Jeanny Jaline Jerschow-Schaumann, 27 Jahre alt, liest die Zutatenlisten von Lebensmitteln nicht nur: Sie versteht sie auch. Als Lebensmitteltechnikerin erforscht sie Möglichkeiten, um die Haltbarkeit von Hühnerbrust, Joghurt und Co mithilfe antimikrobieller Peptide zu verlängern. Dabei setzt sie große Hoffnung auf die Larven der Schwarzen Soldatenfliege …
Ein Beitrag von Monika Goetsch
Viele kostbare Lebens- und Futtermittel landen im Abfall, weil sie nicht mehr verwendet werden können: Die Haltbarkeit ist einfach zu kurz. Zu Hause kann man entscheiden, etwas trotzdem zu verzehren. Geschäfte dagegen werfen weg, was abgelaufen ist.
Wie gut wäre es da, man könnte die Haltbarkeit der Lebensmittel verlängern! Durch verbesserte Verpackungen zum Beispiel. Oder indem man den Lebensmitteln Stoffe zusetzt, die sie vor Verfall schützen. An Letzteren forscht Jeanny Jaline Jerschow-Schaumann am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME in Gießen. Sie stellt sich die Frage, womit man die Lebensdauer von Lebensmitteln, wie eines Joghurts oder einer Hühnerbrust, positiv verändern könnte.
Wer alles frisst, braucht Abwehrkräfte
Eine praktikable Lösung hat sie in der Natur gefunden. Genauer gesagt: bei der Schwarzen Soldatenfliege. Weil die einfach alles frisst, kommt sie mit sehr vielen Bakterien in Berührung und braucht deswegen entsprechende Abwehrmechanismen, um sich zu schützen. Darum entwickelt sie bereits im Larvenstadium als Teil des angeborenen Immunsystems antimikrobielle Peptide.
„Viele Insekten bilden solche Peptide“, sagt Jeanny. „Da steckt großes Potenzial drin!“ Sie erforscht, was passiert, wenn man die Peptide extrahiert und Lebensmitteln zusetzt. Dazu züchtet sie in einer dunklen, 27 Grad Celsius warmen Klimakammer im Institut rund 10.000 Larven pro Monat. Gefüttert werden die Larven mit Apfeltrester oder Biertreber – Abfallprodukten der Lebensmittelindustrie.

Frosten, homogenisieren, trocknen
Ekel empfindet Jeanny nicht, wenn sie das Labor betritt. Die „kleinen Minilarven“ findet sie sogar richtig süß. Dunkeln die ersten Larven einer Generation ein, weiß Jeanny, dass das Präpuppenstadium erreicht und die Zeit der „Ernte“ gekommen ist. Sie entfernt Futter und Ausscheidungen und friert die anderthalb Zentimeter großen Larven ein – der schonendste Weg, sie zu ernten. Anschließend werden sie homogenisiert und getrocknet.
Noch wissen die Forschenden zwar nicht, in welcher Konzentration die antimikrobiellen Peptide in welchem Lebensmittel wirken. Aber die Datenlage sei vielversprechend, sagt Jeanny. Weil der Gedanke, Fliegenlarvenpulver mitzuessen, vermutlich nicht allen Verbraucher:innen gefällt, produziert sie die Peptide alternativ auch in E.coli-Bakterien oder Hefe. Ihre Hoffnung: „die Haltbarkeit mancher Lebensmittel um einzelne Tage, anderer um Wochen zu verlängern.“
Bis zur Marktreife stehen aber noch eine ganze Reihe von Tests an. Die Anforderungen an die Zusatzstoffe sind nämlich hoch. Sie sollten nicht nur wirken, ohne den Geschmack zu verändern, sondern auch essbar und unbedenklich sein. „Lebensmittel sind komplexe Zusammensetzungen“, sagt Jeanny. „Wir müssen noch viele Versuche machen, bevor die antimikrobiellen Peptide zugelassen und eingesetzt werden können.“
Was steckt eigentlich drin im Joghurt?
Für Lebensmittel interessiert sich Jeanny schon lange. Chemie hat ihr bereits in der Schule Spaß gemacht. „Aber ein pures Chemiestudium war mir zu breit gefasst. In der Lebensmittelchemie findet man einfach überall Anknüpfungspunkte.“ Sie mag es, die Zutatenliste eines Lebensmittels zu überprüfen und die chemischen Prozesse zu verstehen, die hinter jedem Lebensmittel stecken. „Das hat mich schon immer interessiert!“
In einer Kooperation der Justus-Liebig-Universität Gießen mit dem Fraunhofer IME-BR hat sie bereits ihre Masterarbeit geschrieben. Seit Anfang 2021 promoviert sie am Institut. Gefragt, worauf es bei ihrer Arbeit ankommt, sagt sie: „Man sollte Spaß haben an dem, was man tut, neugierig sein und immer noch ein bisschen mehr wissen wollen.“ Auch Frustrationstoleranz spiele in der Forschung eine große Rolle. „Es ist völlig normal, dass etwas nicht klappt.“
Spaß, Neugier, Teamarbeit
Am Fraunhofer IME gefällt ihr die Teamarbeit besonders gut: „Wir sind ein sehr junges Team mit durchweg motivierten Leuten, die mit ihrer Forschung einen Beitrag zur Wissenschaft leisten wollen. Weil die Arbeitsgruppen aus verschiedenen Blickwinkeln auf eine Problemstellung schauen, entsteht ein gutes Netzwerk an Leuten mit unterschiedlichem Wissen.“
Die besten Ideen kommen in der Freizeit
Nicht immer bleibt die Arbeit allerdings da, wo sie hingehört: im Institut. Manchmal ist Jeanny auch abends und am Wochenende noch ganz bei ihrer Promotion. Schließlich schaltet man nicht einfach ab, wenn einem etwas wichtig ist. Darum kann es sehr gut sein, dass ihr eine alles entscheidende Idee zu Hause kommt. Oder bei ihrem Lieblingssport: dem Tanzen. Dann unterbricht sie kurz, macht sich eine Notiz – und tanzt weiter …
Kurzinfo zum Beruf
Ausbildung: duale Ausbildung oder Studium im Bereich Lebensmitteltechnologie
Universitäten: Technische Universität Berlin, Hochschule Bremerhaven, Justus-Liebig-Universität Gießen u. a.
Studieninhalte: Herstellung, Verarbeitung und Verpackung von Lebensmittelprodukten, Einhaltung von Hygienevorschriften, Nachhaltigkeit, innovative Technologien; Inhalte aus Chemie, Biotechnologie, Mikrobiologie und Verfahrenstechnik
Berufsperspektiven: Forschung und Entwicklung, Produktion, Qualitätssicherung, Entwicklung neuer Produkte
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