Eine Kolumne von Tobias Beck
„Nichts ist älter als die Zeitung von gestern“ ist ein Grundsatz des Journalismus, der immer wieder als Argument dafür herhalten muss, warum über nicht Aktuelles auch nicht berichtet wird. So gesehen ist diese Becks Ecke über etwas, das längst war, eigentlich ein journalistisches No-Go. Am 22. März, also längst vorbei, war Weltwassertag – wie jedes Jahr im Frühling. Wer das damals mitbekam, hat es bis jetzt vermutlich schon wieder vergessen. Allerdings ist „Wasser für die Welt“ ein Thema, das auch abseits des Aktuellen in die Schlagzeilen gehört. Denn die Lage ist dramatisch: Jeder vierte Mensch auf diesem Planeten, schätzt die UNO in ihrem zum Weltwassertag veröffentlichten Bericht, hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Und 10 Prozent der Menschen leben inzwischen in Ländern, in denen die Versorgung mit Wasser ein kritisches oder sehr kritisches Maß erreicht hat. Tendenz: steigend. Wer die Bilder aus Italien und Frankreich derzeit sieht, dem wird klar, dass es kein entferntes Problem ist, das da auf uns zurollt. In Frankreich prügeln sich Demonstrant*innen mit Polizist*innen an Wasserspeichern und im Gardasee war an Ostern wegen des tiefen Wasserpegels die beliebte Insel San Biagio zu Fuß erreichbar. Die Weltwasserkonferenz in New York behandelte entsprechend düstere Themen: Wasserknappheit, verschmutzte Kreisläufe, trockene Flüsse – und ein trotz der vielen Warnungen kontinuierlich steigender Trinkwasserverbrauch. Wie uneins und zerstritten die Welt beim Thema Wasser ist, zeigte sich daran, dass bei der Konferenz keine Beschlüsse gefasst, sondern nur Selbstverpflichtungen der Staaten vorgestellt wurden. 600 sind es schließlich geworden, auch Deutschland hat nun einen nationalen Wasserplan. Überprüft werden sollen die Ideen der Länder wieder in zwei Jahren, rechtlich bindend sind sie nicht. Kein Wunder, dass sich einige bei der Wasser- an die Klimapolitik erinnert fühlen: Auch da gab’s das Prinzip Freiwilligkeit jahrzehntelang.
Käfer trinken mit dem Po
Zunächst zum Schmunzeln und dann zum Nachdenken kam pünktlich zum Weltwassertag eine Meldung aus der Wissenschaft: In den ehrwürdigen „Proceedings of the National Academy of Sciences“ hatte ein Forschungsteam aus Dänemark und Großbritannien eine Studie veröffentlicht, die sich publikumswirksam unter der Überschrift „Käfer trinken mit dem Po“ zusammenfassen lässt. Untersucht hatten die Biolog*innen den rotbraunen Reismehlkäfer, der zu den am weitesten verbreiteten Schädlingen zählt, weil Heerscharen von ihm jedes Jahr große Mengen an gelagertem Getreide und Reis befallen und ungenießbar machen. Den Winzling zeichnet aus, dass er es schafft, selbst in trockensten Situationen zu überleben. Dabei, so die neue Erkenntnis, hilft ihm eine spezielle Anatomie in seinem Hinterteil, mit der er seinen Kot so stark trocknet, dass er Flüssigkeit selbst aus Mehl ziehen kann. Mithilfe einer speziellen Membran, in der sich blasenartige Zellen befinden, kann der Käfer eine so hohe Salzkonzentration in seinen Nieren erzeugen, dass diese wie eine Pumpe wirkt und aus dem Kot noch das letzte Tröpfchen Wasser saugt. Auf diese Weise recyceln die Käfer alles Wasser in ihrem Körper stets aufs Neue und verwenden es wieder. Und selbst aus der Luft können die Tiere trinken: Dazu öffnen sie ihren Darm und saugen Feuchtigkeit nach dem gleichen Prinzip in ihren Körper. Als Idee gegen den Wassermangel bei uns wollen die Forscher*innen ihre Arbeit nicht verstanden wissen. Weil die Fähigkeit in der Tierwelt so einzigartig ist, wollen sie vielmehr eine spezifische Methode zur Bekämpfung der Käferplage daraus entwickeln. Lernen von den Vorgängen im Käferpopo kann die Menschheit aber schon ein paar Dinge: Dass Wasser zu sparen Überleben sichern kann zum Beispiel. Dass gute, neue Ideen zum Recycling auch beim Wasser existieren und erforscht gehören. Und dass das Thema Wasser insgesamt mehr Aufmerksamkeit verdient. Rotbraune Mehlkäfer kümmern sich selbst dann noch darum, wenn es ihnen – im Wortsinn – am Hintern vorbeigeht.

Tobias Beck
Tobias Beck geht als Lehrer, Wissenschaftsjournalist und unerschrockener Freizeitwissenschaftler für den MINT Zirkel schon seit Längerem Alltagsmythen auf den Grund. Für seine Kolumne schaut er sich regelmäßig auf dem Jahrmarkt der wissenschaftlichen Durchbrüche um und stößt dabei mal auf Sonderbares, mal auf Skurriles – oder auch auf schlichtweg Erstaunliches.