Wie sind wir zu den Menschen geworden, die wir heute sind? Wer sind unsere Vorfahren und mit wem sind wir nah verwandt? Die Evolution des Menschen ist ein faszinierendes, aber oft abstraktes Thema im Biologieunterricht. „EvoChange“ macht die Humanevolution greifbar und interaktiv – und hilft Schüler:innen, die Entwicklung des Homo sapiens besser zu verstehen.
Ein Beitrag von Jun.-Prof. Dr. Nadine Tramowsky, Tom Jungbluth und Prof. Dr. Denis Messig
Das Concept-Comic „EvoChange“ ist ein innovatives Tool zur Vermittlung der Humanevolution im Biologieunterricht, das Schüler:innen der 7. und 8. Klasse dabei unterstützt, ihre Vorstellungen zur Humanevolution zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Dazu greift es verbreitete Alltagsvorstellungen auf und integriert gezielt adaptive Lernhilfen. Durch die Entwicklung interaktiver Szenarien fördert „EvoChange“ so ein tieferes und fachlich fundiertes Verständnis der Evolution des Menschen – anschaulich, multimedial und abwechslungsreich.
Ausgangspunkt für individualisierte Lernangebote
Die Vorstellungen der Schüler:innen sind entscheidend für ihr fachliches Verständnis. Alltagsvorstellungen sind vorwissenschaftliche Konzepte, die oft parallel zu fachlichen Vorstellungen existieren und deren Veränderung eine zentrale Lernaufgabe darstellt (Baalmann et al. 2004; Reinisch, Helbig und Krüger 2020).
Zur Zusammenführung wurde das Modell der Didaktischen Rekonstruktion verwendet (Gropengießer und Kattmann 2023), das die Diagnose von Lernpotenzialen, die fachliche Klärung des Lerngegenstands und die didaktische Gestaltung des Concept-Comics umfasst.

Die Diagnose von Alltagsvorstellungen ist im modernen naturwissenschaftlichen Unterricht wichtig, besonders für individualisierte Lernangebote. Konzeptveränderungen ergeben sich oft durch die Konfrontation individueller Vorstellungen mit Fachkonzepten. Lernumgebungen müssen Alltagsvorstellungen identifizieren und Lernprozesse darauf ausrichten.
Hier geht’s zu „EvoChange“
Das Concept-Comic „EvoChange“ ist das erste von vier E-Books. Es wurde auf empirischen und theoretischen Grundlagen entwickelt und wird praxisnah evaluiert. Durch verzweigte Lernwege berücksichtigt es individuelle Vorstellungen und wird der Heterogenität im Biologieunterricht gerecht. „EvoChange“ wurde in einem Kooperationsprojekt der Pädagogischen Hochschule Freiburg und der Otto-Friedrich-Universität Bamberg entwickelt. Hier gelangen Sie zum E-Book:
Welche Alltagsvorstellungen gibt es eigentlich?
Studien zeigen, dass Alltagsvorstellungen zur Evolution oft teleologisch und lamarckistisch geprägt sind (Baalmann et al. 2004). Diese Denkweisen erschweren das Verständnis evolutionärer Mechanismen, da sie nicht direkt erfahrbar sind. Dies gilt auch für die Humanevolution, bei der besonders drei Vorstellungen hervorstechen und das Verständnis der Schüler:innen prägen.
- Arten sind unveränderlich. Viele Lernende haben Schwierigkeiten zu erkennen, dass Arten sich verändern. Naturwissenschaftliche Denkweisen zur Phylogenese stehen häufig im Spannungsfeld mit religiösen Vorstellungen, was das Verständnis erschweren kann (Bishop und Anderson 1990).
- Evolution verläuft geradlinig. Lernende betrachten Evolution häufig als geradlinigen, zielgerichteten Prozess, in dem Individuen aktiv Einfluss nehmen können. Sie greifen auf teleologische, anthropomorphe und lamarckistische Auffassungen zur Artentwicklung zurück (Weitzel und Betzitza 2016; Eichhorn-Johannsen und Krüger 2005).
- Homo sapiens ist der Höhepunkt der Evolution. Die teleologische Vorstellung, dass der moderne Mensch der Höhepunkt der Evolution ist, erschwert das Verständnis der stammesgeschichtlichen Verwandtschaft. Viele Lernende wissen nicht, dass Menschen mit anderen Menschenaffen einen gemeinsamen Vorfahren haben (Kattmann und Groß 2007; Gresch und Martens 2019). Sie neigen dazu, dem Menschen eine höhere Position in der Evolution zuzuschreiben, selbst wenn fachliches Wissen vorhanden ist (Kattmann 2022).
