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Der Mond – Taktgeber unseres irdischen Lebens

Unser himmlischer Begleiter stabilisiert nicht nur die Erdachse, was Klimakapriolen verhindert, sondern war uns früher wesentlich näher. Ohne ihn wäre die Evolution ganz anders verlaufen …

Ein Beitrag von Rüdiger Vaas

Der Abstand von Erde und Mond vergrößert sich jährlich um 3,8 Zentimeter. Das lässt sich aus der Laufzeit von Laserstrahlen errechnen. Sie werden zum Mond gefeuert und dort von speziellen Spiegeln reflektiert, die bei drei Apollo- und zwei Lunochod-Missionen positioniert wurden. Die zunehmende Distanz ist eine Folge der Gezeitenkräfte, die auch Ebbe und Flut auslösen. Dadurch wird die Erdrotation um knapp zehn Millisekunden pro Jahrtausend gebremst. Das verlängert nicht nur unsere Tage, sondern erhöht beim Mondorbit den Drehimpuls (weil dieser erhalten bleibt), sodass der Erdbegleiter schneller wird und sich somit von uns entfernt.

Extrapoliert man diese Rezessionsrate in die Vergangenheit, müssten sich Erde und Mond vor weniger als 1,6 Milliarden Jahren berührt haben. Aber das stimmt nicht, denn unser himmlischer Begleiter hat sich viel früher gebildet: vor 4,425 Milliarden Jahren, nachdem ein Urplanet von der Größe des Mars mit der Urerde kollidiert war, dabei zerbarst und Teile von Erdkruste und -mantel ins All schleuderte. Aus den Trümmern formte sich der glutflüssige neue Mond. Anfänglich bewegte er sich viel näher um die malträtierte Erde als heute – vielleicht in einer mittleren Entfernung von nur 30.000 Kilometern statt der gegenwärtigen 384.400 Kilometer.

Lunare Distanzierung

Wie der Abstand zunahm, ist bislang nur unzureichend bekannt. Aufschluss können uralte Gesteine geben, falls sie periodische Signaturen enthalten, aus denen man die jährliche Anzahl der synodischen Monate (die Zeit zwischen zwei Vollmonden) erschließen kann. Daraus lassen sich dann die damalige Bahn des Mondes, seine Distanz zur Erde, seine Umlaufzeit und die irdische Tageslänge berechnen. So ergaben Analysen von Gesteinen aus Australien, dass der Mondabstand vor rund 620 Millionen Jahren ungefähr 97 Prozent des heutigen Wertes betrug, vor 2,5 Milliarden Jahren vielleicht 85 Prozent. Da die Gezeitenreibung mit der sechsten Potenz der Entfernung abnimmt, war diese noch früher erheblich größer.

Nun untersuchten Tom Eulenfeld und Christoph Heubeck vom Institut für Geowissenschaften der Universität Jena 3,2 Milliarden Jahre (!) altes Gestein der Moodies-Gruppe im Nordosten Südafrikas. Die quarzhaltigen Sandsteine haben sich größtenteils in flachen Gewässern abgelagert und zeigen streifenförmige Spuren. Diese weisen auf alternierende Ablagerungen von Sand und Schlamm hin, vermutlich bedingt durch unterschiedlich starke Wasserströme aufgrund des Zyklus der Gezeiten.

Die Dicke der uralten Schichten variiert geringfügig und legt einen Rhythmus von etwa 15 Tagen nahe – die damalige Zeit zwischen Spring- und Nippfluten. Demzufolge betrug der Mondabstand vor 3,2 Milliarden rund 270.000 Kilometer; ein Erdjahr hatte 680 Tage, die jeweils 13 Stunden währten. Damals mussten also raschere, jedoch weniger ausgeprägte Temperaturveränderungen zwischen Tag und Nacht geherrscht haben. Die schnellere Erddrehung führte zu höheren Windgeschwindigkeiten. Inwiefern die kürzere Hell-Dunkel-Periode die Fotosynthese von Bakterien beeinflusste, falls es diese schon gab, ist unklar.

Kürzlich wurden aus dem südafrikanischen Gestein mehrere Bohrkerne gewonnen. Ein internationales Konsortium unter der Leitung von Heubeck studiert sie nun akribisch, um mehr über die präkambrischen Verhältnisse zu erfahren. Die neuen Messungen sowie frühere aus jüngeren Zeiten passen gut zu einem Modell, das ein Team um Mohammad Farhat von der Sorbonne in Paris 2022 publizierte.

Vollmond steht am Himmel, fotografiert aus der ISS
Irdischer Trabant: Heute beträgt die – aufgrund seiner elliptischen Bahn variierende – Entfernung des Mondes 363.300 bis 405.500 Kilometer. Doch das war nicht immer so, denn der Abstand vergrößert sich seit Milliarden von Jahren. Das Foto machte NASA-Astronaut Jeff Williams an Bord der Internationalen Raumstation 400 Kilometer über dem Atlantik am 18. August 2016. | © Scientific Visualization Studio NASA

Demnach hat sich die Distanz des Mondes vor allem in der ersten Jahrmilliarde nach seiner Entstehung drastisch vergrößert. Das scheinen die Daten aus Südafrika zu bestätigen. Später war die Rezessionsrate geringer, lange linear, aber zwischendurch auch wieder beschleunigt. Die Ursache dafür sind Phasen, in denen die Gezeitenreibung stärker wirkte – auch zweimal in den letzten 700 Millionen Jahren. „Diese Resonanzen sind mit raschen Schwankungen der Erdneigung verbunden, die wohl große Klimaveränderungen ausgelöst haben“, meint Farhat.

