Skip to content

KI-Paartherapie mit Neandertaler

Kolumne von Tobias Beck

Wenn sich so viele inzwischen von ChatGPT und anderen KI-Chatbots helfen lassen, warum sollten wir das nicht alle tun? Schüler:innen bei den Hausaufgaben? Lehrer:innen bei der Erstellung von Klassenarbeiten? Autor:innen beim Schreiben von Texten? Passend zu diesem Gedanken hat die Wochenzeitung Zeit im Januar einen vermeintlich tagesaktuellen KI-Chatbot veröffentlicht, dessen Infos nicht Jahre alt sind, sondern der die aktuellen Archive durchforstet, um Antworten zu formulieren. Für eine Kolumne, die sich um Wichtiges, Denkwürdiges und Spannendes aus Wissenschaft und Forschung dreht, könnte das eine echte Hilfe sein, oder? Daher jetzt ein exklusiver Testbericht des neuen Sprachmodells:

„Hey Sie oder du, was war eigentlich wichtig in der Wissenschaft in den letzten Wochen?“

Das Rädchen mit dem Logo rotiert für ein paar Sekunden, bevor die ernüchternde Antwort erscheint: „Ich habe keine tagesaktuellen Informationen zu dieser Frage.“ Aha. Fast entschuldigend fügt die KI noch an, dass wissenschaftliche Erkenntnisse aber immer wichtiger würden, insbesondere zur Klimakrise und zur quantengestützten Computerzukunft, und dass das Vertrauen in Wissenschaftler:innen in der Pandemie generell gelitten habe. Das war’s. Schöne Hilfe.

„Aber gab es denn wenigstens etwas Lustiges?“

Wieder dreht sich das Rädchen – gefühlt grübelnder als zuvor –, um dann triumphierend den Blick auf die Antwort freizugeben: „Ja, es gab etwas Lustiges.“ Franz Kafka. Er habe beim Vorlesen seiner Texte Lachanfälle gehabt. Die KI ergänzt, dass Kafkas Lachen die Ausweglosigkeit von Situationen und Protagonist:innen gefeiert habe. Wahrscheinlich wühlt die Beschäftigung mit Kafkas Lachen die arme KI jetzt jedoch auf. Denn auf die Anmerkungen, dass Kafka recht wenig mit Wissenschaft zu tun habe, Kafka-Erinnerungen an die Schulzeit bei den Wenigsten lustig waren und es unklar ist, was mit der Antwort gemeint sei, wiederholt der Chatbot seine Kafka-Story beharrlich und lässt sich auch nicht mehr auf die Frage ein, ob es denn Wichtiges aus der Forschung zu berichten gäbe. Nein, nichts gefunden.

„Und hat dich denn etwas beeindruckt?“

Das Rädchen dreht sich nun scheinbar noch langsamer und endloser. Und dann kommt die Antwort so unvermittelt und unerwartet wie ein Meteorit auf die Erde: „Ja, als Paartherapeutin wurde ich von den Büchern Das Ich im Du und Unzertrennlich: Über den Tod und das Leben beeindruckt.“ Diese Bücher seien, so schreibt die KI, nachhaltig berührend, weil sie verdeutlichen würden, wie wichtig es sei, realistische Vorstellungen von Beziehungen zu haben. Man solle bitte nicht erwarten, dass alle Bedürfnisse in einer Beziehung erfüllt würden. 

Vermutlich wusste bis zu diesem Zeitpunkt noch niemand, was eine KI so macht, wenn sie keine Fragen beantwortet. Paartherapeutin! Das ist echt eine Neuigkeit, die zeigt: Offenbar beschäftigt sich eine KI intensiv mit Beziehungen zu anderen. Dass sie so ganz direkt und ohne Umschweife zu erkennen gibt, dass man von der Beziehung zu ihr bitte nicht zu viel erwarten könne, zeugt von einer Ehrlichkeit, die womöglich Vorbild für eine neue politische Debattenkultur werden kann. Freilich, was das Wichtigste war in der Wissenschaft, weiß man jetzt immer noch nicht. Vielleicht waren es drei Studien in der Fachzeitschrift Nature über den Ursprung der Menschheit. Neue Funde aus Höhlen in Deutschland und Frankreich lassen vermuten, dass der damals neue Homo sapiens und der alte Neandertaler 10.000 Jahre lang koexistierten, bevor der Letztere ausstarb. 

Auch wenn es der erste Test nicht unbedingt vermuten lässt: Womöglich steht diese Phase dem Homo sapiens mit künstlichen Intelligenzen nun auch bevor.

Beitrag teilen:

Facebook
Twitter
LinkedIn
Pinterest
XING
WhatsApp
Email

Ähnliche Beiträge

Header_MZ Blogbeitrag_04-2023 (18)
11. Juni, 2024
Wenn sich so viele inzwischen von ChatGPT und anderen KI-Chatbots helfen lassen, warum sollten wir das nicht alle tun? Schüler:innen bei den Hausaufgaben? Lehrer:innen bei der Erstellung von Klassenarbeiten? Autor:innen beim Schreiben von Texten?
Header_MZ Blogbeitrag_04-2023 (3)
20. Dezember, 2023
Finden wir nicht alle, dass es endlich mal wieder Zeit wird für gute Nachrichten? Für ein bisschen Lachen? Oder gar für Freude? Wo man hinschaut: Schrecken, Krise, Dauergrau. Kein Wunder, was das Hans-Bredow-Institut kürzlich herausgefunden hat: Jeder zehnte Erwachsene vermeidet Nachrichten aktiv, und fast zwei Drittel (!) flüchten gerne manchmal davor.
Header_Entdeckt_02-2023 (7)
24. Oktober, 2023
Was haben wir alle wieder gefunden im Sommer – Steine, Muscheln, Wurzeln oder Skurrilitäten. Der Sommer ist die große Pause im Jahr, genug Zeit also für Fundstücke, an denen man im Alltag womöglich vorbeigehastet wäre. Auch in der Wissenschaft haben in den letzten Wochen viele Findige Erkenntnisse und Dinge hervorgebracht, die vor Vielfalt schillern.
MZ-02-23_Beitragsbild
23. Juni, 2023
Für alle, die sich ums Klima sorgen, sind die Bilder von den russischen Gasfeldern und Raffinerien nur schwer zu ertragen. Dort verbrennt Russland Unmengen des Gases, das es nicht mehr verkaufen kann. Nach Schätzungen des Branchendienstes Rystad Energy vom Herbst sind es mehrere Millionen Kubikmeter im Wert von mehr als 10 Millionen Euro täglich.
MZ-02-23_Beitragsbild (3)
13. Juni, 2023
Nichts ist älter als die Zeitung von gestern“ ist ein Grundsatz des Journalismus, der immer wieder als Argument dafür herhalten muss, warum über nicht Aktuelles auch nicht berichtet wird. So gesehen ist diese Becks Ecke über etwas, das längst war, eigentlich ein journalistisches No-Go. Am 22. März, also längst vorbei, war Weltwassertag – wie jedes Jahr im Frühling.