Um ein fachlich adäquates Verständnis über die Entstehung des Homo sapiens zu erlangen, ist eine reflektierte Auseinandersetzung mit diesen Denkmustern notwendig. Lernumgebungen sollten so konzipiert sein, dass sie diese heterogenen Vorstellungen aufgreifen, thematisieren und reflektieren. Das Concept-Comic „EvoChange“ bietet die Möglichkeit, diese Vorstellungen in einem dynamischen Prozess gezielt in Lehr-Lernprozesse zu integrieren, um Konzeptrekonstruktion zu ermöglichen.
Vom Comic zum Concept-Comic

Comics sind ein etabliertes Format im naturwissenschaftlichen Unterricht. Sie kombinieren Text und Bild, lassen Schüler:innen in eine erzählerische Welt eintauchen (de Hosson et al. 2018) und schlagen eine Brücke zwischen narrativen und paradigmatischen Lernmodi (Avraamidou und Osborne 2009). Ihre Wirkung hängt stark von der Kohärenz der visuellen Darstellung, der narrativen Struktur und der fachlichen Korrektheit ab (Keller und Oechslin 2013).
Forschungen zeigen positive Effekte auf Sinnstiftung, Erinnerungsleistung, Motivation und Involviertheit, besonders bei Schüler:innen mit geringem Vorwissen (Avraamidou und Osborne 2009).
Concept-Comics sind eine neuartige Form von Comics, die gezielt Konzeptwechselprozesse unterstützen. Als Erweiterung haben Concept-Comics das Potenzial, Verstehensprozesse zu fördern, indem sie vorunterrichtliche Vorstellungen aufgreifen und Konflikte im naturwissenschaftlichen Diskurs thematisieren (vgl. Özdemir und Eryilmat 2019). Sie bieten eine vielversprechende Möglichkeit, komplexe wissenschaftliche Konzepte ansprechend und individualisiert zu vermitteln.
Konzeption und Umsetzung von „EvoChange“
Im Concept-Comic „EvoChange“ werden Schüler:innen während eines fiktiven Schulausflugs in den Zoo narrativ durch das Lernangebot geführt. Um die typischen Alltagsvorstellungen der Schüler:innen zur Abstammung des Menschen einzubinden, sind verschiedene didaktische Strategien nötig. Kattmann (2022) schlägt vier Strategien vor, die „EvoChange“ aufgreift.
1. Bewusstmachen: Alltagsvorstellungen werden identifiziert. à Schüler:innen erklären in „EvoChange“ die Ähnlichkeit zwischen Schimpansen und Menschen, und ein Diagnoseverfahren identifiziert ihre Alltagsvorstellungen (Keogh und Naylor 1999), die in vier Lernszenarien umgesetzt werden.
2. Umlernen: Schüler:innen werden verschiedenen Lernstrategien zur Förderung fachlich angemessener Vorstellungen zugeteilt:
- direkte Kontrastierung: Alltags- und Fachvorstellungen werden gegenübergestellt, um kognitive Konflikte zu erzeugen (Hewson und Hewson 1984; Lee und Byun 2012).
- Anknüpfung: Kommensurable Aspekte der Alltagsvorstellungen werden genutzt.
- Brückenbildung: Zur Vermeidung kognitiver Konflikte werden Analogien eingesetzt (Stavy 1991).
- Perspektivenwechsel: Alternative Sichtweisen werden reflektiert (Rowell und Dawson 1983; Visniadou 1994).
Passend zur Alltagsvorstellung werden in „EvoChange“ Erklärvideos und Konzeptwechseltexte angeboten, die durch dialogische Ansätze fachliche Erklärungen vermitteln.
3. Anwendung: Das erlernte Konzept wird auf neue Beispiele adaptiert. à Schüler:innen erweitern in „EvoChange“ einen Stammbaum mit bekannten Tierarten, was der Lehrkraft Feedback über den Lernfortschritt gibt.
4. Reflexion: Die anfänglichen Alltagsvorstellungen werden mit dem erlernten Konzept verglichen. à In „EvoChange“ vergleichen Schüler:innen ihre anfänglichen Vorstellungen mit den neuen Erkenntnissen, um den Lernprozess zu reflektieren
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