Damals änderte sich auch der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre. Und die zweite Resonanz vor 600 Millionen Jahren korreliert mit der geradezu explosiven Artenentstehung im Kambrium. Zu jener Zeit hatte sich das Leben innerhalb von wenigen Dutzend Jahrmillionen enorm diversifiziert, und die meisten heutigen Tierstämme entwickelten sich.

Schwankende Erdachse

Nicht nur die Distanz des Mondes hat das Klima der Erde und die Evolution des Lebens geprägt. Noch wichtiger ist, dass der Trabant die Rotationsachse unserer Heimatwelt stabilisiert. Sie ist gegenwärtig um 23,44 Grad geneigt – so groß ist also der Winkel zwischen der Äquatorebene und der Bahnebene der Erde um die Sonne.

Diese Inklination ist von großer Bedeutung, denn dadurch variiert die absorbierte Sonnenstrahlung abhängig vom Breitengrad. Deshalb gibt es die Jahreszeiten. Und die Schiefstellung der Erdachse ist nicht konstant. Vielmehr variiert sie gegenwärtig zwischen 22,1 und 24,5 Grad – überwiegend durch den gravitativen Einfluss von Jupiter und Saturn. Das und weitere Faktoren, darunter kleine Veränderungen der Erdbahn, verursachen auch hauptsächlich den Wechsel von Warm- und Eiszeiten auf der Erde.

Hätte die Erde keinen Mond, würde ihre Achse viel stärker und schneller schwanken. Das wies Jacques Lasker vom Bureau des Longitudes in Paris mit seinem Team in mehreren Studien ab 1993 nach. Die Rechnungen ergaben Variationen von 0 bis 85 Grad.

Eine starke, relativ rasche Änderung der Inklination hat drastische Variationen in den Luftströmungen zur Folge und mithin enorme klimatische Veränderungen. Denn je stärker die Achse geneigt ist, desto bitterer sind die Winter und desto heißer die Sommer.

Das zeigt auch die Vergangenheit des Mars. Dessen unregelmäßig geformten Monde Phobos und Deimos sind mit einer Länge von 27 beziehungsweise 15 Kilometern viel zu massearm, um die Planetenachse zu stabilisieren. Entsprechend schwankte sie in der fernen Vergangenheit wohl zwischen 0 und 60 Grad (heutiger Wert: 25,2 Grad). Das wirkte sich stark aufs Klima des Mars aus und trug wohl auch zu seinen gegenwärtigen tiefen Temperaturen bei.

Gezähmtes Chaos

Berechnungen eines Teams um Jack Lissauer vom Ames Research Center der NASA im kalifornischen Moffett Field bestätigten 2012 Variationen der Inklination einer mondlosen Erde um bis zu 25 Grad binnen 100.000 Jahren und noch viel mehr im Verlauf von mehreren Jahrmilliarden. Die Simulationen ergaben allerdings auch, dass der Effekt geringer als beim Mars ist und es immer wieder vergleichsweise ruhige Zeitabschnitte über ein paar Hundert Millionen Jahre gegeben hätte, in denen die Neigung der Erdachse nur zwischen 17 und 32 Grad taumeln würde.

„Es stimmt zwar, dass die Klimaschwankungen stärker ausfallen als auf der realen Erde. Doch bei den Zeiträumen, die für die Astrobiologie interessant sind, wären die Klimaschwankungen einer mondlosen Erde viel kleiner als in früheren Studien berechnet“, resümierte Lissauer. Daher sei die Möglichkeit für eine lange Evolution des Lebens für mondlose Exoerden nicht ausgeschlossen. Somit könnte es zehn- bis hundertmal so viele belebte Planeten in der Milchstraße geben als mit einer lunaren Limitation.

Weitere aufwendige Simulationen haben Lissauers Studie bestätigt. Sie stammen von Gongjie Li und Konstantin Batygin vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics. Sie wiesen nach, dass eine mondlose Erde zwei chaotische Bereiche hätte: Bei Achsenneigungen von 0 bis 45 sowie 65 bis 85 Grad wären drastische Schwankungen der Erdachse binnen weniger Jahrmillionen sehr wahrscheinlich. Zwischen 45 und 65 Grad hingegen wäre das chaotische Verhalten geringer ausgeprägt, sodass dieser Bereich wohl erst in einem Zeitraum von rund zwei Milliarden Jahren durchlaufen würde. Die chaotische Dynamik ist daher hinreichend langsam, um Leben auch auf einer einsamen Erde nicht auszuschließen.

Buch
Tipp

Cover des Buches "Emporgeirrt" von Rüdiger Vaas und Helmut Fink

Emporgeirrt! Evolutionäre Erkenntnisse in Natur und Kultur

Alles entwickelt sich: der Kosmos mit seinen Strukturen, das Leben auf der Erde und die atemberaubend kreative Intelligenz (auch die künstliche) sowie unser Verständnis von alledem. Dieses Buch ist der menschlichen und nichtmenschlichen Natur auf der Spur. Es handelt von Grundsatzfragen der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, von Präzisierungen der modernen Naturphilosophie und von vielen weiteren Facetten humanistischer Kultur. Leitidee ist die Einheit des Wissens im Lichte der Evolution.

Helmut Fink, Rüdiger Vaas: Emporgeirrt! Evolutionäre Erkenntnisse in Natur und Kultur. Hirzel, 304 S., 59 Euro, 2025

Rüdiger Vaas

Rüdiger Vaas ist Publizist, Dozent sowie Astronomie- und Physik-Redakteur beim Monatsmagazin bild der wissenschaft und Autor von 15 Büchern, darunter Tunnel durch Raum und Zeit und Einfach Hawking! (Kosmos).

© Headerbild | Van Fulpen  – Pixabay

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