus 7,0 Mikrobogensekunden.

Während wir die Milchstraße in klaren Nächten problemlos mit bloßem Auge erkennen können, muss bei Sagittarius A* schon etwas mehr Aufwand betrieben werden

Schwarzes Loch ist vollkommen unsichtbar

Noch einmal: Dieser Schatten ist nicht das Schwarze Loch selbst. Dieses ist voll-kommen unsichtbar und kleiner. Sein Winkeldurchmesser hat von der Erde aus betrachtet nur etwa 20 Mikrobogensekunden. Der sogenannte Schwarzschild-Radius von Sagittarius A* beträgt gut 12 Millionen Kilometer, also etwa ein Fünftel des Ab-stands vom Merkur zur Sonne. Die EHT-Messungen passen sehr gut zu den astronomischen Messungen von Sagittarius A* im Bereich der Radio- und Infrarotstrahlung – insbesondere bei der Beobachtung von Sternen, die um das galaktische Zentrum der Milchstraße kreisen. Außerdem sind die EHT-Messungen von Sagittarius A* eine erneute Bestätigung der allgemeinen Relativitätstheorie – auf einer bislang unerforschten Größen- und Krümmungsskala, und das bereits mit einer Präzision von rund 10 Prozent.

Überraschenderweise rotiert Sagittarius A* nicht in der Ebene der galaktischen Scheibe, sondern beinahe senkrecht dazu. Es zeigt uns quasi einen Pol, und wir blicken fast „von oben“ auf die dünne, heiße Plasma- und Gasscheibe, die sich um das Schwerkraftzentrum dreht.

Literatur-Tipp

Rüdiger Vaas: Tunnel durch Raum und Zeit. Von Einstein zu Hawking: Schwarze Löcher, Zeitreisen und Überlicht­geschwindigkeit.

Kosmos, 416 S., 16,99 Euro, 2012

Rüdiger Vaas

Rüdiger Vaas ist Astronomie­ und Physik Redakteur beim Monatsmagazin bild der Wissenschaft und Autor von 14 Büchern,  zuletzt „Einfach Hawking!“ (Kosmos, 2021).

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